Der dritte Corona-Herbst steht bevor – was haben wir gelernt? Unser Kolumnist geht auf Antwortsuche.
Was haben wir Statistiken gewälzt in den Jahren 2020 und 2021. Sieben-Tages-Inzidenz, Hospitalisierungsrate, Herdenimmunität. Corona hat viele von uns zu Hobby-Immunologen werden lassen, allerdings nur ausgestattet mit Halb- bis Dreiviertelwissen, alle aber einig in ihrem Stöhnen über zu hohe Corona-Zahlen und die damit verbundenen Einschränkungen. Diese Zeiten sind vorbei, die Diskussion um Inzidenzen und darüber, welche Maßnahmen nun eigentlich angemessen sind, haben sich verzogen. Die Viren auch? Nein.
Wer dieser Tage wieder das altbekannte Zahlenwerk hervorholt, wird feststellen müssen, dass es im dritten Coronajahr nicht viel an Aktualität und auch Dramatik verloren hat. Leider. Die Sieben-Tages-Inzidenz lag im Kreis Böblingen laut dem jüngsten Bericht des Landesgesundheitsamtes bei 639,6, was nur minimal unter dem Landesschnitt liegt. Hat der Wert Aufsehen erregt? Kaum bis gar nicht. Dabei sind die Zeiten, in denen bei einer Sieben-Tages-Inzidenz von 50 das öffentliche Leben maximal ausgebremst wurde, noch gar nicht lange her. Und die offizielle Inzidenz bildet ja nur diejenigen Fälle ab, die amtlich registriert wurden. Damals wie jetzt dürfte die Dunkelziffer an Infektionen deutlich höher liegen.
Rekord bei Klinikeinweisungen
Stichwort: Hospitalisierungsrate. Sie wurde bald zum eigentlichen Gradmesser für die Schwere der pandemischen Lage, zeigt sie doch unmissverständlich, wie sehr das Virus gerade wütet. Die Häuser des Klinikverbunds Südwest, zu denen die Krankenhäuser im Kreis gehören, registrierten in der Vorwoche 136 stationäre Patienten mit einer Corona-Infektion. Das ist der höchste je registrierte Wert. Und er steht in einem krassen Missverhältnis zur öffentlichen Wahrnehmung, nach der Corona seinen Schrecken verloren zu haben scheint. Hat es aber nicht.
Virologen warnen vor der nächsten Herbstwelle, die vor allem auf das Konto von weiteren Mutanten und Sub-Mutanten des Virus geht. Zwar sei derzeit in Deutschland die Omikron-Variante BA.5 vorherrschend, sagen die Experten. Doch wie bei den bisherigen Wellen auch, baut sich bereits die nächste Welle auf. Die Mutation hört auf den Namen BQ.1.1 und bereitet den Virologen vor allem deswegen Sorgen, da sie in der Lage sein könnte, den Impfschutz und jenen durch überstandene Covid-Infektionen zu umgehen.
All das deutet auf den nächsten Corona-Herbst hin und darauf, dass wieder mit Einschränkungen im öffentlichen Leben zu rechnen ist. Denn die Schwere der Infektionen mag erfreulicherweise nachgelassen haben, doch die Erkrankten haben dennoch unter der Infektion zu leiden, fallen meist viele Tage am Arbeitsplatz aus. Parallel zur aktuellen Corona-Welle baut sich im Unterschied zu vorigen Wellen eine Grippewelle auf. Diese spielte bei vorherigen Wellen nur eine sehr untergeordnete Rolle, da sie sich aufgrund der vielen Schutzmaßnahmen gegen Corona nicht ausbreiten konnte. Vorsicht ist geboten.
Belastet ist abermals das Gesundheitssystem und allen voran der Klinikverbund Südwest. Wenn Alexander Schmidtke am 1. Dezember seinen Posten als neuer Geschäftsführer des Verbunds antritt, wird er vom ersten Tag an alle Hände voll zu tun haben. Das Personal ist ausgezehrt von bald drei Jahren Coronapandemie und die finanzielle Situation des Unternehmens ist ebenfalls weit davon entfernt, gesund zu sein. Ein Defizit von 32 Millionen Euro ist 2021 im Verbund aufgelaufen, 2022 dürfte kaum besser ausfallen. Dazu kommen zu erwartende Kostensteigerungen beim Flugfeld-Klinikum sowie die Mammutaufgabe der vertieften Fusion der beiden Konzernbereiche Böblingen und Calw.