Am Ende durften die Fans des VfB doch noch jubeln – wenn auch nicht im Stadion. Foto: Baumann

Langweilig war sie mal wieder nicht, die Spielzeit des VfB Stuttgart. Unsere VfB-Reporter blicken auf fünf besondere Momente zurück.

Stuttgart - Nach 34 Spieltagen endet die Ochsentour durchs Fußball-Unterhaus – der VfB Stuttgart kehrt in die Bundesliga zurück. Im Gepäck viele Erlebnisse und besondere Momente, auf die unsere VfB-Reporter noch einmal zurückblicken.

(K)ein Fall für die versteckte Kamera

Zu Beginn war die Sache ja noch ganz witzig gewesen. Handy in die Hand, den Arm nach oben heben – und so tun, als sei man auf der Suche nach einer Verbindung. „Und? Auch kein Netz?“ Das war ein netter Gag auf der Haupttribüne der Mercedes-Benz-Arena. Doch das Lachen ist den meisten Beteiligten schnell vergangen am 14. Juli 2019 – dem Tag, der wenig später einer der denkwürdigsten der VfB-Geschichte sein würde.

Es sollte auf der Mitgliederversammlung elektronisch abgestimmt werden – zum Beispiel über die Abwahl des VfB-Präsidenten Wolfgang Dietrich –, die Technik war bewährt und getestet worden. Doch die Verbindung zu den mobilen Geräten schlug fehl. Einmal, zweimal, immer wieder. Man hätte nun Stimmzettel austeilen können. Doch den Beschluss zur nicht elektronischen Abstimmung hätte man nur elektronisch fassen können – und das war ja nicht möglich. So wurde das VfB-Volk erst ungeduldig, dann verständnislos, danach teils wütend. Es war ein solch surreales Schauspiel, dass wir drauf und dran waren, die versteckte Kamera zu suchen. „Verstehen Sie Spaß?“ Guido Cantz ist ja immerhin Fan des VfB Stuttgart. Spaß hatte dann am frühen Abend aber keiner mehr. Diese unwürdige Aufführung wurde abgebrochen, Dietrich verließ mit Bodyguards die Arena. Seine von zahlreichen Mitgliedern forcierte Abwahl war technisch gescheitert – das Thema erübrigte sich dann aber ohnehin am Morgen danach. Per Facebook-Eintrag machte sich Dietrich vom Acker.

Was für Tage – in einer Zeit, die eigentlich von einer Aufbruchstimmung nach dem jämmerlichen Abstieg geprägt sein sollte. Aber: Es wurde dann ja irgendwie doch noch alles gut. Der VfB kickt künftig wieder in der Bundesliga, und ein neuer Präsident ist mittlerweile auch gewählt. Elektronisch übrigens, seit 15. Dezember ist Claus Vogt auf Empfang – und seine Lieblingspose erinnert ein bisschen an den Handy-Gag vom 14. Juli 2019. Der neue Präsi streckt allerdings gern beide Arme nach oben – und spannt zwischen den Händen einen VfB-Schal. Das Lachen ist ihm zwischendurch aber auch schon mal vergangen.

Dirk Preiß: Der Sportchef unserer Redaktion dachte eigentlich, bei Mitgliederversammlungen könne ihn nichts mehr überraschen.

Tim Walter: Hart, aber herzlich

Tim Walter kann gehörig dazwischen grätschen – verbal. Das haben beim VfB einige Leute während seiner kurzen Amtszeit zu spüren bekommen. Spieler, Mitarbeiter, Verantwortliche. Denn Walter bevorzugt die direkte Kommunikation. Hart kann das sein, wenngleich sich oft eine herzliche Umarmung anschließt. So ganz anders ist dieser Typ mit dem breiten Dauerlächeln dann, als er als Spieler gewesen sein soll: Ein streitbarer Trainer jetzt, ein sensibler Techniker damals.

Walter pflegte den schönen Pass nach vorne und hielt die Arbeit nach hinten für überschätzt. Als Fußballlehrer hat er diesen Ansatz weiterentwickelt, gar radikalisiert. Walters Mannschaften haben schon immer gestürmt, mit einem Trommelfeuer an Pässen – und er selbst befindet sich dabei stets im Angriffsmodus. Was interessiert ihn der Gegner? Genau, überhaupt nicht! Nur die eigene Stärke zählt. Und wer an dieser Herangehensweise zweifelt, bekommt es gewaltig zu hören.

Da kann es schon passieren, dass der Herr Trainer eine Journalistenfrage beantwortet, die noch nicht ganz ausgesprochen ist. Denn dank seines Antizipationsvermögens weiß er ja ohnehin, was kommt. Nur in diesem speziellen Fall kam es ganz anders. Die Frage zielte in eine andere Richtung, als die von Walter erwartete – und der Auftritt ging barsch daneben.

Mein Gott, Walter, möchte man ihm da zurufen, weil seine extrovertierte Art polarisiert. Aber Walter wäre eben nicht Walter, wenn man wenig später nicht sagen könnte: Mensch, Tim. Als väterlicher Freund der Spieler sieht er sich und will selbst als Mensch wahrgenommen werden. Wobei es zu den Erfahrungen mit dem Ex-Trainer gehört, dass er Größe beweisen und sich entschuldigen kann.

Carlos Ubina: Unser Fußballexperte diskutiert gerne mit Trainern sachlich über Taktik – sogar mit Tim Walter.

Der Hattrick des VARio Gomez

Sonderlich auskunftsfreudig präsentierte sich Mario Gomez in seiner letzten Saison als Profifußballer nicht. Aus seiner Sicht gab es nicht viel zu sagen. Außer, der 170-fache Bundesligatorschütze trifft in einem Spiel dreimal, wird aber dreimal wegen Abseits zurückgepfiffen und seine Mannschaft verliert auch noch 1:2. In Sandhausen. Dann redet der Stürmer gerne Klartext. Wir zitieren an dieser Stelle noch einmal: „Das System, wie es ist, ist einfach Scheiße. Vor allem für uns Stürmer ist es eine Katastrophe.“

Wer mochte es ihm verdenken. Wie er abgekämpft in den Katakomben stand und seinen Kropf leerte. Völlig bedient. Dreimal Abseits. Einmal war es die Nase, beim zweiten Mal der Schnürsenkel, beim dritten Mal ein halber Schritt zu viel. Jede Szene millimeterscharf vom technischen Helferlein in Köln seziert. Dass der VAR letztlich nur ein Tor zurücknahm, die anderen beiden Abseitsentscheidungen lediglich bestätigte – geschenkt. Gomez war nicht nach Differenzieren.

Wie Hohn muss es dem 34-Jährigen vorgekommen sein, dass ihm einige Kommentatoren sein Alter zum Verhängnis machten („Immer einen Schritt zu spät“). Oder dass ihn der DFB anschließend in den Kölner Keller einlud, um sich die Videotechnik einmal genauer anzusehen. Gomez lehnte dankend ab.

Seine drei aberkannten Tore von Sandhausen sind bis heute unerreicht. Fast schon Kult. Vor allem, weil es danach gegen Nürnberg und Darmstadt gerade so weiterging. Bei Gomez hatte der VARsinn Methode. „Ich bin froh, dass ich nicht noch zehn Jahre spielen muss“, sagte er damals. Jetzt ist es soweit. Mario Gomez muss sich nicht mehr über den Videobeweis ärgern. Nie wieder.

Gregor Preiß: Unser VfB-Reporter ist froh, dass beim Hobbykick der VAR noch nicht präsent ist.

Maskenball mit Einblick

Fiebermessen vor dem Fußball – das war neu am 17. Mai, als der VfB in der ersten Partie nach der Corona-Zwangspause beim SV Wehen Wiesbaden antrat. Doch der kühle Kopf des Reporters bei 36,3 Grad Körpertemperatur hat den VfB-Profis auch nicht weitergeholfen. Mit 1:2 ging die erste Partie nach dem Re-Start verloren. Die Stuttgarter präsentierten sich dabei als schläfrige Truppe, ohne die fehlende Widerstandsfähigkeit. Die Niederlage ging also in Ordnung – auch wenn der Siegtreffer durch einen Elfmeter in der 97. Minute entgegen der ersten Entscheidung des Schiedsrichters Sascha Stegemann („Ich kann nichts erkennen!“) per Videobeweis durchgedrückt wurde.

Kurios war die VfB-Partie in Wiesbaden – die erste ohne Fans, dafür aber mit Maskenpflicht für die rund 200 neben den Teams zugelassenen Akteure – auch in anderer Hinsicht. So sorgte die Corona-Pandemie rund zwei Stunden nach Abpfiff für ungewohnte Einblicke: Der Stuttgarter Teambus war längst abgefahren, als sich die letzten Journalisten gegen 17:30 Uhr angesichts bereits verschlossener Stadiontore den Weg auf verschlungenen Pfaden nach draußen bahnten.

Und so ging es mit Maske im Gesicht und respektablem Abstand zunächst durch den Massageraum der Wiesbadener, wo noch die Waden eines Spielers durchgeknetet wurden. Auch ein Blick in die bereits verwaiste, akzeptabel aufgeräumte VfB-Kabine war drin. Den krönenden Abschluss bildete dabei ein tollkühner Griff in den bestens gefüllten Kühlschrank in der Stuttgarter Umkleide.

Heiko Hinrichsen: Der VfB-Reporter unserer Zeitung war Geisterspiel-Debütant – und behielt dennoch kühlen Kopf.

Zwei Sieger einer wunderbaren Wendung

Am 14. Mai 2016 beendete ich nach neun Jahren meine Karriere als VfB-Reporter. Nach dem Titel 2007 hatte ich begonnen, an jenem Samstag stieg der VfB im trostlosen Wolfsburg in die zweite Liga ab. Dazwischen lagen zwar zwei Champions-League-Teilnahmen und ein DFB-Pokalfinale – dennoch ging es während meiner Zeit unaufhaltsam bergab. Der Abstieg war die logische Konsequenz, mein Ausstieg ebenfalls. Ich hatte mich am Verein abgearbeitet und war der Meinung, mit anderen VfB-Reportern könne es nur besser werden. Wurde es aber nicht.

Also feierte ich im Spätherbst des vergangenen Jahres mein Comeback – wobei „feiern“ in diesem Zusammenhang ein denkbar ungeeignetes Verb ist. Noch vor Weihnachten wurde mit Tim Walter der nächste Trainer entlassen – seit Jahren Alltag für VfB-Reporter. Auch der Aufschwung unter Pellegrino Matarazzo war zunächst nur von kurzer Dauer. In den ersten Wochen nach der Corona-Zwangspause war wieder etwas gefragt, worin ich Erfahrung besitze: Krisenberichterstattung. Der absolute Tiefpunkt für die Fans und auch für mich: die Derby-Pleite in Karlsruhe. Keinen Cent hätte ich danach darauf gewettet, dass diese leblose Mannschaft noch den Aufstieg schafft.

Doch geschah dann etwas, was zuvor schon sehr lange nicht mehr passiert war: Der VfB überraschte mich positiv. Staunend erlebte ich das 5:1 gegen Sandhausen im leeren Stadion; ungläubig verfolgte ich beim 6:0 in Nürnberg ein Tor nach dem anderen im Liveticker. Nach dieser wundersamen Wende gibt es nun mindestens zwei Sieger: Der VfB ist aufgestiegen – und ich bin wieder Bundesliga-Reporter.

Marko Schumacher: Unser Allrounder hat viele Sportarten lieb gewonnen – jetzt schaut er wieder Fußball.