Ob Händler die Schaufensterbeleuchtung abschalten oder nicht, bleibt ihnen überlassen. Foto: Martin Haar

Maximal 20 Prozent aller Betriebe in der City halten sich an die Energiesparverordnung. Selbst die Stadt Stuttgart kommt an Grenzen.

Von wegen Energiekrise. Von wegen Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung. Die sogenannte EnSikuMaV des Bundes findet in Stuttgart praktisch keine Anwendung. Wie ein Rundgang durch die Innenstadt am Montagabend zeigte, halten sich maximal 20 Prozent aller Händler, Banken, Versicherungen oder Gastronomen daran, ihre Werbemittel für den Zeitraum von sechs Monaten seit dem 1. September bis zum 28. Februar 2023 von 22 bis 16 Uhr auszuknipsen.

Ganz gleich, wohin man in der City kommt: Überall gilt weiterhin das Motto „Stuttgart leuchtet“. Selbst das Land Baden-Württemberg beleuchtet die Tafeln vor den Ministerien und hüllt die Rückseite des Neuen Schlosses aus Sicherheitsgründen in Flutlicht. Auch die Bahn wirbt am Hauptbahnhof weiter mit ihrem beleuchteten Megabild für S 21, die Wasserspiele an der Kulturmeile plätschern im Lichte vor sich hin, und der Hindenburgbau ist ebenso beleuchtet wie das Institut für Auslandsbeziehungen. Nur die gleichnamige Veranstaltung der City-Initiative Stuttgart (CIS), „Stuttgart leuchtet“, ist bereits abgesagt. Stattdessen soll am 5. November eine übliche lange Einkaufsnacht bis 24 Uhr stattfinden. Doch wie kann so etwas aussehen? Schon jetzt wird deutlich, welche Folgen das Ausknipsen aller Leuchtmittel um 22 Uhr hätte. Beispiel untere Königstraße. Kaufhof hält sich dort an die Verordnung. Das Gefühl der Passanten ist entsprechend. „Im Dunkeln ist nicht gut munkeln“, sagt einer scherzhaft auf die Frage nach seinem Sicherheitsgefühl.

Getrübtes Sicherheitsgefühl

Etwas selbstbewusster geben sich dagegen vier Mädchen im Teenageralter in der Eduard-Breuninger-Straße am Eingang des Dorotheen-Quartiers. „Ach“, prescht eine vor, „solange die Straßenlaternen weiterbrennen, hätte ich keine Angst“ wenn die Werbelichter abgeschaltet werden. Tatsächlich sitzen die jungen Damen direkt unter einer Straßenlaterne auf einer Parkbank. Und möglicherweise trügt dadurch die Vorstellung, was ein Abschalten bedeutet. Denn das ganze Quartier ist noch hell, die Kuppel der Karlspassage ist wie immer in vollem Licht. Ebenso wie das große B auf dem Dach von Breuninger samt der Fassade am Marktplatz. Auf Anfrage nahm die Firma Breuninger zwar ausführlich Stellung zur erlaubten Schaufensterbeleuchtung und dem öffentlichen Durchgang der Karlspassage, aber nicht zur Beleuchtung des Gebäudes.

Die Sache scheint komplizierter, als sich das mancher Ideenschmied in Berlin beim Austüfteln der EnSikuMaV gedacht hat . Selbst die Stadt Stuttgart kommt an ihre Grenzen, zum Beispiel bei den Werbeflächen der Stadtmöblierung. Hier strahlt dm oder Palazzo auch nach 22 Uhr die potenziellen Kunden an. „Die Stadt Stuttgart und ihre Vertragspartner im Bereich der Außenwerbung arbeiten mit Hochdruck daran, die Einschränkung der Betriebszeiten für beleuchtete Werbetafeln als Teil der Stadtmöblierung umzusetzen“, sagt Stadtsprecher Martin Thronberens. Allerdings sei eine Abschaltung zu den vorgegebenen Zeiten nicht ohne technische Anpassungen möglich. Hier sind die Betreiber der Werbetafeln auf Fachpersonal sowie auf notwendige Ersatzteile angewiesen. Beides ist zurzeit nur schwer zu bekommen, was zur Folge hat, dass die Umsetzung der Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung noch etwas Zeit in Anspruch nehmen wird.

Gastronomie leidet

So wie der Stadt geht es im Grunde vielen, auch den Wirten, Clubbetreibern oder Hoteliers. Ganz oft ist die gesamte Beleuchtung mit der Außenbeleuchtung und den Werbetafeln verknüpft. Ein Wirt im Leonhardsviertel demonstriert die Sache und flucht, als alle Lichter ausgehen. „Die Stromkreise zu trennen würde nach Auskunft meines Elektrikers 1500 Euro kosten“, sagt er und fragt nach dem gesunden Menschenverstand der Bundespolitiker: „Warum verknüpft man so eine Verordnung nicht mit den jeweiligen Betriebszeiten. Gastro, Handel oder Banken haben doch unterschiedlich offen. Wenn in der Gastronomie die Lichter aus sind, denkt doch jeder, wir haben zu.“

Damit spricht der Wirt das aus, was der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) in Verhandlungen dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck klarzumachen versucht. „Man muss sich an den Öffnungszeiten orientieren“, bekräftigt ein Sprecher des Landesverbandes, „zudem fordern wir aus Gründen der Sicherheit und der Orientierung eine Beleuchtung 30 Minuten vor der Betriebsöffnung und 60 Minuten danach.“ Nach Lage der Dinge steht die EnSikuMaV vor ihrer ersten Novelle. Wenn nicht, so meint ein Gastronom, „dann gehen bei uns bald für immer die Lichter aus“.