Saeid Alizadeh bei der Gesellenprüfung zum Fahrzeuglackierer Foto: Schule für Farbe und Gestaltung/F. Winkler

Saeid Alizadeh hat es geschafft: Der Flüchtling aus dem Iran hat seine Gesellenprüfung als Fahrzeuglackierer bestanden. Sein Schulleiter sagt: Ohne das von der Stadt Stuttgart finanzierte Ausbildungsmanagement wäre er chancenlos gewesen.

Der Anfang in Stuttgart war für Saeid Alizadeh schwer. Seit sieben Jahren ist der gebürtige Iraner hier, in Deutschland. Im Herbst 2019 begann er seine Ausbildung als Fahrzeuglackierer. Zu Beginn sei er in seiner Berufsschulklasse gesessen und habe sich gefragt: „Was sagt die Lehrerin?“ Der mittlerweile 33-Jährige erklärt: „Das große Problem war bei mir die Sprache. Denn man muss ja alles auf Deutsch lernen, auch Mathe.“ Auch in seinem Betrieb in Steinenbronn sei das im ersten Lehrjahr „sehr schwer“ gewesen. Dass er sich inzwischen verständigen kann und sogar seine schriftliche Gesellenprüfung bestanden hat, wenn auch gerade so, wie Felix Winkler sagt, der Leiter der Schule für Farbe und Gestaltung in Feuerbach, sei nur der Ausdauer des Berufsschülers zu verdanken und zahlreichen Zusatzfördermaßnahmen. „Ohne diese wäre er chancenlos gewesen“, sagt Winkler.

Stadt Stuttgart reagiert auf Alarm der Berufsschulen

Der Iraner gehört zum ersten großen Schwung an Neuzugewanderten, die in Stuttgart 2019 eine Lehre begonnen haben. Von denen konnten damals rund drei Viertel der 1071 Flüchtlingsazubis nicht ausreichend Deutsch. Das ergaben die von Stuttgarter Schulleitern initiierten Sprachtests. Winkler schlug als geschäftsführender Schulleiter der gewerblichen und hauswirtschaftlichen Schulen Alarm, denn er sah 72 Prozent der Flüchtlingsazubis bei der Ausbildung „akut gefährdet“. Die Stadt Stuttgart installierte daraufhin Ausbildungsmanager, die die Flüchtlingsazubis praktisch an die Hand nehmen, sich individuell um deren Förderbedarf kümmern und das Bindeglied sind zwischen Berufsschule, Betrieben, Kammern und Sprachangeboten. Seit dem Schuljahr 2019/20 sind sechs Ausbildungsmanager/-innen an acht Berufsschulen im Einsatz. Dass diese nun unbefristet arbeiten dürfen, wertet Winkler als starkes Signal des Gemeinderats. Das zeige: „Man nimmt uns ernst.“ Diese Investition lohne sich, auch vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels und einer Wirtschaft, die händeringend nach Azubis sucht.

Deutschkenntnisse als Schlüssel

„Nach drei Jahren zeigen sich die ersten Erfolge“, berichtet Winkler. Dies belegten auch Tests und Einschätzungen durch die Deutschlehrer. So konnte der Anteil der Flüchtlingsazubis, die nur rudimentäres Deutsch auf A1/A2-Niveau können, von 38 Prozent im Schuljahr 2018/19 auf 25 Prozent im aktuellen Schuljahr gesenkt werden. Im Gegenzug sei es gelungen, den Anteil jener Lehrlinge, die sich auch mit komplexeren Themen sprachlich zurechtfinden und sich auf B2-Niveau an Fachdiskussionen beteiligen können, von 12 auf 30 Prozent zu steigern. Der Anteil der Azubis auf dem B1-Bereich, also dazwischen, die Standardsprache verstehen und kurze Erklärungen abgeben können, liege weiterhin bei knapp der Hälfte. Aber, so Winkler: „Wer in eine Ausbildung geht, braucht mindestens B2 in Deutsch. Denn es geht bei uns auch ganz stark um Fachsprache.“

Stuttgart stockt Förderung auf

Auch in puncto Deutschlernen geht man in Stuttgart einen eigenen Weg. Der Grund: Die Standardförderung im Rahmen der Berufsschule reiche nicht aus, um sprachliche Defizite auszugleichen. Statt einer Stunde Deutsch pro Woche bekommen Saeid Alizadeh und seine Mitschüler neun Stunden. Drei Stunden organisiert die Schule intern, vier weitere Stunden laufen über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Ganz zu schweigen von den ausbildungsbegleitenden Hilfen, die das Jobcenter finanziert. Das bedeutet für die Schüler: Pauken auch am Freitagnachmittag oder am Samstag. Der Iraner sei „eigentlich ein Musterschüler, denn er hat alle Angebote mitgenommen“, sagt Winkler: So eine große Anstrengung, um dann gerade so durchzukommen. In der Berufspraxis hingegen sei er gut. Saeid Alizadeh erklärt: „Ich liebe meinen Arbeitsplatz, die Firma, die Aufgabe.“ Dass er dafür öffentlich anderthalb Stunden einfach zwischen seiner Wohngemeinschaft in Münster und Steinenbronn pendeln muss, nimmt er in Kauf. „Die Schule hat mir viel geholfen.“

Zwanzig Prozent Durchfaller gelten noch als Erfolg

An Winklers Berufsschule haben acht der 40 neuzugewanderten Azubis die schriftliche Gesellenprüfung aufgrund der Sprachprobleme nicht bestanden – trotz der vielen Maßnahmen. Also 20 Prozent, sagt Winkler, und wertet dies trotzdem als Erfolg, denn: „Ohne das Ausbildungsmanagement schätzen wir die Durchfallquote auf 50 Prozent.“ Die meisten Durchfaller würden dann das dritte Lehrjahr wiederholen. Beeindruckt zeigt sich der Schulleiter auch davon, dass an den Stuttgarter Berufsschulen mittlerweile 50 Nachhilfetandems entstanden seien und Berufs- und Fachschüler unentgeltlich ihre neuzugewanderten Schulkameraden beim Lernen unterstützten, zusätzlich zu einer 40-Stunden-Woche.

Für das Stuttgarter Modellprojekt interessierten sich auch viele andere Bundesländer, Städte und Gemeinden. In Stuttgart nähmen Kammern und Betriebe diese Herausforderung gemeinsam mit den Berufsschulen systematisch an, berichtet Felix Winkler. Als zukunftsweisend sieht der Schulleiter das Konzept des Ausbildungsmanagements auch im Blick auf die ukrainischen Flüchtlinge. Im dualen System seien diese bisher noch nicht gelandet. „Die aktuelle Umfrage hat gezeigt, dass viele in den Vorbereitungsklassen (VABO) bleiben, um Deutsch zu lernen.“

Modellprojekt Stuttgarter Ausbildungsmanagement

Personal
An acht Stuttgarter Berufsschulen unterstützen Ausbildungsmanager-/innen die Flüchtlinge individuell und moderieren zwischen Berufsschule, Betrieb, Kammern und Sprachanbietern. Das finanziert die Stadt Stuttgart, inzwischen sogar als Regelangebot.

Azubis
Insgesamt konnten bisher für mehr als 750 Azubis an acht Stuttgarter Berufsschulen zusätzliche Sprachförderung, ausbildungsbegleitende Hilfen, individuelle Nachhilfe und weitere Unterstützungsmaßnahmen organisiert werden. Aktuell sind in Stuttgart insgesamt 1200 Flüchtlinge in der dualen Ausbildung. ja