Heilende Hände: Physiotherapeuten lösen Muskelverspannungen. Foto: Fotolia

Wer einen Termin beim Ergo- oder Physiotherapeuten braucht, der wartet bisweilen lange. Immer mehr Beschäftige kehren der Branche den Rücken. Warum ist das so? Und was bedeutet das für die Patienten?

Unlängst hat in Marbach am Neckar (Kreis Ludwigsburg)  wieder mal eine Praxis für Ergotherapie geschlossen. Die Inhaberin war im Nachhinein nicht mehr zu erreichen. Das Aus steht aber sinnbildlich für vieles in der Branche: denn bei Therapeutinnen und Therapeuten hat sich Frust angestaut in den vergangenen Jahren.

Zu ihnen gehört Eva Hycel aus Erdmannhausen. Die 39-Jährige hat vor 16 Jahren ihr Examen gemacht – damals war es noch relativ schwer, überhaupt in den Beruf einzusteigen. Den Job als Ergotherapeutin macht sich nach wie vor gern, nur werde sie sich dabei immer seltener selbst gerecht, was für Frust sorge, sagt sie.

Kaum Nachwuchs – und auch sonst jede Menge Probleme

Seit sechs Jahren ist der Beruf offiziell ein „Engpassberuf“, deutschlandweit wird händeringend nach Kräften gesucht – auf dem Land noch mehr als in der Stadt. Weil es überhaupt so wenige gibt, haben die, die den Job machen, für den einzelnen Patienten immer weniger Zeit. Nachwuchs ist aber Mangelware, „wir bekommen nicht mal schlechte Bewerbungen, sondern einfach gar keine“, sagt Hycel.

Verwundert ist sie darüber nicht. Der nahe liegendste Grund ist das liebe Geld – beziehungsweise die zu geringen Löhne. Hinzu kommt, dass Ergotherapeutinnen und -therapeuten Fortbildungen in aller Regel selbst bezahlen. „Und da tut sich wahnsinnig viel. Es ist schwer, auf dem Laufenden zu bleiben“, so Hycel.

Ob Patienten an einen guten oder weniger fähigen Ergotherapeuten geraten, das scheint auch ein Stück weit Glück zu sein. Einheitliche Ausbildungsstandards gibt es nämlich nicht. Auf der anderen Seiten zahlen sich Fortbildungen und Erfahrungen beim Gehalt kaum aus. Dass sich junge Menschen gegen eine Ausbildung in dem Bereich entscheiden, dürfte auch daran liegen, dass sie nicht überall in Deutschland – darunter auch Baden-Württemberg – kostenlos ist.

Bürokratischer Aufwand ist enorm

Christine Donner, Geschäftsführerin des Bundesverband für Ergotherapeuten in Deutschland (BED), kann die Probleme im Grunde alle nur bejahen. Das Schulgeld gehöre abgeschafft, die Ausbildung angemessen vergütet und Fortbildungen sollten gefördert werden. Sie vertritt aber den klaren Standpunkt: im Grunde ist alles eine Frage einer „leistungsgerechten Bezahlung nach Tarif. Ohne adäquate Lohnanpassung werden alle anderen Maßnahmen zur Verringerung des Fachkräftemangels nicht helfen“, sagt Donner. Alles andere sei „Chichi-Kram“.

Was die Ergotherapeutinnen und -therapeuten unisono beklagen, mit Geld aber erst einmal nichts zu tun hat, ist der hohe bürokratische Aufwand, der sie von der eigentlichen Aufgabe abhalte. Eva Hycel fühlt sich teils „fast schon gegängelt“. Setzen Ärzte beispielsweise an der falschen Stelle auf der Überweisung ein Kreuzchen, müssen die Therapeuten dafür sorgen, dass der Fehler berichtigt wird – sonst zahlt die Krankenkasse die Leistung nicht. Die Einführung sogenannter Blankoverordnungen, mit denen Therapeuten eigenverantwortlicher und damit unkomplizierter entscheiden könnten, wie sie therapieren wollen, war eigentlich schon beschlossen, ist aber immer noch nicht umgesetzt.

Eva Hycel meint, dass es der Ergotherapie auch etwas an Ansehen fehle. Ziel ist es, immer dem Patienten möglichst viel Eigenständigkeit zu ermöglichen. „Weil wir mit unserer Arbeit aber ‚nur’ den Ist-Zustand erhalten oder Rückschritte verzögern, ist das in unserer Höher-Schnell-Weiter-Gesellschaft natürlich nicht so gefragt“, sagt Hycel. „Dabei macht es für einen Menschen einen riesen Unterschied, ob er sich ein Glas Wasser selbst einschenken kann.“

Wie sieht es bei den Physios aus?

Die anderen Gruppen, die zu den sogenannten, Heilmittelerbringern zählen, klagen mehr oder weniger über genau dieselben Probleme wie die Ergotherapeuten. Zu geringe Bezahlung, oftmals Arbeit im 20-Minuten-Takt in einem physisch und psychisch forderndem Beruf, dazu hohe Kosten für Ausbildung und Fortbildungen.

Außerdem ein zu hoher bürokratischer Aufwand im Alltag, der zu gering von den Kassen vergütet wird: so umreißt der Deutsche Verband für Physiotherapie die Probleme seiner Mitglieder. Dass im kommenden Jahr die Leistungen von Physiotherapeuten von den gesetzlichen Krankenversicherern mit 8,47 Prozent mehr bezahlt werden, wertet der Verband als Erfolg. Weil sich Verbände und Kassen erst nicht einigen konnten, war ein Schiedsspruch nötig.

Die Erhöhungen jetzt sehen viele Therapeuten indes zwar als ersten Schritt, letztlich sei es aber nur ein Inflationsausgleich. „Das Hauptproblem ist, dass es kein partnerschaftliches Miteinander zwischen Therapeuten und Kassen gibt“, sagt Tom Helmreich aus Freiberg/Neckar. Versprechungen seien öfter gemacht worden, gebessert habe sich wenig bis nichts. Er kennt Kollegen, die sich beruflich umorientiert haben. „Am Ende sind die Patienten meistens der Mops“, sagt Helmreich über die schlechte Versorgungssituation.

Situation dürfte sich eher noch verschlechtern

Lange Suche nach einer Praxis, noch längere Wartezeiten für Termine, Hausbesuche bieten viele erst gar nicht an, weil es sich nicht lohnt – im schlimmsten Fall gibt es für diejenigen, die sie brauchen, auch überhaupt keine Therapie. „Langfristig wird sich dies aufgrund des demografischen Wandels zusätzlich verschärfen, denn während weniger Fachpersonal nachkommt, steigt der Behandlungsbedarf. Falls sich nichts ändert, so kann die Patient*innenversorgung zukünftig nicht mehr gewährleistet werden“, heißt es dazu vom Verband .„Im Grunde wird ausgenutzt, dass die Leute in diesen Berufen mit viel Herzblut bei der Sache sind und nicht wollen, dass ihre Patienten zu kurz kommen“, sagt Helmreich. Eva Hycel erzählt ähnliches. Dabei könnten therapeutische Angebote dem Gesundheitssystem eine Menge Geld ersparen, sagt die 39-Jährige. „Unsere Berufe übt niemand aus, weil er viel Geld scheffeln will, aber fair bezahlt werden wollen wir trotzdem“, sagt Hycel.