Schwere Schäden nach dem Beben in der Türkei Foto: dpa/A. Alkharboutli

Das Erdbeben im syrisch-türkischen Grenzgebiet hat mehr als tausend Menschen das Leben gekostet. Wie lassen sich solche schweren Beben besser vorhersagen? Forscher suchen nach neuen Methoden.

Am Montag hat ein schweres Erdbeben der Stärke 7,8 den Südosten der Türkei und den Nordwesten Syriens erschüttert. Dabei kamen Berichten zufolge mehr als 1000 Menschen ums Leben. Die Türkei ist häufiger von schweren Erdbeben betroffen. Dort stoßen die afrikanische und die arabische Kontinentalplatte mit der eurasischen Platte zusammen. Dazwischen liegt die kleinere anatolische Erdplatte, die durch den Druck der größeren Platten in Richtung Westen gedrückt wird. Die dadurch entstehenden Spannungen in der Erdkruste entladen sich immer wieder in Form starker Erdbeben. Im Jahr 1999 kamen bei einem Beben der Stärke 7,4 in der Nähe der Industriestadt Izmit mehr als 17 000 Menschen ums Leben.

Auch für Istanbul erwarten Geologen in naher Zukunft ein starkes Beben. Doch wann genau das der Fall sein wird, lässt sich mit den bisherigen Methoden nicht vorhersagen. Ähnlich sieht es in anderen Regionen mit starken Spannungen in der Erdkruste aus – etwa in Kalifornien. Dort gehen Forscher davon aus, dass es in der Region San Francisco bis 2038 mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 99 Prozent ein Beben der Stärke 6,7 geben wird.

Empfindliche Messinstrumente

Könnte die Bevölkerung rechtzeitig vor starken Beben gewarnt und nötigenfalls evakuiert werden, ließen sich viele Menschenleben retten. Forscher suchen daher schon lange nach Methoden, die genauere Vorhersagen möglich machen könnten. Sie überwachen dazu unter anderem mit hochempfindlichen Messinstrumenten Häufigkeit und Stärke der vielen kleinen Beben, die für Menschen nicht zu spüren sind. Bislang ist es auf dieser Basis aber nicht möglich, Ort und Zeit eines künftigen schweren Erdbebens genau vorherzusagen.

Messdaten deuten darauf hin, dass sich vor einem Beben die Verteilung elektrischer Ladungen in der Ionosphäre verändert. Diese Schicht der Atmosphäre beginnt in rund 70 Kilometer Höhe und enthält besonders viele Ionen – also elektrisch geladene Atome oder Moleküle. Eine mögliche Erklärung: Die Mineralien im Gestein setzen Ladungen frei, wenn sie durch tektonische Spannungen zusammengedrückt werden. Diese Ladungen könnten sich wiederum auf die Ionosphäre auswirken. Allerdings konnte der vermutete Zusammenhang zwischen der Ladungsverteilung in der Ionosphäre und Erdbeben bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden.

Unruhige Tiere

Einen anderen Ansatz verfolgen Forscher des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Radolfzell/Konstanz: Sie versuchen, aus dem Verhalten von Tieren auf unmittelbar bevorstehende Beben zu schließen. Tatsächlich gibt es viele Berichte über Wild-, Haus- und Nutztiere, die vor Erdbeben besonders unruhig gewesen sein sollen. Allerdings fehlen dafür bislang wissenschaftliche Belege. Nach solchen suchen die Forscher aus Radolfzell. Sie rüsteten etwa Kühe, Schafe und Hunde in einer italienischen Erdbebenregion mit Beschleunigungssensoren aus und zeichneten die Daten für mehrere Monate auf.

Im Beobachtungszeitraum gab es neben vielen kaum spürbaren Beben auch zwölf Beben mit einer Stärke von vier oder mehr. Und was machten die Tiere? Die Forscher konnten tatsächlich auffällige Verhaltensmuster feststellen, die bis zu 20 Stunden vor einem Beben auftraten. Allerdings genügte es dafür nicht, einzelne Tiere zu beobachten, sondern alle gemeinsam. „Im Kollektiv scheinen die Tiere Fähigkeiten zu zeigen, die auf individueller Ebene nicht so leicht zu erkennen sind“, sagte Studienleiter Martin Wikelski zu den ersten Ergebnissen der Untersuchungen. In einem Fall sei tatsächlich drei Stunden nach einer deutlich erhöhten Aktivität der Tiere ein kleines Erdbeben aufgetreten, „dessen Epizentrum direkt unter dem Stall der Tiere lag“.

Trotz solcher ermutigender Ergebnisse seien weitere Untersuchungen nötig, bevor das Verhalten von Tieren zur Erdbebenvorhersage genutzt werden könne, betonen die Forscher. Dazu müsse eine größere Anzahl von Tieren über längere Zeiträume in verschiedenen Erdbebenzonen der Welt beobachtet werden. Im Rahmen des deutsch-russischen Icarus-Projekts dienten dazu Daten der Internationalen Raumstation (ISS). Dort wurden die Signale der an den Tieren befestigten Sender vom Weltraum aus erfasst.

Wegen des Kriegs in der Ukraine ist der Datenstrom von der ISS im vergangenen März versiegt. „Bis in eineinhalb Jahren werden wir neue Datenquellen haben“, sagt Wikelski. Dazu sollen Empfänger für die Bewegungsdaten der Tiere in Satelliten eingebaut werden, die in nächster Zeit in den Orbit geschossen werden. Teilweise ließen sich die Daten auch vom Erdboden aus erfassen, so der Forscher. Diesen Weg nutzt Wikelskis Team etwa in einem Projekt in der Nähe des Vulkans Ätna. Dort wird untersucht, inwieweit sich mit Sendern bestückte Hunde, Esel oder Ziegen zur Vorhersage von Vulkanausbrüchen eignen.