Franziska Trieb ist Fachkraft für Notfallpflege im Klinikum Esslingen. Für sie gehören Notfälle zum Alltag. Foto: Roberto Bulgrin

Franziska Trieb ist Notfallpflegerin in der Notaufnahme des Esslinger Klinikums. Die 32-Jährige kümmert sich jeden Tag um Menschen in kritischem gesundheitlichen Zustand – und merkt sofort, ob bei einem Patienten vor der Einlieferung Erste Hilfe geleistet wurde oder nicht.

Für die meisten Menschen ist es eine Ausnahmesituation, wenn sie Erste Hilfe leisten müssen. Für Franziska Trieb gehören Notfälle zum Alltag. Die 32-Jährige ist Notfallpflegerin in der Notaufnahme des Esslinger Klinikums. Sie hat tagtäglich mit Menschen in kritischem Zustand zu tun, die auf schnelle Hilfe angewiesen sind. Zig Mal am Tag muss sie unter höchstem Zeitdruck entscheiden, was zu tun ist – und darauf vertrauen, dass sie richtig liegt.

Franziska Trieb gehört zu den ersten, die die Notfallpatienten sehen – noch vor den Ärzten der Notaufnahme. Sie muss die Atmung kontrollieren, Kreislauf und Blutdruck überprüfen und den Patienten auf neurologische Ausfälle sowie körperliche Auffälligkeiten hin untersuchen. Dann folgt die größte Herausforderung: Die Entscheidung darüber, wie dringend der Patient oder die Patientin behandelt werden muss. Manchmal ist sehr klar, dass sofort etwas unternommen werden muss oder aber, dass eine bestimmte Wartezeit in Kauf genommen werden kann – in anderen Fällen ist es schwieriger. „Das ist eine große Verantwortung, schließlich kann man sich auch fehl entscheiden“, sagt Trieb. Etwa, wenn der Zustand des Patienten sich unerwartet verändert. Oder wenn man aufgrund der vorliegenden Daten zu einer Einschätzung gekommen ist, die sich dann als falsch erweist: „Wenn ein 35-Jähriger ein Stechen in der Brust hat, geht man eher nicht von einem Herzinfarkt aus – aber in seltenen Fällen kann es sich durchaus um einen solchen handeln“, erklärt Trieb. Als Notfallpflegerin müsse man sich mit sehr vielen Krankheitsbildern auskennen, um möglichst gut entscheiden zu können.

Die ersten Minuten nach einem Unfall sind entscheidend

Pro Tag kommen laut Trieb rund 100 Patienten in die Notaufnahme, die dringend behandelt werden müssen – oft auch Menschen in kritischem Zustand oder gar in Lebensgefahr. „Das gehört zu unserem Alltag.“ Der Stress, der damit verbunden sei, sei ihr gar nicht mehr bewusst. „Ich nehme meine Verantwortung natürlich ernst, aber vieles ist auch Routine.“ Im Übrigen sei die Erste Hilfe als Profi etwas völlig anderes als die Erste Hilfe eines Laien. „In der Notaufnahme weiß ich, dass ich Kollegen habe und die Mittel, um zu helfen“, sagt Trieb. Das sei anders, wenn man etwa als Erste an einem Unfallort eintreffe und unerwartet helfen müsse. Gerade deshalb sei es wichtig, regelmäßig Erste-Hilfe-Kurse zu besuchen. „Wir merken hier in der Notaufnahme sehr deutlich, wie wichtig die Erste Hilfe ist“, betont Trieb. Die ersten Minuten nach einem Unfall seien entscheidend. Patienten, die schnell beatmet wurden oder eine Herzdruckmassage erhielten, hätten deutlich bessere Chancen. Denn wenn länger als drei Minuten kein Sauerstoff im Gehirn ankomme, könne man zum Pflegefall werden. Falsch machen könne man bei der Ersten Hilfe eigentlich nichts: „Es ist besser, irgendetwas zu tun als gar nichts zu tun“, sagt Franziska Trieb. Wer überhaupt nicht wisse, was zu tun sei, solle zumindest den Notdienst anrufen.

Allerdings solle sich andersherum jeder, der selbst in die Notaufnahme komme, überlegen, ob es sich bei ihm wirklich um einen Notfall handelt, betont Trieb. Nicht selten kämen Menschen mit wenig dringlichen Beschwerden wie einem eingewachsenen Zehennagel oder einem eingerissenen Gelnagel. Die könne man nicht einfach wieder wegschicken: „Wer zu uns kommt, muss von einem Arzt gesehen und behandelt werden – das ist Pflicht“, sagt Trieb. Das bedeute, dass solch harmlose Fälle Kapazitäten binden, die an anderer Stelle sehr viel dringender gebraucht würden.

Etwa für Menschen, bei denen jede Minute zählt. Solche Fälle gebe es häufig in der Notaufnahme. Wenn es ganz dringend sei, etwa eine Reanimation notwendig werde, rufe man das gesamte Team zusammen. Dann arbeite man unter Hochdruck Hand in Hand – wenn auch leider nicht immer erfolgreich. Immer wieder müsse sie in ihrem Job auch mit dem Tod umgehen, erzählt Franziska Trieb. „Der erste Tote auf Station in meiner Verantwortung war schon schwierig“, erinnert sich Trieb an die Zeit, bevor sie in der Notaufnahme tätig war. Aber auch hier blieben ihr manche Fälle besonders im Gedächtnis. Etwa der, als eine junge Frau eingeliefert wurde, nachdem sie in Selbsttötungsabsicht von einer Höhe gesprungen war. „Das komplette Ärzteteam hat alles gegeben, aber die Frau ist verstorben – sie war genauso alt wie ich“, erzählt die 32-Jährige. Solche Fälle würden dann im Team besprochen, das helfe bei der Verarbeitung. „Man darf das nicht mit nach Hause nehmen“, sagt Trieb. Bei Bedarf könne man auch eine Supervision in Anspruch nehmen.

Der Beruf als Berufung

Aber es gebe auch die freudigen Ereignisse. Ihr schönstes: Eines Nachts sei ein Notfall angekündigt worden, es ging um einen fraglichen Kindstod im Geburtskanal bei laufender Geburt. Ein ganzes Team aus Hebammen, Gynäkologen und Kinderärzten habe im Schockraum um Mutter und Kind gekämpft. „Wir haben uns das Schlimmste ausgerechnet“, erinnert sich Trieb. Es kam zum Glück anders: „Es war der schönste Moment, als die Notärztin mit einem schreienden Baby kam und alle wohlauf waren“, erzählt die Notfallpflegerin. Doch unabhängig davon, wie schlimm oder schön ihre Einsätze sind, ob es stressig ist oder immer mehr Pflegekräfte kündigen: „Für mich ist mein Beruf nach wie vor eine Berufung“, sagt Franziska Trieb.

Einschätzung der Dringlichkeit

Vitalzeichen
In der Notaufnahme des Esslinger Klinikums arbeitet man laut Notfallpflegerin Franziska Trieb mit bestimmten Einschätzungssystemen, um die Patientinnen und Patienten nach Art und Dringlichkeit der Behandlung einzugruppieren. So werden etwa Patienten in kritischem Zustand nach dem sogenannten ABCDE-Schema auf Vitalzeichen untersucht. Die Buchstaben stehen dabei für die Initialen der englischen Begriffe Airway (Atemweg), Breathing (Atmung), Circulation (Kreislauf), Disability (neurologischer Zustand) und Exposure (Entkleidung). Dementsprechend wird zunächst kontrolliert, ob der Atemweg frei ist. Dann muss überprüft werden, ob es Auffälligkeiten bei der Atmung gibt. Anschließend können der Puls und andere Anzeichen Auskunft über die Stabilität des Kreislaufs geben. Es folgt die Überprüfung des neurologischen Zustands des Patienten, bis dieser schließlich entkleidet wird, damit eventuelle Verletzungen nicht übersehen werden.

Farbkategorien
Nach der ersten Sichtung werden die Patienten in der Notaufnahme in Farbkategorien eingeteilt. Rot bedeutet, dass sofort gehandelt werden muss, bei Orange sind noch zehn Minuten Zeit und bei Gelb eine halbe Stunde. Bei Grün darf noch anderthalb Stunden gewartet werden, bei Blau dürfen auch mehr als zwei Stunden verstreichen.