Die Bürger bekundeten ihren Unmut über die Deponiepläne im Bottwartal. Foto: Avanti/Ralf Poller

Die Gegensätze zwischen den Planern und der Bevölkerung im Bottwartal könnten größer nicht sein. Wie in Hemmingen – dem anderen möglichen Standort – gab es massive Proteste. Die Planer wollen den Kriterienkatalog nun offenlegen.

Er fühle sich „verar. . .“ – das vollständige Wort wollte der Großbottwarer Bürgermeister Ralf Zimmermann nicht in den Mund nehmen. Doch er sprach den übrigen rund 300 Gästen am Mittwoch beim Informationsabend zur geplanten Erddeponie der Abfallverwertungsgesellschaft AVL aus der Seele. Die malerische Landschaft des Bottwartals einerseits – und eine flächenfressende Industrieanlage auf 45  Hektar ebendort: Das brachte in der Halle der Bottwartaler Winzer keiner der Besucher zusammen, die sich zu Wort meldeten.

Noch vor etwa acht Jahren habe die Stadt mit dem Nachbarn Oberstenfeld auf zehn Hektar ein Gewerbegebiet entwickeln wollen, sei aber vom Landkreis Ludwigsburg mit dem Argument abgewiesen worden, man verschandele die Landschaft, sagte Zimmermann in Richtung von AVL-Geschäftsführer Tilman Hepperle und dem Kreisdezernenten für Umwelt und Bauen, Christian Sußner, die auf dem Podium saßen. Dieser offensichtliche Widerspruch bringt nicht nur das Blut des Bürgermeisters in Wallung. Einige Gäste quittierten die Erklärungen vom Podium mit Argwohn, Pfiffen oder Buhrufen. Wie schon am Montag in Hemmingen, dem zweiten möglichen Standort nach dem Suchlauf der kreiseigenen Abfallgesellschaft, trat die Ablehnung offen zutage.

Wie transparent ist das Verfahren?

Die AVL sucht eine Nachfolgedeponie für die Anlage Am Froschgraben in Schwieberdingen, die noch zehn Jahre läuft. Das Land stehe jedoch schon in fünf Jahren landesweit vor dem Problem fehlender Kapazitäten für geringfügig belastete Deponiestoffe der Klasse 1, berichtete Martin Kneisel, Referatsleiter im Umweltministerium. Standorte festlegen müsse aber nicht das Land, das sei Aufgabe der entsorgungspflichtigen Kommunen und Landkreise. Das Problem betreffe jeden, der ein Haus saniere, und stelle eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar. Das deutsche System ist weltweit führend. „Wir wollen Schadstoffe so entsorgen, dass wir die Umwelt nicht belasten.“

Der Suchlauf nach geeigneten Flächen erbrachte zunächst 121 Areale, von denen zehn und am Ende die beiden größten Flächen in Großbottwar und Hemmingen übrig blieben. Über die Kriterien im letzten Schritt machten die AVL-Vertreter keine Angaben, beschrieben jedoch das Prozedere der Flächenpriorisierung. Darüber hinaus verwiesen sie auf ein Gutachten, das die AVL bald im Internet veröffentliche. Fehlende Transparenz hatte der Grünen-Landtagsabgeordnete Markus Rösler in einem Brief kritisiert und eine neue, kreisübergreifende Suche gefordert, zumal bis 2024 rund 40 Prozent des Bauschutts aus der Gesamtregion Stuttgart stamme. Einige Großbottwarer legten nach. So sprach der CDU-Stadtrat Benjamin Traa von „Hinterzimmerpolitik“ und klagte, dass die Bürgermeister im Sommer spät informiert wurden.

Inwieweit könnten austretende Schadstoffe die Großbottwarer belasten?

Emissionen sind ein zentrales Thema. So könnten zum Beispiel Dioxine bei der Verbrennung freiwerden, befürchtete eine Bürgerin. Asbest würde auf Streuobst wehen, argwöhnte ein Fragesteller. In Hemmingen seien zwei Standorte wegen Feinstaubs in einer Umweltzone abgelehnt worden, mutmaßte ein anderer. AVL-Chef Hepperle versuchte zu beruhigen. Er sicherte eine Wässerung der Anlage gegen den Staub zu. „Moderne Filter reinigen die Abgase.“ Sonst wäre die Restmüllverbrennung in Stuttgart-Münster in der Nähe von Wohngebieten nicht möglich. Auch würde der Grenzwert von zehn Mikrosievert für freigemessenen Abfall aus Atomkraftwerken eingehalten. Ob bei einem Betriebsbeginn in zehn Jahren immer noch Bauschutt aus Kernkraftwerken angeliefert werde, könne er allerdings nicht vorhersagen.

Welche Probleme stellen sich der Kommune durch den Verkehr?

Da täglich 740 Tonnen Bauschutt angeliefert werden, summiert sich die Zahl der Lastwagenfahrten jährlich auf 17 000. Die AVL will der Stadt als „Entgegenkommen“, wie Hepperle ausdrückte, eine Umgehungsstraße durch das Winzerhäuser Tal in Richtung Oberstenfeld ermöglichen. Solche Angebote, ebenso wie Vorteile durch mehr Gewerbesteuer und finanzielle Anteile am abgelieferten Bauschutt der Deponieklasse 0 und 1 lehnten die anwesenden Großbottwarer ab. Viel Beifall erhielt Bürgermeister Zimmermann, als er sagte: „In Großbottwar gibt es keinen Wunsch oder Bedarf nach einer Umgehungsstraße. Für uns ist das eher Drohung als Standortvorteil.“ Die staugeplagte L 1100 im Ort war indes ebenfalls Thema. Der ehemalige Stadtrat Thomas Haag befürchtet Unfälle mit Schülern.

Wie betroffen sind angrenzende Siedlungen und Nutzflächen?

Die AVL sieht den Mindestabstand von 300 Metern zum Ortsteil Sauserhof eingehalten. Zum geplanten Oberstenfelder Baugebiet Krixenberg seien es etwa 700 Meter, zu Dürren IV rund 1000 Meter. Bewohner in Oberstenfeld könnten jedoch schon jetzt das Gebiet einsehen, berichtete Michael Meder, stellvertretender Bürgermeister des Nachbarorts und Chef der Freien Wähler. „Und Sie wollen ja noch 30 Meter in die Höhe.“ Mit Kritik hielt der Landwirt Martin Föll nicht hinter dem Berg. Er bezifferte den Flächenverlust mit nötiger Zufahrt auf 80 bis 90 Hektar. Landwirtschaftliche Fläche würde zerstört. „Ich kann nicht verstehen, weshalb man immer an die Nahrungsgrundlage der Menschen geht – das ganze System ist krank und falsch und eigentlich ohne Verstand.“ Betroffen ist laut BUND-Expertin Andrea Lehning auch der Wildkatzenkorridor. Die Deponie sei von Landschaftsschutzgebieten umgeben, kritisierte ein Bürger. „Das Bottwartal ist unbedingt schützenswert.“

Grünen-Landtagsabgeordneter Rösler fordert neuen Suchlauf

Offener Brief
Überrascht hat der Vaihinger Landtagsabgeordnete Markus Rösler (Grüne) auf Äußerungen der Abfallverwertungsgesellschaft des Kreises (AVL) zu einem neuen Standort einer Erddeponie reagiert. Deren Vertreter hatte bei einer Veranstaltung in Hemmingen diese Woche erwähnt, dass die verkehrlichen Probleme, die Hemmingen durch die Ansiedlung einer Erddeponie bekäme, im Zweifel – analog zum jetzigen Standort Schwieberdingen – durch einen Straßenneubau gelöst werden könnten. In einem offenen Brief an den Ludwigsburger Landrat Dietmar Allgaier bekräftigte Rösler die Forderung der Kreis-Grünen nach einem neuerlichen Suchlauf. Bisher sind von zehn möglichen Standorten im Kreis Ludwigsburg mit Hemmingen und Großbottwar zwei Kommunen in der engeren Wahl. Wie es zu dieser Auswahl kam, ließ die AVL in der Infoveranstaltung am Montag offen.

Offene Details
Er könne das Unverständnis der Bürger „sehr gut nachvollziehen“, dass die Methodik, mit der die Kriterien für die Standortauswahl bewertet wurden, bisher nicht offengelegt worden seien, so Rösler. „Das entspricht nicht den Standards für Bürgerbeteiligung und Transparenz.“ Rösler verlieh in dem Brief seiner Hoffnung Ausdruck, der Landrat würde sich bei möglichen neuen Suchläufen für die transparente Erarbeitung von Kriterien und deren Bewertung einsetzen. Zugleich erfragte er von Allgaier die Details zur Vereinbarung zwischen dem Regionalverband und der AVL.

Offene Fragen
Demnach ist die AVL zur Deponierung unbelasteten und schwach belasteten Erdaushubs, Baurestmassen, mineralischen Gewerbe- und Industrieabfällen, mineralischen Schlämmen sowie asbesthaltigen Abfällen für die gesamte Region Stuttgart zuständig. Unter anderem die Kreis-Grünen fordern deshalb, in die Suche nach einem neuen Standort die gesamte Region einzubeziehen und sie nicht auf den Kreis Ludwigsburg zu beschränken. Rösler will zudem wissen, ob die neue Deponie mit ihrem geplanten Volumen ebenfalls für den Bedarf der gesamten Region geplant wird. Ihm sei bewusst, dass sich der Kreis mit der AVL in einer schwierigen Lage befände, so Rösler. „Wir alle sind dafür mitverantwortlich, wie viel Bauschutt und sonstige deponiefähige Abfälle entstehen – sowohl in der Politik auf allen Ebenen als auch als Einzelpersonen.“