Die Vorbereitungsklasse an der Freien Waldorfschule Esslingen besteht derzeit nur aus sechs Schülern (eine Schülerin fehlt auf dem Bild): Die Kleingruppe soll Raum für individuelle Förderung bieten. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Melanie Braun

Es ist ruhig in dem Raum mit den hellen Holzmöbeln und der knallgelben Heizung. Kein Wunder: Nur sechs Schüler besuchen die Vorbereitungsklasse der Freien Waldorfschule. Vier von ihnen kommen aus dem Nordirak, zwei aus Syrien - und alle haben ein Ziel: möglichst schnell Deutsch lernen.

Dabei helfen soll ihnen Ayfer Onar. Sie ist Sprachtrainerin, hat eine psychotherapeutische Ausbildung und spricht sogar den gleichen kurdischen Dialekt wie ihre vier irakischen Schüler. Allerdings nutzt sie diesen vor allem zur Erklärung, wenn jemand etwas nicht versteht. Denn hier soll schließlich Deutsch gelernt werden. „Wir wollten doch das mit dem mögen machen“, sagt Onar und schaut ihre Schüler auffordernd an. „Ich mag, du mögst - äh, du magst, sie mag...“, konjugiert einer der Schüler das Verb. Ayfer Onar nickt zustimmend.

Sie ist jeden Tag für etwa zwei Stunden an der Waldorfschule, um die Schüler aus der Fremde zu unterrichten. Die Schule hat ein ganz eigenes Konzept entwickelt, das laut dem Deutschlehrer Sascha Becker speziell auf die Waldorfschule zugeschnitten ist. Denn es folgt dem besonderen Rhythmus der Schule. Dieser sieht jeden Tag zwei Unterrichtsphasen vor: Von 7.45 bis 9.30 Uhr findet täglich der sogenannte Epochenunterricht statt. Bei diesem wird stets drei Wochen lang ein Thema intensiv behandelt, etwa Mechanik, Antike oder Innere Organe. Nach der großen Pause folgt dann der Unterricht in kleineren Gruppen, die Klassen werden dafür halbiert oder gedrittelt. Jetzt gibt es vor allem Unterricht in handwerklichen oder künstlerischen Fächern oder aber Sport - Fächer, in denen die Sprache keine so große Rolle spiele, sagt Becker.

Die Vorbereitungsklasse für die Flüchtlingskinder habe man deshalb auf die Zeit des Epochenunterrichts gelegt. Denn diesem intensiven Hauptunterricht könnten sie sprachlich meist noch nicht folgen: „Sie würden nur frustriert“, glaubt Becker. Nach der großen Pause hingegen nähmen die jungen Menschen aus der Fremde dann am Regelunterricht teil. So könnten sie sich trotz des separaten Deutsch-Unterrichts in den Klassenverband integrieren.

Zudem sei ein stufenweiser Übergang in den Regelunterricht möglich: „Je nach Vorkenntnissen und Fortschritten können die Schüler einzelne Epochen besuchen“, erklärt Becker. So habe etwa ein Mädchen aus der Vorbereitungsklasse die Epoche Mathe mitgemacht, bei der die Sprache keine so große Rolle spielte wie etwa beim Fach Geschichte. Nach und nach könne sie nun immer mehr Epochen besuchen, zwischendurch aber weiterhin ihr Deutsch verbessern - bis sie ganz in den Regelunterricht wechsele. Nach spätestens zwei Jahren sollten die Schüler die Vorbereitungsklasse verlassen haben, sagt Becker.

Klassenlehrer als Bezugsperson

Der Unterschied zu staatlichen Schulen bestehe vor allem darin, dass der Druck an der Waldorfschule viel geringer sei, erklärt Becker, der auch schon für eine Vorbereitungsklasse an einer staatlichen Schule verantwortlich war. Dort hätten die Flüchtlingskinder oft Angst gehabt, durch den speziellen Deutsch-Unterricht zu viel Stoff zu verpassen, dann bei Prüfungen durchzufallen und letztlich den Schulabschluss nicht zu erreichen. An der Waldorfschule hingegen sei man flexibler: Bis zur Oberstufe gebe es keine Noten, zudem könnten hier die Abschlussprüfungen für alle Schulabschlüsse von dem der Hauptschule bis zum Abitur abgelegt werden - und wer wolle, könne auch freiwillig ein Schuljahr wiederholen.

Allerdings sei das Konzept der Vorbereitungsklasse vor allem für ältere Schüler gedacht. Jüngere schicke man oft versuchsweise erst einmal in den regulären Unterricht: „Neun- oder Zehnjährige lernen oft besser durch das Zuhören als durch Übungen“, erklärt Sascha Becker. Zudem komme ihnen das Klassenlehrersystem der Waldorfschule zugute: Von der ersten bis zur achten Klasse unterrichtet der Klassenlehrer täglich in seiner Klasse. „Damit haben die Flüchtlinge in der fremden Umgebung eine starke Bezugsperson und die Lehrer haben einen guten Überblick über ihre Fortschritte“, sagt Becker.

Die Vorbereitungsklasse gibt es nun seit etwa einem Jahr - in wechselnder Besetzung: Mal kommen Flüchtlingskinder dazu, mal ziehen welche weg. Doch das Konzept habe sich bewährt, sagt Becker. Das schwierigste sei die unterschiedliche Schulbildung, findet Ayfer Onar: Manche seien sehr fit, andere quasi Analphabeten. Deshalb müsse sie sich oft einzeln um die Schüler kümmern - genau deshalb sei die Klasse so klein, sagt Becker.