Stadionsprecher Jens Zimmermann bei der Arbeit während der EM Foto: Rothfuß

Mit Moderator Jens Zimmermann beim Viertelfinal-Krimi im Stadion. „Live is life“ statt „Major Tom“? Gut, wenn man den Plan genau liest. Alles ist genau vorgeschrieben, doch dem Ende ist das Protokoll egal, da muss die Spannung raus.

Jens Zimmermann hebt die Stimme. Und das Mikro an den Mund. „Ladies and Gentlemen, please welcome the teams from Spain and Germany! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, bitte begrüßen Sie die Mannschaften aus Spanien und aus Deutschland!“

Bereits mittags beginnt der Dienst

Seine Stimme hallt im leeren Rund der Stuttgart-Arena, wie das ehemalige Neckarstadion während der Fußball-EM heißt. Die 54 000 Plätze sind leer. Es sind noch fünf Stunden zum Viertelfinale. Für Stadionsprecher Jens Zimmermann hat in seiner Heimatstadt aber längst der Dienst bekommen. Vor einer halben Stunde haben er und das Produktionsteam sich getroffen, um den 17 Seiten langen, ziemlich eng und klein beschriebenen Ablaufplan durchzugehen. Producer Florian Weiß ist auch Stuttgarter; bei vielen Sportveranstaltungen ist er schon für den Ablauf verantwortlich gewesen. Wie Zimmermann auch ist er bei den fünf Spielen in Stuttgart im Einsatz gewesen. Das Team kommt aus aller Herren Länder, pendelt zwischen München und Stuttgart. Amtssprache ist Englisch. Nun stehen sie also draußen zwischen Arena und den Containern, in denen sie später sitzen werden.

Warum Musik aus Österreich?

Nur Zimmermann ist im Stadion, er ist die Stimme und das Gesicht des Teams. Die anderen fahren hinter den Kulissen den Ton und die Videos ab. Ein Schiedsrichter gehört auch dazu, sagt Weiß, damit sie während des Spiels auf den beiden Videowänden keine strittigen Szenen zeigen, die Unruhe bei den Fans auslösen könnten. Routine haben sie also, doch heute könnte es ja auch in die Verlängerung und das Elfmeterschießen gehen. Auch dafür gibt es klare Vorgaben, was Zimmermann zu sagen hat. So darf er keinesfalls die Torschützen beim Elfmeterschießen beim Namen nennen. Warum? Das erschließt sich nicht. Dazu kommt es dann doch nicht. Aber warum bei den Deutschen beim Einlaufen zum Warmmachen „Live is life“ von Opus gespielt werden soll, kommt Zimmermann spanisch, pardon österreichisch, vor. Kann das sein? „Wir spielen ,Major Tom‘ also gar nicht?“, fragt er. „Außer bei einem deutschen Sieg am Ende?“ Dass sei der Wunsch des Teammanagements, sagt Weiß. Aber auch er gerät ins Zweifeln. „Wir fragen nach“, entscheidet er. Die Kanäle glühen. Eine Stunde später kommt die Antwort aus dem deutschen Lager. Natürlich „Major Tom“ beim Einlaufen, was auch sonst?

Alles nach Plan

Wie Opus da reingeraten ist, lässt sich nicht klären. Und wenn die beiden Stuttgarter nicht nachgehakt hätten, wäre der Song gelaufen. Und alle hätten sich gewundert. Denn der Plan ist heilig. Alles ist bis ins Kleinste geregelt. Was Jens Zimmermann sagt, was er sagen darf und was nicht, was für Musik gespielt wird. Und wann. Und wenn „Sweet Caroline“ auf dem Plan steht, dann wird das abgefahren. Zentral gesteuert. Selbst wenn 25 000 Schotten den Lieblingssong der englischen Erzrivalen hassen und sich die Seele aus dem Leib pfeifen. Aber es gibt aus welchen Gründen auch immer keinen DJ, nur eine Liste mit gut drei Dutzend Songs, die in allen Stadien und auf allen Fanzonen gespielt werden.

Jede Änderung ist ein Politikum

Selbst ein Halbsatz wird da zum Politikum. Bevor die Nationalhymnen gespielt werden, sagt Zimmermann immer, das Publikum möge sich erheben, „wenn Sie dazu in der Lage sind“. So wie er es schon seit Jahren bei Sportveranstaltungen macht. Im Ablaufplan ist dies aber nicht vorgesehen, das schreibt er immer wieder aufs Neue rein.

Bei so einem Ende taugt das Protokoll nicht mehr

Hin und wieder weicht er trotzdem ab. „Wir sind in Stuttgart doch ein faires Publikum“, sagt er, als bei jeder Erwähnung der Spanier lauthals gepfiffen wird. Und beim deutschen Ausgleich, da wird er deutlich lauter als bei der Ansage des 0:1. Nach drei Stunden Vorspiel mit Musik, Videos, Werbung schrumpft seine Rolle. Auswechslungen und Tore sagt er an, ehe er um 20.40 Uhr noch mal die Stimme hebt. Und das Mikro an den Mund. „Gratulation an die Mannschaft aus Spanien für das Erreichen des Halbfinals!“ Und dann ist ihm Protokoll ganz egal: „Euer Applaus für die Nummer 8, Toni . . .“ Und das Stadion antwortet: „Kroos!“