Am Sonntagabend war Christian Lindner in der Sendung von Anne Will zu Gast. Foto: IMAGO/Jürgen Heinrich/IMAGO/Jürgen Heinrich

Der Finanzminister geht Moderatorin Anne Will an, ein Ökonom fordert 1000 Euro für alle, und die Studiogäste sind sich einig: Die Energiekrise trifft 2000-Euro-Verdiener am stärksten.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wird derzeit von allen Richtungen mit Hilferufen bombardiert, wie er am Sonntagabend bei Anne Will in der ARD berichtete: Unternehmen, namentlich die Bäcker, Krankenhäuser, Sportvereine, Kultureinrichtungen, Privatleute, Rentner – sie alle wollten von ihm eine Antwort auf die Frage, wie sie mit den „ruinösen Gaspreisen“ überleben sollen, berichtete Lindner. Eine Lösung versuchte diese ARD-Talkrunde zu präsentieren, und der Bundesfinanzminister ließ aufhorchen mit der Botschaft, dass er da eine Vorstellung habe, „in welche Richtung es mit einer Gaspreisbremse gehen“ könnte, auf jeden Fall müsse aber eine finanzielle Intervention des Staats flankiert werden von einer Ausweitung des Energieangebots durch das Halten von Kohle- und Atomkraftwerken am Netz, durch Energieeinsparung und eine gemeinsame Energieeinkaufspolitik der EU.

Lindner hat ein Geheimnis

So wenig wie Lindner das Geheimnis um sein Konzept für die Gaspreisbremse preis geben wollte, so wenig antwortete er auf das dreimalige Nachfragen von Anne Will, zu welchem Zeitpunkt er denn eigentlich auf Distanz zur Gasumlage gegangen sei, denn am vergangenen Mittwoch habe er doch noch behauptet, es brauche keine weitere rechtliche Prüfung dieser Umlage. Dass die Gasumlage den Gasverbrauch verteuere, „das fällt Ihnen jetzt erst auf?“, fragte Anne Will erstaunt. Lindner verwies darauf, dass bei der Gasumlage „die Federführung“ bei Wirtschaftsminister Robert Habeck liege, er selbst habe in seinen Äußerungen vom Mittwoch nur gesagt, dass es bei den Rechtsfragen keine Bedenken gebe, aber der ökonomische Sinn der Gasumlage sei ja etwas ganz anderes. Die leichten Spannungen zwischen Moderatorin und Bundesfinanzminister waren da schon erkennbar und eskalierten später bei der Frage von Anne Will, ob er mit seiner Vorbedingung für eine Gaspreisbremse – das zwei oder drei Atomkraftwerke weiterlaufen – nichts anderes beabsichtige, als den Grünen Habeck „zu quälen“. Da wurde Lindner dann leicht ungehalten und rüffelte die Moderatorin, dass er von ihr „ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit“ verlange.

Wo soll die Zustellerin noch sparen?

Sehr ernst und im Prinzip unwidersprochen waren die Analysen der Autorin Julia Friedrichs, des Wirtschaftsexperten Clemens Fuest sowie Nordrhein-Westfalens Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) darüber, wer denn nun von den steigenden Energiepreise am meisten getroffen sei. Friedrichs schilderte den Fall einer Postzustellerin und Gaskundin, die am Ende des Monats mit frei verfügbaren 15 Euro da stehe: „Die Frau weiß nicht mehr, wo sie sparen soll.“ Das 9-Euro-Ticket habe ihr für drei Monate eine gewisse Entlastung gebracht, jetzt zahle sie wieder 100 Euro für die Monatskarte. Leute mit einem Bruttoeinkommen von 2000 Euro fühlten sich „allein gelassen“. Friedrichs sprach sich dafür aus, in dieser Krisensituation auf die „große Vermögensballung“ zu schauen, etwa auf die Tatsache, dass jährlich 200 bis 300 Milliarden Euro vererbt werden und dass zehn Prozent der Bevölkerung zwei Drittel des Vermögens in Deutschland besäßen. Dass man diese Gruppen steuerlich nicht höher belaste, das verstehe sie nicht – sie blieb aber mit ihrer Position im Studio in der Minderheit.

Die untere Schicht „fällt durch den Rost“

Aber auch Clemens Fuest, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo, München) erinnerte daran, dass es ja nicht nur der Gas- sondern auch der Strompreis sei, der den Menschen zu schaffen mache: „Es ist die untere Mittelschicht, die durch den Rost fällt.“ Und auf diese „wirklich Bedürftigen“ müsse sich jede Hilfe konzentrieren.

In zwei Jahren keine Bäcker mehr

Der Christdemokrat Laumann sieht das ähnlich: „Wir müssen uns auf das untere Drittel der Einkommen konzentrieren.“ Etwa um Verdiener von Bruttoeinkommen bis 2300 oder 2400 Euro. Man müsse doch mal sehen, so der Sozialexperte Laumann, dass ein autofahrender Arbeitnehmer, der nur Mindestlohn verdiene, über die Pendlerpauschale rund 280 Euro zurück erstattet bekomme, bei einem Verdienst von 4000 Euro aber erhalte man 800 Euro zuück: „Aber der Sprit ist doch für beide gleich teuer.“ Wie enorm die Folgen der hohen Energiepreise aber sind, machte Laumann auch an anderen Beispielen deutlich. Wenn es so weiter gehe, habe man in zwei Jahren keine Bäcker mehr. Bäckereibetrieben würden jetzt neue Gasverträge angeboten, in deren Folge ein Brot nicht mehr vier Euro sondern sieben bis acht Euro kosten würde. „Nirgends ist die Energie so teuer wie bei uns.“

Hoffen auf die Gaspreisbremse

Auch Krankenhäuser seien stark betroffen,so Laumann: Eine 400- oder 500-Betten-Klinik habe bisher eine Million Euro für Energie ausgegeben, jetzt sollten es plötzlich zehn Millionen sein. Bei einem bisherigen Gewinn von zwei oder drei Millionen Euro sei das doch gar nicht machbar. Wenig begeistert war Laumann übrigens von der Möglichkeit, dass Arbeitgeber 3000 Euro steuerfrei als Inflationsausgleich zahlen können. „Eine ganz teure Geschichte“, so Laumann, und profitieren würden vermutlich wieder nur die „Privilegierten“, jene Arbeitnehmer, die ohnehin schon gut Tarifverträge hätten. „Der Schuss mit der Gaspreisbremse muss jetzt richtig sitzen“, forderte er.

Der Experte will 1000 Euro für alle

Davon ist Lindner überzeugt. „Es soll niemand hungern und niemand frieren“, sagte der Finanzminister über den nahenden Winter. Er setzt auf Gas- und Strompreisbremsen, von den Bürger und Unternehmen gleichermaßen profitieren. Widerspruch kam da vom Ifo-Präsidenten Clemens Fuest: Beides sei zu kompliziert und bürokratisch, die Preisbremsen seien eine Subvention, in ihrer Folge werde Gas und Strom aber nicht eingespart – infolgedessen werde deren Preis nicht sinken sondern weiter steigen. „Wir müssen doch alles tun, damit der Verbrauch reduziert wird.“ Fuest präsentierte einen eigenen Vorschlag: Man möge eine steuerpflichtige Energiepauschale von 1000 Euro auszahlen – mit der jeder Konsument dann klar kommen könne.

Diese Idee behagte dem Bundesfinanzminister allerdings wenig: Er sei gegen die 1000-Euro-Zahlung, die würde ja „enorm teuer“ für den Staat. An der Schuldenbremse will Lindner nicht rütteln.