Glitzerwelt im umstrittenen Gastgeberland: Das Khalifa International Stadium in Doha ist eines von Foto: IMAGO/MIS/IMAGO

Der ehemalige Vorstandschef des VfB Stuttgart richtet sich als „Botschafter Vielfalt“ des DFB an die Nationalspieler und spricht mit Blick auf deren Umgang mit der umstrittenen WM in Katar klare Empfehlungen aus – auch andere Teilnehmer der Diskussionsrunde reden Tacheles.

Thomas Hitzlsperger grüßte via Videoschalte aus Boston in den Pressekonferenzraum der DFB-Elf beim Ausrüster in Herzogenaurach. Auf Fortbildung sei er, berichtete der ehemalige Vorstandschef des VfB Stuttgart. Das passte ins Bild dieses frühen Nachmittags, den Hitzlsperger in den USA als frühen Vormittag im Hotelzimmer erlebte. Denn der Ex-Nationalspieler bildete am Mittwoch selbst fort und gab Tipps.

In seiner Funktion als „Botschafter Vielfalt“ des DFB war er von einem Bildschirm aus zum Dialogforum des Verbands zur WM 2022 in Katar zugeschaltet. Neben Hitzlsperger diskutierten einige Experten auf der Bühne über die Zustände im hochumstrittenen Gastgeberland. Die Zuhörer in den ersten Reihen waren prominent: Alle Nationalspieler sowie der Stab um den Bundestrainer Hansi Flick lauschten ein paar Tage vor der Partie in der Nations League gegen Italien am Samstag den Worten der Experten. Und manchmal, da schauten Joshua Kimmich, Thomas Müller oder Timo Werner da vorne in Reihe eins so konzentriert drein, als stünden sie vor dem entscheidenden Schuss im Elfmeterschießen.

Konzentriert wie beim Elfmeterschießen

Es müssen einige neue Erkenntnisse sein, die Flick und seine Jungs da so gewonnen haben knapp ein halbes Jahr vor dem Turnierstart. Gegen Ende der knapp einstündigen Veranstaltung jedenfalls kam Hitzlsperger zu Wort – und redete Klartext. Schon vorher diskutierten die Teilnehmer unter anderem über das Thema Homosexualität, denn gleichgeschlechtliche Liebe ist in Katar verboten. Es drohen drakonische Strafen, sogar die Todesstrafe ist theoretisch möglich, wenn ein homosexuelles Paar nur Händchen hält.

„Ich glaube nicht, dass der DFB und andere Verbände in den wenigen Wochen während der WM das Land verändern können“, sagte Hitzlsperger dazu. Die Situation im Land sei schwierig, so der DFB-Botschafter weiter. „Aber ich habe keine große Angst“, so Hitzlsperger, der sich in ein paar Wochen im Rahmen einer Dokumentation für die ARD in Katar als Experte „ein Bild vom Land machen“ möchte: „Man muss den Menschen eine Stimme geben, die vor Ort leben.“ Hitzlsperger hatte bekanntlich nach der aktiven Karriere seine Homosexualität öffentlich gemacht.

Und nun, ja nun richtete er sich bei seinem Vortrag direkt an die Nationalspieler, die ihn in ihrem Camp auf dem großen Bildschirm sahen. Jeder müsse es für sich entscheiden, wie weit man sich bei den dringlichen Themen rund um Katar wie den Menschenrechten, den Arbeitsbedingungen oder den Rechten Homosexueller mit Aussagen aus dem Fenster lehne, sagte Hitzlsperger: „Jeder Spieler muss wissen, wie viel Druck er zulässt, der öffentliche Druck kann manchmal vielleicht zu groß sein.“ Dann schloss der ehemalige VfB-Chef mit einer Aufforderung an Kapitän Manuel Neuer und dessen Kollegen. „Ich würde an die Spieler appellieren, nur über die Dinge zu reden, über die sie Bescheid wissen“, sagte Hitzlsperger. Man müsse auch mal sagen können, dass man über gewisse Dinge rund um Katar nicht in ausreichendem Maße informiert sei.

Empfehlungen und klare Ansagen

Hitzlspergers Empfehlungen kamen gegen Ende der Veranstaltung– bei der es auch schon vorher klare Ansagen gegeben hatte. So kritisierte Pia Mann von der Aktionsgruppe Discover Fußball, die sich unter anderem für Frauenrechte einsetzt, den Weltverband scharf. „Die Fifa hat sich vor einigen Jahren selbst Menschenrechtsstatuten auferlegt, die sie aber in Katar nicht verfolgt“, sagte sie auf dem Podium und richtete sich an den Kapitän Neuer im Auditorium: „Ich würde mir wünschen, dass ihr bei der WM auch wieder mit der Regenbogenbinde auflauft, das sind symbolische Zeichen, aber die machen viel aus.“ Schon ein Like an der richtigen Stelle im Netz könne etwas bewirken, rief sie der Smartphone-Generation der Nationalspieler zu. Nachfragen aus den ersten Reihen gab es dazu keine.

Auch der Fifa-Sicherheitsdirektor Helmut Spahn war wie Hitzlsperger per Video zugeschaltet und äußerte sich wenig überraschend wohlwollend über die Zustände in Katar. „Die Entwicklung, die das Land genommen hat, stimmt uns positiv“, sagte er.

Tacheles redeten daraufhin die auf der Bühne anwesenden Fanvertreter. „Die Lage in Katar hat sich nicht gebessert“, sagte etwa Martin Endemann von der Organisation Football Supporters Europe: „Es gibt keine Redefreiheit und keine Menschenrechte.“

Und am Ende, als sich Hitzlsperger in Boston schon ausgeklinkt hatte, sprach DFB-Direktor Oliver Bierhoff im Saal das Schlusswort. Er sehe in Katar „eine Entwicklung, aber das reicht in vielen Dingen nicht“. Der DFB werde daher „Position beziehen“, denn: „Der Fußball hat eine Verantwortung.“

Wie der DFB diese Rolle genau interpretiert, werden die nächsten Monate zeigen.

DFB-Training wieder ohne Reus

Krank
Bundestrainer Hansi Flick hat sich am Mittwoch mit 25 seiner WM-Kandidaten auf die Nations-League-Partie am Samstag (20.45 Uhr/RTL) in Bologna gegen Italien vorbereitet. BVB-Kapitän Marco Reus fehlte bei der Einheit am Vormittag weiter, er war wegen eines Infekts nicht angereist. Ein Einsatz gilt als unwahrscheinlich.

Plan
Nach der Partie in Bologna folgen für die deutsche Mannschaft die Partien in München gegen England (7. Juni), in Budapest gegen Ungarn (11. Juni) sowie am 14. Juni in Mönchengladbach gegen Italien.