Der Eingang zum rund ein Hektar großen AkzoNobel-Areal in der Kruppstraße. Foto: Uli Nagel

Das AkzoNobel-Areal in Feuerbach wird für weit mehr als 100 Millionen Euro zu einem Produktionsstandort umgestaltet. Ein Beispiel, das Schule machen könnte, doch Flächen sind ein rares Gut. Auch deshalb befragt die Wirtschaftsförderung jetzt Firmen.

Über Jahrzehnte prägten Firmen wie Eckardt, SKF, Fortuna und Wizemann die Pragstraße in Bad Cannstatt. Doch diese Industrieepoche endete in den 1990er Jahren. Dienstleistung statt Produktion – nirgendwo wurde der Strukturwandel in der Landeshauptstadt offenkundiger als an der Pragstraße. Doch nur selten ging der Wechsel reibungslos oder gar zügig über die Bühne.

Ob in Feuerbach, Zuffenhausen oder in den Oberen Neckarvororten, Beispiele dafür gibt es auch heute noch in vielen Stadtteilen, vor allem entlang der B 10. Firmen aus dem Produktionssektor sind über die Jahre kleiner geworden, teils wegen nachlassender Nachfrage oder weil sie bedingt durch technischen Fortschritt weniger Flächen benötigten. Andere verschwanden ganz und hinterließen Leerstand und Brachflächen.

Stadt will sich Übersicht verschaffen

„Die Gesamtentwicklung heißt jedoch nicht, dass keine weiteren Industrieflächen mehr auf Stuttgarter Gemarkung benötigt werden“, sagt Bernhard Grieb, der Leiter der städtischen Wirtschaftsförderung. Bedarf sei da, allerdings sei das Thema heute komplexer. Dabei sieht sich die Stadt mit einem Problem konfrontiert: Es fehlt eine Übersicht, wie und wo sich die Industrie in Stuttgart überhaupt weiterentwickeln kann.

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„Auch wissen wir nicht, welchen Bedarf das produzierende Gewerbe aktuell an Flächen hat“, sagt Grieb. Klarheit will sich die Wirtschaftsförderung in Zusammenarbeit mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart in den kommenden Monaten verschaffen. Dazu werden etwa 30 Firmen, darunter die größten Industrie-Unternehmen wie etwa Bosch oder Mahle genauso befragt, wie potenzielle Neugründer mit industriellem Flächenbedarf.

Verwaltung geht auf Betriebe zu

„Stuttgart ist nach wie vor auch eine Industriestadt“, betont der Wirtschaftsförderer. Doch wer produziert, braucht Flächen und Grundstücke. Die sind allerdings in Stuttgart ein knappes Gut. „Die Krisen der letzten Jahre und die Transformation der Stuttgarter Kernbranchen führen zu großen Veränderungen – auch beim Flächenbedarf. Wir gehen auf die Unternehmen in Industrie- und Gewerbegebieten zu, die aufgrund der Größe ihrer Produktions- oder Lagerflächen betroffen sind und ergründen ihre Bedürfnisse.“ Die Wirtschaftsförderung sei offen für Betriebe, die Perspektiven und Planungen einspeisen wollten. „Diese Initiative ist ein wichtiges Signal der Stadt an die Betriebe, dass die Probleme gesehen werden und an Lösungen gearbeitet wird“, sagt die IHK-Hauptgeschäftsführerin Susanne Herre, die dabei ein großes Ziel vor Augen hat: „Wir wollen die Entwicklung unserer Region zur Leitregion für Technologien der klimaneutralen Mobilität fortsetzen, nachhaltige Geschäftsmodelle entwickeln und noch mehr dafür tun, damit wir ein attraktiver Lebensraum für Fachkräfte und Familien bleiben“. Die Unternehmen in Stuttgart könne man dabei nur mitnehmen, wenn die Standorte gesichert und Perspektiven geschaffen werden.

Innovative Nutzungskonzepte gesucht

Die Initiatoren gehen davon aus, dass der Flächenbedarf über die nächsten Jahre nicht konstant bleibt. Kernfrage sei, wie bestehende Produktions- und Lagerhallen umgenutzt werden können – die Entwicklung neuer oder zusätzlicher Flächen sei der Stadtplanung und dem Regionalverband vorbehalten. Deswegen sollen die Befragungen dazu führen, dass etwa Betriebe mit Spitzenauslastung über Untervermietungen und Zwischennutzungen Flächen anderer Betriebe nutzen, die diese Kapazitäten bieten können. Außerdem sollen innovative industrielle Nutzungen für brachliegende Flächen entdeckt werden.

Bespiel für gelungene Transformation

Als beispielhaft für die industrielle Transformation in Stuttgart gilt das ein Hektar große AkzoNobel-Produktionsgelände an der Kruppstraße in Feuerbach. Nur ein Drittel der Flächen nutzt der Lack- und Farben-Spezialist noch, der Rest liegt brach. Bekannter wurde die Immobilie im vergangenen Sommer, als Künstler sie vorübergehend in eine Galerie verwandelt hatten. Für die Weiterentwicklung dieser Industriebrache zeichnet Wöhr + Bauer verantwortlich, als Investor und Projektentwickler. „Unser Bauvorhaben steht beispielhaft für die Transformation eines Industriegebietes“, ist sich Geschäftsführer Wolfgang Roeck sicher. Seit gut zwei Jahren dauern bereits die Planungen, jetzt soll der Bauantrag gestellt werden.

Dynamik und Aufbruchsstimmung

Die geplanten rund 28 000 Quadratmeter Geschossflächen muss jedoch nicht nur die potenziellen Nutzer begeistern, sondern auch den Menschen im Umfeld Mehrwert bieten. Roeck: „Wir möchten moderne Industriewelten für Forschung- und Entwicklung, ergänzt um Büroflächen, errichten, die durch inspirierende Architektur im Außenbereich und moderne Flächen im Inneren Freude bereiten.“ Das Gebäude soll laut dem Konzept von Hascher Jehle Architekten Dynamik und Aufbruchsstimmung ausstrahlen, inklusive neuer Wege, mehr Grün und einer Öffnung ins Umfeld. Zudem sollen erneuerbare Energien genutzt und das Mikroklima verbessert werden. „Ende 2023 könnte es losgehen, wobei vom Bestand kein Gebäude erhalten werden kann“, sagt Roeck. Die Investition beziffert er mit weit über 100 Millionen Euro, wenn nicht sogar 200 Millionen.

Industriestandort Stuttgart

Betriebe
Derzeit zählt das verarbeitende Gewerbe in Stuttgart rund 660 Betriebe mit insgesamt gut 70 000 Arbeitsplätzen (Stand 2021). Zwar ist die Zahl der Betriebe rückläufig (2012 waren es noch 860), allerdings sind im gleichen Zeitraum fast 20 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden.

Zuwachs
Den größten Zuwachs in der Beschäftigungsentwicklung verzeichnen die Hersteller von Kraftwagen und Kraftwagenteilen, gefolgt vom Maschinenbau. Zumeist wird für den Export produziert: 80 Prozent der Produkte werden exportiert.