Mitten auf der Straße laufen und irgendwann oben ankommen – nächtliche Spaziergänge sind großartig. Foto: Stadtkind/Kriebernig

Selbstgewählte Einsamkeit, Fledermäuse, Schattenspiele und Glühwürmchen auf der Karlshöhe – all das bietet die Zeit nach dem Sonnenuntergang. Eine Liebeserklärung an den Nachtspaziergang und all die Füchse, die man in Stuttgart treffen kann.

Stuttgart - Es ist dunkel und kalt, die Straßen sind leer, ab und an hört man in der Ferne Autos oder Katzen, die ihr Revier verteidigen oder einfach nur ganz dringend schmusen wollen. Wer nach der Dämmerung durch Stuttgart spaziert, erlebt eine Stadt, die Abenteuer verspricht, die sie meist auch tagsüber nicht einhalten kann. Es sind die verlassenen Viertel, Ampeln, die ihr rotes Licht ins Nichts leuchten und das Gefühl von Vagabundentum und Leichtsinn, das einen befällt, wenn man todesmutig mitten auf der Straße läuft. Ciao Alltag, ciao Bundesstraße in der 30er-Zone, die Stadt gehört jetzt mir!

Kälte, die sich wie ein Schal auf die Schultern legt

Für Menschen, die kein geregeltes 9-17-Uhr-Leben führen, ist Zeit sowieso relativ. Wie herrlich ist es, bis 22 Uhr unwichtige Mails zu beantworten und sich danach einfach die Schuhe anzuziehen. Raus mit dem Tag! Selbstgewählte Einsamkeit, Fledermäuse, suspekte Schattenspiele und Glühwürmchen auf der Karlshöhe – all das bietet die Zeit nach dem Sonnenuntergang. Gerne erinnere mich an den Fuchs auf der Hasenbergsteige, der mich bis zum Erwin-Schoettle-Platz begleitet hat – oder an diese magischen Nächte im Frühling, wenn die Luft schwirrt und sich die Kälte wie ein Schal auf die Schultern legt.

Doch auch der Sound ändert sich nachts zum Besseren: So ganz ohne Podcasts und Musik auf den Ohren, schwillt die Wahrnehmung anders an, lässt Geräusche aus dem Hintergrund zu und verändert die Kraft, der sonst so banalen Eindrücke. Wer seine Sinne schärft, kann den klanglichen Unterschied zwischen zankenden Mardern und Katzen ausmachen, behaupte ich mal tollkühn.

Ein Räuber fürchtet sich nicht im Räuberwald

In meinem Ohr wummert ein Satz, den ich mir wie ein Mantra aufsage, sobald mich ein komisches Gefühl überkommt: „Ein Räuber fürchtet sich nicht im Räuberwald.“ Und dennoch habe ich immer mein Smartphone dabei. Als Frau wird man schon in jungen Jahren sexualisiert, da machen Männer keinen Unterschied zwischen Minirock und Jogginghose. Selbstverteidigungskurse, die mir als Jugendliche ans Herz gelegt wurden, habe ich immer abgelehnt. Sollen doch lieber die Kurse machen, die sich nicht benehmen können.

Als ich noch in Wien gelebt habe, bin ich regelmäßig mit dem Schlüssel zwischen meinen Fäusten von der U-Bahn nach Hause gelaufen. Hier in Stuttgart schreie ich Männer an, die mich um halb eins anquatschen, um nach einem Musiktipp zu fragen. Um diese Zeit will ich nämlich meine Ruhe, um selbst der Räuberhauptmann zwischen den Füchsen zu sein.