Ein Schwerlastkran hebt zunächst den „Hut“ des größten SWE-Kugeltanks ab. Dann wird ein Stahlsegment nach dem anderen abgetrennt.  Foto: Kaier - Kaier

Von Alexander Maier
55 Jahre lang prägte sie die Esslinger Stadtsilhouette beim Blick aus Richtung Mettingen – nun hat die große Gaskugel auf dem Gelände der Stadtwerke Esslingen (SWE) ausgedient. Und mit ihr zwei kleinere kugelrunde Gasspeicher, die seit den 60er-Jahren nur einen Steinwurf entfernt ihren Platz hatten. Seit 2008 wurden die mächtigen Tanks nicht mehr als Gasspeicher genutzt – nun hat ihr letztes Stündlein geschlagen. Ein ganz gewöhnliches Gebäude abzureißen, ist heute nichts Besonderes. Will man jedoch einen 280 Tonnen schweren Stahlkoloss beseitigen, müssen Fachleute ran – Männer wie Norbert Kaiser und sein Team von der Plochinger Firma Kaatsch. Die haben nun begonnen, die drei Kugel-Lager der SWE zu demontieren – erst ist der große Speicher dran, dann folgen die beiden kleineren. In maximal drei Wochen soll alles erledigt sein. „Aber wenn alles wie gewünscht funktioniert, könnte es auch etwas schneller gehen“, ist Norbert Kaiser zuversichtlich.

Präzise Vorbereitung ist entscheidend

Der 65-jährige Projektleiter hat langjährige Erfahrung mit der Demontage von Industrieanlagen und großen Metallkonstruktionen. Und er überlässt nichts dem Zufall: „Solche Projekte müssen gut vorbereitet und exakt geplant werden. Man schaut sich lange vorher alles immer wieder ganz genau an, damit die Arbeit später möglichst reibungslos und vor allem unfallfrei über die Bühne geht.“ Dazu gehört, dass ein Statiker vorher präzise berechnet, wo der Demontagetrupp ansetzen darf, damit die Konstruktion stabil bleibt. „Und wir mussten sicherstellen, dass die Kugeln gasfrei sind, damit sich nichts entzündet, wenn die Schweißarbeiten beginnen“, erzählt Josef Huckebrink, Abteilungsleiter bei den Stadtwerken. „Allein das dauert zwei Tage und ist äußerst aufwendig.“
Wegen der angrenzenden Bebauung müssen Norbert Kaiser und seine Mannen auf die Umgebung besondere Rücksicht nehmen: „Wir schauen, dass das Umfeld möglichst wenig durch Lärm und Staub belastet wird“, erklärt der Projektleiter. Wenn niemand belästigt werden kann, wäre es auch möglich, solch einen Kugeltank mit dem Schneidbrenner so zu zerlegen, dass er Stück für Stück in sich zusammenfallen kann. „Doch würde einen Riesenlärm verursachen, und den wollen wir niemandem zumuten. Außerdem ist nebenan die Kinderspielstadt Karamempel, auf die wir Rücksicht nehmen müssen“, sagt Norbert Kaiser.
Doch seine Demontage-Experten sind erfahren genug, um zu wissen, wie’s richtig geht. Dafür wurden die höchsten Hubarbeitsbühnen besorgt, die derzeit zu bekommen sind – die Arbeitsplattform lässt sich auf maximal 42 Meter Höhe ausfahren. Das reicht in Esslingen locker: Die größte der drei SWE-Gaskugeln hat einen Durchmesser von 28 Metern. Da sie auf einer Stahlkonstruktion ruht, erreicht sie mit dem sogenannten „Hut“, einer kleinen Plattform am Scheitelpunkt der Kugel, fast 35 Meter Höhe. Auf jeder der beiden Arbeitsplattformen arbeitet ein Team mit Schneidbrennern, um den Kugeltank zu zerlegen. Zunächst wurde gestern der „Hut“ ausgeschnitten und mit einem Hundert-Tonner-Schwerlastkran der Spezialfirma Scholpp abgehoben. Nun wird der Tank in Einzelteile zerlegt. „Wie man ihn aufgebaut hat, so baut man ihn auch wieder ab, damit die Konstruktion nicht instabil wird – ein Segment kommt nach dem andern“, erklärt Kaiser.

Maßarbeit mit dem Schneidbrenner

Die Segmente werden so bemessen, dass sie rund vier Tonnen schwer sind und mit dem Schwerlastkran gut zu Boden gehievt werden können. Zunächst schneiden die Fachleute auf den Arbeitsplattformen die Konturen mit dem Schneidbrenner aus, wobei sie die 2,5 Zentimeter dicken Stahlplatten nicht komplett abtrennen, damit sie noch genügend Halt haben. Dann werden Löcher ausgeschnitten, durch die man schwere Ketten zieht, mit denen die einzelnen Segmente am Kran befestigt werden. Erst dann werden die letzten Verbindungen im Stahl gekappt, und der Kran kann Platte für Platte in einen bereitstehenden Sattelzug hieven.
„Der Stahl sieht innen noch hervorragend aus“, stellte Josef Huckebrink gestern zufrieden fest. Deshalb wandern die Metallplatten nun in Stahlwerke irgendwo in Europa und werden wieder in den Rohstoffkreislauf eingespeist. Das ist nicht nur umweltbewusst, sondern bringt den Stadtwerken auch einen ganz konkreten Nutzen: Der Verkaufserlös finanziert einen erheblichen Teil der Demontagekosten. Nur eines lässt sich damit nicht ausgleichen: Mit ihren drei Kugel-Lagern verlieren die SWE einen ihrer wichtigsten Werbeträger.

Blick zurück in die Geschichte

Die Anfänge: Im Zuge der Industrialisierung wurde 1855 in Esslingen eine Gasanstalt gebaut, um Energie für Straßenbeleuchtung und Fabriken bereitzustellen. Damals wurde noch kein Erdgas verwendet, sondern sogenanntes Stadtgas. Von 1873 an hatte das Esslinger Gaswerk seinen Platz am heutigen Standort der Stadtwerke.

Das Gas: Stadtgas wurde zunächst aus Kohle gewonnen, von 1956 an aus Propan und Butan. Das Erdgas, das wir heute kennen, kam 1983 nach Esslingen: In der Folgezeit wurde nach und nach komplett auf Erdgas umgestellt. Der allergrößte Teil des hierzulande verwendeten Erdgases wird heute aus Russland, Norwegen und den Niederlanden bezogen. Weitere Lieferanten sind Dänemark und Großbritannien. Rund zehn Prozent des Erdgases wird in Deutschland selbst gefördert.

Die Technik: Das Stadtgas wurde einst in riesigen Behältern gelagert. Zunächst waren es Scheiben-Gaskessel auf dem Gelände der Stadtwerke. 1956 entstand ein erster kleiner Kugelspeicher, dem 1963 ein weiterer folgte. Die große Gaskugel stammt aus dem Jahr 1961. Insgesamt konnten die Stadtwerke in den drei Kugel-Lagern mehr als 40 000 Kubikmeter Gas lagern. Im Winter würde das ausreichen, um das Versorgungsgebiet der SWE eineinhalb Stunden lang mit Gas zu versorgen. Das Erdgas, das heute in Esslingen durch die Leitungen fließt, wird über Pipelines aus den Fördergebieten hierher transportiert. Durch große unterirdische Lager, in denen das Gas unter hohem Druck und damit platzsparender als in den Kugeln gelagert werden kann, lassen sich Schwankungen im Verbrauch viel effektiver ausgleichen. Deshalb wurden die drei Kugel-Lager auf dem SWE-Gelände seit 2008 nicht mehr genutzt. Weil demnächst kostspielige technische Überprüfungen angestanden hätten, entschlossen sich die Stadtwerke – wie viele andere Energieversorger – nun zum Abbau.