Wo Boote fahren sollten, gehen die Menschen jetzt zu Fuß – und tragen ihre Waren. Foto: AFP/Michael Dantas

Die trockenen Amazonasflüsse bedrohen das Weltklima. Der Rio Negro, einer der wichtigsten Zuflüsse des Amazonas, weist einen historischen Pegeltiefstand auf.

Es sind Bilder, die an apokalyptische Filme erinnern. Man sieht gebeugte Männer mit großen Bananenstauden auf dem Rücken über eine scheinbar unendliche rotbraune Erde laufen. Weit und breit nur Hitze, Sonne und vor allem Dürre. Da, wo eigentlich Wasser fließen und Boote fahren sollten, gehen die Menschen jetzt zu Fuß und schleppen Ware und Lebensnotwendiges zu Fuß durch das Flussbett. Willkommen am Rio Negro, dem schwarzen Fluss, einem der größten Zuflüsse des mythischen Amazonas in Brasilien.

Dieses wie schon das vergangene Jahr ist der Rio Negro, der vor allem durch den Bundesstaat Amazonas und seine Hauptstadt Manaus verläuft, besonders von Trockenheit betroffen. Der zweitgrößte Nebenfluss des Amazonas sank Mitte Oktober auf den niedrigsten Pegelstand seit Beginn der offiziellen Messungen vor 121 Jahren. Dort, wo er normalerweise über 30 Meter tief ist, waren es nur noch knapp 13 Meter. Und der traurige Rekord bestätigt, dass dieser Teil des größten Regenwaldes der Welt seine schlimmste Dürre erlebt, und das nur gut zwei Jahre nach der schlimmsten Überschwemmung. Insgesamt sind dieses Jahr mehr als ein Drittel Brasiliens von der extremen Trockenheit betroffen, wie das Nationale Zentrum für die Überwachung von Naturkatastrophen (Cemaden) mitteilt.

Fanal für die Krise eines der wichtigsten Ökosysteme der Welt

Dabei steht besonders der Rio Negro als Fanal für die Krise eines der wichtigsten Ökosysteme der Welt. Der Wasserweg versorgt etwa zehn Prozent des Amazonasbeckens und ist gemessen am Wasservolumen eigentlich der sechstgrößte Fluss der Welt. Und seine Dürre sowie die der anderen Zu- und Nebenflüsse des Amazonas zeitigt noch einen erheblichen Schaden: sie befeuert im wahrsten Sinne des Wortes die ohnehin verheerenden Waldbrände in Amazonien. Und beides zusammen bedroht die globale Klimastabilität.

Gewaltiges Biotop im Herzen Südamerikas Foto: Zapletal/Lange

Bis Mitte September waren nach Angaben des WWF bereits mehr als 83 000 Feuer verzeichnet worden. In den ersten neun Monaten des Jahres seien insgesamt 220 380 Quadratkilometer durch Waldbrände vernichtet worden, was einer Zunahme von 150 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2023 entspricht, heißt es in einem Bericht der Initiative Mapbiomas“ des brasilianischen Observatório do Clima. Die Fläche entspricht etwa 2,6 Prozent der Fläche des größten Landes Lateinamerikas, und sie ist fast so groß wie ganz Rumänien. „Der Amazonas nähert sich dem gefährlichen Kipppunkt“, warnt daher Roberto Maldonado, Lateinamerika-Experte beim WWF Deutschland. Dann würde aus dem feuchten Regenwald unwiderruflich eine trockene Steppe werden. Das brasilianische Weltrauminstitut Inpe schätzt, dass dieser kritische Punkt bei einer Vernichtung von 25 Prozent der Gesamtfläche des Amazonas-Regenwaldes eintritt. Mindestens 20 Prozent sind schon abgeholzt.

Der Amazonas-Regenwald ist die grüne Lunge der Welt

Die aktuelle Dürre setzt der wichtigsten globalen Lebensader zu und bedroht das Leben nicht nur der Menschen in der unmittelbaren Umgebung, sondern des gesamten Planeten. Denn der Amazonas-Regenwald ist die grüne Lunge der Welt und ein wichtiger Faktor beim Regulieren der globalen Temperatur. Insgesamt umfasst der Amazonaswald mit seinen 7,8 Millionen Quadratkilometern mehr als anderthalbmal das Gebiet der Europäischen Union und ist somit das größte tropische Regenwaldgebiet der Erde. Der Urwald erstreckt sich über Brasilien, das knapp 60 Prozent des Waldes beheimatet, Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Guyana, Peru, Surinam und Venezuela.

In dem Regenwald finden 25 Prozent des Kohlenstoff-Austauschs zwischen Atmosphäre und Biosphäre statt. Zudem beherbergt der Dschungel etwa zehn Prozent der weltweiten biologischen Vielfalt, um deren Erhalt gerade im kolumbianischen Cali auf der UN-Artenschutzkonferenz (COP 16) knapp 200 Länder ringen. Und zuletzt: ein Drittel der Süßwasserreserven fließt durch den Amazonas und seine zahlreichen Nebenströme.

Auch die Menschen vor Ort leiden

Insofern ist eine Dürre wie die am Rio Negro und andernorts nicht nur ein lokales oder nationales Problem, sondern Anlass für ernste Sorge um die globale Klimastabilität. Aber auch die Menschen vor Ort leiden und müssen neue Formen der Existenzsicherung finden. Denn im Amazonasgebiet sind traditionell die Flüsse das, was in anderen Gegenden die Straßen sind: Verkehrs- und Versorgungsadern für die Menschen, die hier leben. Aber wenn kein Wasser mehr da ist, müssen die Anwohner manchmal kilometerweit durch die Flussgründe laufen, um ihre Ernte einzufahren, Handel zu treiben oder auch nur Wasserkanister zu transportieren. Ohne den Fluss steht das Leben im Amazonas mancherorts weitgehend still.

Zudem fördert die Trockenheit die gigantischen Müllberge zutage, die in die Flüsse geworfen wurden und die Amazonas-Wasserwege zu den verschmutztesten der Welt machen. Ökologen schätzen, dass jedes Jahr zwölf Millionen Tonnen Plastik in die Gewässer entsorgt werden.