Wo in den vergangenen Jahren noch eine große Tanne stand, hält jetzt ein Mini-Baum, aufgestellt von zwei Mitgliedern der Mettinger Kirchengemeinde, die Stellung. Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Aufreger in den Esslinger Außenbezirken: „Ich bin noch klein und jung an Jahren, denn die Stadt ES – die muss sparen.“ So erklärt ein Plakat den Mini- Christbaum vor der Mettinger Liebfrauenkirche. Mitglieder der Kirchengemeinde haben Tännchen samt Poster aufgestellt. Denn wegen der Haushaltssperre hat die Stadt dieses Jahr nur zwei Bäume in der City postiert.

EsslingenZiemlich mickrig sieht es aus, das Weihnachtsbäumchen vor der Liebfrauenkirche. Vor allem, wenn man wie viele Mettinger die Prachtexemplare aus den vergangenen Jahren vor Augen hat. „ Ich bin noch klein und jung an Jahren, denn die Stadt ES – die muss sparen“, liefert das festgekettete Schild daneben die Erklärung für das nicht einmal mannshohe Gewächs. Und wer genau hinschaut, entdeckt den Smiley auf der Christbaumspitze. „Von uns stammt das alles nicht“, stellt Rathaussprecher Roland Karpentier klar. Nein, da muss wohl eine noch höhere Macht eingegriffen oder wenigstens ihren Segen dazu gegeben haben.

Doch der Reihe nach: Ende Oktober hatte die Stadt den Bürgerausschüssen angekündigt, wegen der Haushaltssperre in diesem Jahr in den Stadtteilen keine Weihnachtsbäume aufzustellen. Einsparpotenzial laut Brief: rund 15.000 Euro. Gesagt, getan: Nur noch vor dem Alten Rathaus und auf dem Bahnhofplatz hat das Grünflächenamt zwei prächtige Nordmanntannen setzen lassen. Mit Bedauern und wohlwissend um die „identitätsstiftende Wirkung der Weihnachtsbäume für die Stadtteile“, wie Bürgermeister Wilfried Wallbrecht an die Bürgerausschüsse geschrieben hatte.

Mettinger Micker-Bäumle

Das kam in der Tat bei etlichen Bürgern gar nicht gut an. Claudia Clauss, die in der Nachbarschaft der Liebfrauenkirche wohnt: „Es war immer so schön, wenn die Kinder mit der Kerze in der Hand nach dem Weihnachtsgottesdienst vor dem Baum standen.“ Seitdem sie das Foto mit dem Mettinger Micker-Bäumle in die sozialen Netzwerken gestellt hat, geht dort die Post ab. Aber wer hat den nun Baum und Plakat aufgestellt? Das tut nichts zur Sache, findet Hausherr Pfarrer Peter Rohde. Dennoch sei die Frage hier wenigstens ansatzweise beantwortet: „Es sind zwei unserer evangelischen Gemeinde sehr verbundene Leute.“

Rohde findet andere Fragen viel wichtiger. Zum Beispiel, ob es in Anbetracht von zwölf parkenden Reisebussen am Vorabend des ersten Advents an der Mettinger Straße konsequent sei, auf dem Weg zum florierenden und von der Stadt konsequent vermarkteten Weihnachtsmarkt auf Weihnachtssymbole zu verzichten. Oder warum die Weihnachtsbäume nur in den sogenannten „Außengemeinden“ dem Rotstift um Opfer fallen sollten und nicht auch in der Stadtmitte. Und überhaupt: Wie könne man sich ausgerechnet in diesen Zeiten ein Symbol im öffentlichen Raum ersparen, das auch in kalten Zeiten mit seiner beständigen Grünkraft „Heil und Leben“ mit sich bringe und zu einem Fest gehöre, bei dem es um „Frieden auf Erden“ gehe.

Da muss auch Rathaussprecher Roland Karpentier schwer schlucken. Er verweist auf die Haushaltssperre und die eingefrorenen Budgets. „Wir könnten davon gar nicht abweichen, sonst bekämen wir Probleme mit der Rechtsaufsicht.“ Viele Anrufer, die sich im Rathaus nach den fehlenden Bäumen erkundigt haben, hätten dafür auch Verständnis gezeigt. Auch Gerd Küpper, Bürgerausschussvorsitzender von Mettingen, Brühl und Weil, hätte persönlich kein Problem damit gehabt, ein Jahr lang ohne Baum im Stadtteil auszukommen. Aber in der Bürgerschaft sind die Christbäume offenbar noch tief verwurzelt. „Wir haben gleich gesagt, wir kümmern uns darum, bevor der große Aufschrei kommt“, berichtet beispielsweise Aglaia Handler, Bürgerausschussvorsitzende aus Berkheim. Sich die komplette Dienstleistung samt Baum und Beleuchtung bei der Stadt einzukaufen, „wäre mit 4500 Euro aber viel zu teuer gewesen.“ Stattdessen hat der Bürgerausschuss einen Aufruf im Berkheimer Blättle gestartet– mit „überwältigend vielen Rückmeldungen“. Und so steht dort im Zentrum, wo sonst immer die städtische Tanne prangte, das Prachtexemplar eines privaten Spenders, aufgestellt von den Narrenbaum-erfahrenen Erlenwölfen. Die Unkosten finanziert eine Firma, Bürgerausschuss und mehrere Vereine springen im Notfall zudem ein. Handler: „Wir haben noch nie so viele Likes bekommen wie auf unseren Post, dass wir einen Weihnachtsbaum haben.“ Aber sie weiß auch um die Gefahr solcher Freiwilligkeitsleistungen. „Ich habe Verständnis für die Stadtteile, die nichts machen. Man muss sich schon fragen, ob 15.000 Euro so viel Ärger bei den Bürgerinnen und Bürgern wert ist. Ich gehe jedenfalls fest davon aus, dass die Stadt diese Aufgabe im kommenden Jahr wieder übernimmt. “ Das unterschreibt auch Christoph Rist, stellvertretender Bürgerausschusschef von Wäldenbronn, Hohenkreuz, Serach und Obertal und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Esslinger Bürgerausschüsse. Handel und Bürgerschaft im Esslinger Norden war es wichtig, dass auch in diesem Jahr ein Christbaum in Wäldenbronn steht. Ein Anwohner am Kreisel hat sich bereit erklärt, ein lebendes Exemplar in seinem Garten dekorieren zu lassen, diverse Partner im Stadtteil haben zur Strahlkraft beigetragen. Zell soll auch einen eigenen Baum haben, heißt es im Rathaus.

Premiere in der Vorstadt

Selbst in der multikulturellen Pliensauvorstadt steht ein Weihnachtsgewächs – zum allerersten Mal: „Bei der Adventsfeier im vergangenen Jahr ist uns der Gedanken gekommen“, erzählt Pia Erbil vom Bürgerausschuss. Möglich gemacht hat es auch hier das Engagement vieler im Stadtteil und der neu gegründete Verein Pliensauvorstadt live, über den auch die notwendige Versicherung für das Eigengewächs auf dem Stadtteilplatz abgeschlossen wurde. Nur für die Beleuchtung hat es nicht gereicht. Bemerkenswert: Der Gedanken, ob ein gefällter Baum in diesen Zeiten überhaupt noch ein guter Baum ist, wird zwar in den sozialen Netzwerken diskutiert. Aber offenbar nicht im analogen Leben. Erbil: „Ob ein Baum ein schönes Leben gehabt hat, spielt bei den Bürgern keine Rolle. Hier geht es darum, eine lange Tradition weiterzugeben.“

Dass die Vorstädter nun auch selbst Hand angelegt haben, will sie als Appell an die Stadtverwaltung verstanden wissen: „Ihr habt die Bäume nicht umsonst aufgestellt!“ Im Rathaus versichert man, dass die Verwaltung im kommenden Jahr wieder für städtische Christbäume sorgen wolle. Wenn dann wieder ein prächtiges grünes Exemplar vor der Mettinger Liebfrauenkirche stünde, könnte sich die Stadt ein Teil der Ausgaben ja – wie all die Jahre zuvor – wieder zurückholen, meint Pfarrer Rohde augenzwinkernd. Dann könnte sie dort unter der grünen Zweigen wieder Radaranlage und Blitzer verstecken.

Weihnachtsgewächsen fehlt der Dünger

Sparkurs: Wegen der wegbrechenden Gewerbesteuereinnahmen hat die Verwaltungsspitze alle Fachämter zum Einhalten der Haushaltssperre verdonnert. Deshalb hat das Grünflächenamt die Posten für Weihnachtsbäume von 32.000 auf 16.000 Euro fürs laufende Jahr 2019 halbiert. Der Sparkurs ist auch in anderen Bereichen spürbar. In Kitas könne man nicht alle Wünsche nach neuem Spielzeug erfüllen, auch könne man die Vereinsförderung nicht im seitherigen Umfang zusagen, heißt es aus dem Rathaus.

Nur noch Geld für zwei: In diesem Jahr hat die Stadt deshalb nur zwei Nordmanntannen vor dem Alten Rathaus und am Bahnhof aufstellen lassen – den frequentiertesten Orten in Esslingen. In den Jahren zuvor hatte sie auch Weihnachtsbäume in Hegensberg, Mettingen, Wäldenbronn, Berkheim , Oberesslingen und Zell vom Aufbau über die Beleuchtung bis zum Abbau finanziert. Im kommenden Jahr hat die Verwaltung wieder Mittel für acht Bäume eingestellt. Das habe man auch den Bürgerausschüssen mitgeteilt.

Herkunft der Bäume: Lange war es Tradition, dass die Stadt-Tanne vor dem Alten Rathaus aus der Bürgerschaft kommt. Doch bereits 2018 gab es dem Rathaus zufolge kein qualitativ ansprechendes Angebot mehr. Deshalb hat die Stadt 2018 und auch in diesem Jahr die Nordmanntannen für Rathaus- und Bahnhofplatz aus einer Weihnachtsbaumkultur bei Göppingen gekauft.

Beratung: „Im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten unterstützt die Verwaltung die Vertreter der Stadtteile wo möglich“, betont Rathaussprecher Roland Karpentier. Das Grünflächenamt stehe mit ihnen in Kontakt, ermögliche die Nutzung der städtischen Hülsen, prüfe die Anbringung der Beleuchtung und vermittle gegebenenfalls Fachfirmen.