Ein Blick in den Laden, der bis mindestens Ende 2023 laufen soll Foto: Lichtgut//Leif Piechowski

Ein eigener Laden, das ist der Traum von vielen. Doch in Stuttgart, gerade in der Innenstadt, ist das unbezahlbar. Eigentlich. Doch in der Schmalen Straße hat sich nun in einem Gebäude der Stadt ein Kaufhaus der ganz eigenen Art entwickelt.

Die Schmale Straße. Wo ist die noch mal? Selbst viele Stuttgarter werden Probleme haben, sie auf Anhieb zu finden. Einstmals hatte hier der bekannte Wendelin Niedlich seinen Buchladen. Ansonsten findet man sich hier nur wenige Schritte von der Königstraße entfernt in einem der Hinterhöfe der Innenstadt wieder.

Hier glaubt man sich eher in Ludwigshafen denn in Stuttgart. Eingerahmt von zwei Zufahrten in unterirdische Parkhäuser hat sich das Quartier sehr sperrig erwiesen gegenüber den Mühen der Stadtplaner, Glanz zu entwickeln. Der Joseph-Süß-Oppenheimer-Platz ist in Beton gegossene Tristesse.

Warum braucht es das?

Was allerdings auch seine Vorzüge hat. Weil der Andrang der ansonsten das Stadtbild bestimmenden und vereinnahmenden Handelsketten überschaubar ist, darf die Wirtschaftsförderung das gegenüberliegende Gebäude der Stadt an der Schmalen Straße 9–13 bespielen. Mit einem Kaufhaus der eigenen Art und auf Zeit. Dass man das Konzept „Die Brycke“ nennt und mit „connecting people, business & ideas“ beschreibt – geschenkt, dass ist einfach dem Zeitgeist und dem Umstand geschuldet, Begriffe mit Marketingfloskeln aufzuladen und aufzuplustern. Dabei wäre das gar nicht nötig. Das macht man meistens, um Banales zu verkaufen. Doch 30 Menschen die Chance zu geben, ihre Waren, Ideen und sich selbst in der Innenstadt zu präsentieren, ohne sich dafür verschulden und ruinieren zu müssen, das ist alles andere als banal.

Wer ist dabei?

Iwona Wolf hat zwei Jahre lang in der Nürtinger Altstadt einen Laden betrieben. Sie verkauft ihre Kosmetik unter dem Label schöneschwestern. Sie kämpfte sich durch die Coronajahre, machte aber den Laden doch zu. Die Kosten zu decken ist für einen Einzelkämpfer fast nicht möglich. Deshalb verkauft Julia Kästle ihren Schmuck auf Designmessen und online. „Da kaufen die Stammkunden ein“, sagt sie. Aber wie an neue Kunden kommen? Das hat sich auch Natalia Kludt gefragt. Sie fertigt Taschen. In einem kleinen Atelier in der Nachbarschaft. Aber der Raum hat keine Fenster. Sie kann weder sich noch ihre Produkte präsentieren.

Wie sieht das aus?

Die Probleme kleiner Gewerbetreibender und Gründer sind nicht neu. Und münden in den Klagen, die Innenstädte seien ein Einheitsbrei der immer gleichen Marken und Geschäfte. Aber nur die Ketten können sich die bis zu sechsstelligen Mieten leisten. Da traf es sich gut, dass in dem städtischen Gebäude nach dem Auszug des Mieters 500 Quadratmeter auf zwei Stockwerken frei wurden. Bis Ende 2023 zumindest „möchten wir hier neue Geschäftsmodelle ausprobieren“, sagt der Wirtschaftsförderer Bernhard Grieb, „ganz bewusst haben wir einen Platz geschaffen für Verschiedenes.“ Im Erdgeschoss ist ein Ladenbereich, im Untergeschoss ist eine „Vision Hall“. Also ein großer Raum für Vorträge, Workshops, Treffen, Veranstaltungen.

Was kostet das?

Die Projektleiter Ines Gräther und Sebastian Reutter haben die Brycke sozusagen gebaut. Nicht mit Geld. Subventionieren darf die Wirtschaftsförderung nicht. „Wir wollen dem Handel keine Konkurrenz machen“, sagt Grieb, „aber wir wollen Möglichkeiten schaffen.“ Man muss zwar den marktüblichen Mietpreis verlangen, 30 Euro je Quadratmeter je Monat. Aber die Fläche wird Stück für Stück vermietet. Mieter können schon einen Quadratmeter erwerben oder zwei, fünf oder zehn. So bleibt die Summe für jeden Einzelnen erschwinglich.

Was nützt das?

Und ob Giselle Härer, die Schmuck aus Goldgras, Holzschnitzereien und Keramik aus Brasilien verkauft; ob Schareska Antequera de Friebertshäuser mit ihrer Naturkosmetik unter dem Label amo com soy; ob Dennis Keifer, der Wein aus Rohracker anbietet; Katharina Reichardt mit ihrer Marke von Pfauhausen (Kleidung aus Wolle für Kleinkinder); oder Annik Aicher und Christoph Soukop, die schwäbischen Wortsalat anrichten – sie alle schätzen das Beisammensein. „Es ist spannend, andere Konzepte kennenzulernen“, sagt Annik Aicher. „Im Gespräch merkt man, dass andere mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben“, sagt Julia Kästle, „wir können uns helfen und uns unterstützen.“ Alleine dadurch, dass man sich gegenseitig vertreten könne und nicht die gesamte Zeit bis 20 Uhr im Laden stehen muss. Wer immer da ist, ist Robin Stelter, ein Kiosk für nachhaltige Produkte. Nachhaltig und regional soll im Übrigen das sein, was hier verkauft wird. Zwei Etiketten, die heutzutage gerne gebraucht werden. Die man durchaus auch kritisch sehen könne, sagt Nana Boahene von Social Urban Nature. Sie verkauft selbst Gefertigtes aus Westafrika. Und fragt: Vergessen wir bei der Konzentration aufs Regionale nicht den Rest der Welt?

Wer ist immer da?

Stelter mag diese Zuschreibungen ohnehin nicht. Er hat Gastronomiekonzepte entworfen, ohne Biosiegel und Etiketten ins Schaufenster zu stellen. Sein Credo: „In der Region gibt es alles.“ Das möchte er mit einem Lieferdienst für Lebensmittel beweisen. Brötchen vom Königsbäck, Kaffee von Schwarzmahler aus dem Stuttgarter Osten. Er will Plattform sein für andere, die nicht in der Innenstadt präsent sind. Sein Café ist der zentrale Ort und Frequenzbringer in der Brücke. In Sichtweite seiner Kaffeemaschine sollen noch temporäre Arbeitsplätze entstehen, die man mieten kann. Wie überhaupt dieses Kaufhaus auf Zeit geplant ist. Und sich immer wieder neu erfinden soll. Alle drei Monate wechseln die Mieter. Um mehr Gründern eine Chance zu bieten. Um die Neugier wach zu halten. Damit die Schmale Straße eine bekannte Adresse wird.