Auch kleidsam im Schatten eines Wüstenschiffs: Die Schauspielerin und Sängerin Dunja Rajter in den 70ern im Badeanzug. Foto: imago//Helmut Reiss

Endlich Sommer! Unsere Redakteure verraten, auf welche Dinge sie in der heißen Jahreszeit auf keinen Fall verzichten wollen. Heute: der Badeanzug

In der Ahnengalerie des schwäbischen Wohnzimmers hing ein ebenso lustiges wie imposantes Foto: die norddeutschen Urgroßeltern Gustav und Friederike am Nordseestrand der 20er Jahre. Wie zwei preußische Standbilder wuchsen sie, die zusammen gut vier Zentner auf die Waage brachten, aus den Wellen. Er trug eine knielange schwarze Badehose mit langen Trägern wie ein Ringer. Sie ein dunkles Badekleid, das Schenkel und Oberarme bedeckte. Dazu eine sich aufwölbende, pickelhaubenartige Kappe. Diese beiden, das war sonnenklar, konnte nichts umwerfen. Keine Seewinde, keine politischen Stürme ihrer Zeit, kein steigender Cholesterinspiegel. Und schon gar kein dahergeschwommenes Schönheitsideal.

Vielleicht liegt es an dieser frühkindlichen Prägung, dass die Urenkelin durch alle Modewellen stets den Badeanzug als einzig adäquate Bekleidung im und am Wasser ertrug. Kommt er doch stoffmengenmäßig den Badekostümen ihrer Vorfahren am nächsten.

Nur 5 Prozent der Ü-60-Jährigen tragen Bikini

Tatsächlich teilt sich der weibliche Teil der Menschheit in Bikini- und Badeanzugfrauen, wobei die Präferenz je nach Lebensalter schwankt. In einer Emnid-Umfrage gaben 57 Prozent der Unter-40-Jährigen an, in Bädern und an Meeren den Zweiteiler zu tragen, nur 26 Prozent entschieden sich für den Badeanzug. Bei den Ü50-Jährigen hingegen griffen 60 Prozent zum Einteiler, nur 5 Prozent zum Bikini. Der Rest trug Tankinis, Shorts, ging nackt baden oder nie.

Weil wir – selbstverständlich zutiefst frauen- und Bodypositivity-bewegt – jeder zugestehen zu tragen, was sie will, soll das aber keine Bikini-Schelte werden, sondern ein Plädoyer für die Reize des Einteilers. (Wobei Bikini-Fans klar sein muss, dass sie bisweilen aussehen wie ein nachlässig verschnürtes Paket.)

Der Badenanzug jedenfalls ist ein wunderbares Modell für jene, die mit der Alles-muss-raus(hängen)-Mentalität des Sommers ohnehin fremdeln. Er ermöglicht auch in feuchten Kontexten – je nach Schnittmuster –, nur das Nötigste ans Licht bringen zu müssen. Dazu trägt der Einteiler Seriosität und Haltung bereits im Namen.

Er ist nicht nach einem verstrahlten Pazifik-Atoll benannt, er will weder im Mühlacker Freibad noch am Strand von Warnemünde Exotik vorgaukeln. Er ist schlicht ein Anzug. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nur einen Rock oder eine Hose dazu kombiniert, schon ist frau vollständig bekleidet.

Der Badeanzug will gar nicht am Strand einschlagen wie eine Atombombe. Er hat in seiner Urform etwas Stilvolles, Geradliniges, den Körper in aufgeheizten Zeiten Stabilisierendes. Zuverlässig schützt er die Trägerin vor totaler Blöße. Nicht vorstellbar, dass ihn ein Wellengang vom Körper reißen könnte wie so eine windige Konstruktion aus Stricken und Stoffdreiecken.

Kleidung als „zivilisiertes Liebesmittel“

Apropos oben ohne. Wer Kleidung wie Robert Musil als „zivilisiertes Liebesmittel“ versteht, als „mit erotischer Spannung geladenen Kelch“, der das verborgene Darunter erst „fürchterlich begehrenswert“ macht, für den ist der Badeanzug alternativlos. Indem er nicht nur Geschlechtsmerkmale ausreichend bedeckt, sondern auch das erotische Reich dazwischen, ist er das eigentliche Aphrodisiakum an jedem Baggersee.

Ob die Urgroßeltern derlei im Kopf hatten, als sie in ihren Badekleidern die Wellen der Nordsee brachen? Das bleibt wohl auf immer in den Tiefen derselben verborgen.