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Sahra Wagenknecht stellt heute um 18 Uhr bei der LesART ihr neues Buch vor- Die Vorstellung im Neckar Forum ist ausverkauft

Esslingen - Für viele ist sie eine Ikone der Linken, doch was sie sagt, findet weit über ihre Partei hinaus Aufmerksamkeit. Sahra Wagenknechts Positionen sind eindeutig, ihr Herz schlägt links, und wenn es sein muss, zeigt sie auch mal Kante. Und die promovierte Volkswirtin versteht es, zu differenzieren. Das zeigt sie auch in ihrem neuen Buch „Reichtum ohne Gier“ (Campus Verlag, 19,95 Euro), das von vielen beifällig aufgenommen wurde - selbst CSU-Mann Peter Gauweiler fand viele Gemeinsamkeiten. Heute stellt Sahra Wagenknecht ihr Buch bei den Esslinger Literaturtagen vor. Die Lesung, die um 18 Uhr im Neckar Forum beginnt, ist mit fast 1000 Besuchern ausverkauft. Im Gespräch mit unserer Zeitung gibt die streitbare Politikerin und Publizistin Einblick in ihre Vorstellungen von einer gerechteren Wirtschaftsordnung.

Bereits der Titel Ihres neuen Buches macht neugierig: „Reichtum ohne Gier“. Lässt sich beides wirklich vereinbaren?

Wagenknecht: Echter Reichtum braucht keine Gier. Gier zerstört ihn sogar. Wir haben in Deutschland das Problem, dass dem riesigen Reichtum einiger weniger eine Mittelschicht gegenübersteht, die gegen den sozialen Abstieg kämpfen muss, und dass es immer mehr Armut gibt. So sollte eine Gesellschaft nicht aufgestellt sein. Wir brauchen deutlich mehr Leistungsgerechtigkeit und mehr soziale Gerechtigkeit. Das würde unsere Gesellschaft am Ende insgesamt reicher machen.

Sie plädieren für eine gravierende Neuorientierung unserer Gesellschaft. Unser Wirtschaftssystem ist jedoch fest gefügt. Sehen Sie Chancen für eine Neuorientierung?

Wagenknecht: Gesellschaften und Wirtschaftssysteme sind von Menschen gemacht. Wenn ein Wirtschaftssystem dazu führt, dass die Mehrheit Wohlstand verliert und dass man nicht mehr davon ausgehen kann, dass es den Kindern einmal besser gehen wird als ihren Eltern, dann muss man kritische Fragen stellen. Viele haben heute Zukunftsängste und viele, denen es noch gut geht, leiden unter Dauerstress und ständigem Druck. Da muss man sich überlegen, ob es nicht Alternativen gibt.

Aber es entspricht nicht unbedingt der Natur des Menschen, dass er den eigenen Besitz mit anderen teilen will. Wie wollen Sie diejenigen, die mit ihrer wirtschaftlichen Situation zufrieden sind, für neue Eigentumsformen begeistern?

Wagenknecht: Es geht nicht darum, den persönlichen Besitz zu teilen - es geht um das Wirtschaftseigentum, also das Eigentum an Unternehmen. Und auch da möchte ich unterscheiden: Wenn jemand sein Unternehmen selbst aufgebaut hat und wenn er voll für seine Firma haftet, hat er natürlich ein Anrecht, dass er davon profitiert, wenn das Unternehmen gut läuft. Aber wir haben heute immer häufiger die Situation, dass Firmen irgendwelchen externen Investoren gehören, die gar nichts mehr im Unternehmen tun, aber enormen Druck ausüben, dass kurzfristig maximale Renditen gemacht werden. Wenn dieses Geld aus dem Unternehmen herausgezogen wird, bringt das unsere Wirtschaft nicht voran, sondern schadet ihr. Und da sollte man darüber nachdenken, welche anderen Eigentumsformen es gibt.

Woran denken Sie dabei?

Wagenknecht: Dazu mache ich in meinem Buch Vorschläge. Es gibt sehr unterschiedliche Modelle, über die man je nach Branche reden kann. Wenn wenige Unternehmen den globalen Markt kontrollieren, wie wir das in der digitalen Wirtschaft kennen, tut uns das nicht gut. In anderen Bereichen finde ich es sehr interessant, dem Stiftungsgedanken zu folgen und Unternehmen so zu konstruieren, dass sie sich selbst gehören. Warum sollen nicht die, die in einem Unternehmen auf allen Ebenen die Leistung erbringen, die Eigentümer sein, die auch über den Kurs bestimmen?

Wir leben in einer globalisierten Welt, die Wirtschaft ist eingebunden in weltweite Regelungen. So leicht lässt sich der Tanker nicht in eine andere Richtung steuern ...

Wagenknecht: Auch das, was wir unter Globalisierung verstehen, ist Menschenwerk. Verträge kann man abschließen oder auch nicht. Alles ist politisch gemacht, und was man politisch macht, kann man auch wieder anders machen.

Viele sehen in Europa die einzige Chance, sich in einer globalisierten Welt zu behaupten. Weshalb wollen Sie einen anderen Weg gehen?

Wagenknecht: Ich bin sehr für europäische Zusammenarbeit und ich hoffe, dass wir in Europa nie wieder in eine Zeit zurückfallen, in der Völkerhass und Nationalismus dominieren. Doch die Brüsseler Technokratie wird von immer mehr Menschen als ihnen fremd und von ihrer Lebenswirklichkeit abgehoben wahrgenommen. Wir müssen nachdenken, welche Bedingungen es braucht, damit Demokratie funktionieren kann. Nach meiner Überzeugung funktioniert die Demokratie in Brüssel nicht. Das spricht dagegen, immer mehr Kompetenzen an die EU abzutreten.

Für Ihre Kritik an der EU erhalten Sie auch Beifall aus der rechten Ecke. Wie gehen Sie damit um?

Wagenknecht: Den Rechten geht’s doch um etwas ganz anderes. Die wollen zurück zum Nationalismus und dazu, dass die europäischen Völker nicht in Einigkeit leben. Dabei hilft ihnen die Politik der EU. Und auch der Euro spaltet Europa und spielt den Rechten in die Hand. Mehr Europa heißt nicht automatisch mehr EU.

Deutschland hat sich lange Zeit seiner sozialen Marktwirtschaft Erhardscher Prägung gerühmt, die auch das Wirtschaftswunder ermöglicht hat. Wie sind wir von diesem Weg abgekommen?

Wagenknecht: Die soziale Marktwirtschaft war ein Kompromiss, der irgendwann von den Wirtschaftseliten aufgekündigt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es das breite Einverständnis, dass wir nie wieder in Zustände zurückfallen dürfen wie in der Weimarer Republik mit ihrer Massenarbeitslosigkeit und ihrem Elend, weil das der Grund war, dass sich immer mehr Menschen vom demokratischen System abgewandt haben. Das ist in Vergessenheit geraten. Immer mehr Menschen haben heute das Gefühl, dass sich die Politik nicht für sie und ihre Belange interessiert. Sie wenden sich rechten Parteien zu, weil sie spüren, dass wir eine Politik haben, die sich an den Interessen einer Minderheit orientiert. Alle Umfragen zeigen, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung mehr soziale Gerechtigkeit will. Viele Menschen wählen rechts, um auf sich aufmerksam zu machen und der etablierten Politik zu signalisieren: Wir wollen, dass sich etwas ändert. Aber der Fehler ist: Die AfD steht nicht für eine soziale Wende.

Wer wie Sie konsequent seinen Weg geht, bekommt nicht nur Beifall. Was treibt Sie an?

Wagenknecht: Ich finde, dass man sich mit den Verhältnissen, wie sie heute sind, nicht abfinden darf. Wenn man in der Position ist, auf Missstände aufmerksam machen und Alternativen aufzeigen zu können, dann ist man auch verdammt verpflichtet, das zu machen.

Gibt es manchmal Momente, in denen Sie einen Anflug von Resignation spüren - oder darf man sich den als Politiker gar nicht leisten?

Wagenknecht: Natürlich gibt es Momente, in denen man müde ist oder das Gefühl hat, dass die eigene Kraft vielleicht doch nicht ausreicht, etwas zu verändern. Aber wenn ich sehe, wie viele positive Reaktionen ich bekomme, dann stellt sich wieder das Gefühl ein, dass ich für meine Positionen mehr Rückhalt habe, als sich das in den Wahlergebnissen ausdrückt.

Und wie wird unsere Gesellschaft in 20 Jahren aussehen?

Wagenknecht: Dafür stellen wir jetzt die Weichen. Es gibt zwei Optionen: Entweder wird die Gesellschaft sozial weiter zerfallen. Dann wird es vielleicht eine Antwort von Rechts geben, die ganz übel ist. Oder es gelingt uns die Wende hin zu einer Politik, die die sozialen Interessen der Mehrheit in den Mittelpunkt stellt. Ich wünsche mir, dass wir zu einer Gesellschaft zurückkehren, in der das Ziel „Wohlstand für alle“ wieder im Mittelpunkt steht. Dafür zu kämpfen lohnt sich.

Das Interview führte Alexander Maier.

Sahra Wagenknecht persönlich

Sahra Wagenknecht wurde 1969 als Tochter einer Deutschen und eines Iraners in Jena geboren. In der DDR wurde ihr ein Studium verweigert mit der Begründung, sie sei „nicht genügend aufgeschlossen ... fürs Kollektiv“. Nach der Wende studierte Sahra Wagenknecht zunächst Philosophie und Literaturwissenschaft, ihre Promotion schrieb sie in Volkswirtschaft. Ihre politische Karriere begann Anfang der 90er-Jahre zunächst im Parteivorstand der damaligen PDS, von 2010 bis 2014 war sie stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke, wo sie zu den Leitfiguren des linken Flügels zählte. Von 2004 bis 2009 war Wagenknecht Abgeordnete im Europäischen Parlament, seit September 2009 ist sie Bundestagsabgeordnete. Im vergangenen Jahr wurde sie zur Fraktionsvorsitzenden gewählt.