Sawako Nunotani erschafft einen Bewegungskosmos. Foto: Peter Pöschl - Peter Pöschl

Sawako Nunotani hat in Japan Tanz studiert. In ihren Projekten sucht die Tänzerin und Choreografin Bilderwelten ohne Sprache.

Kreis EsslingenIch habe niemals gedacht, dass ich tanzen werde“, erzählt Sawako Nunotani. Die im japanischen Osaka geborene, schmale Frau mit den schwarzglänzenden, langen Haaren studierte anfangs Bildende Kunst. Da merkte sie aber schnell, dass Pinsel und Bleistift nicht ihr Medium sind, um das auszudrücken, was sie bewegt. Sieht man ihr zu, versteht man ohne viele Worte, was sie meint. Die Tänzerin und Choreografin, die vor zehn Jahren mit ihrer Familie nach Nürtingen kam, versteht ihren Körper als Kommunikationsmittel. Durch Tanz und Choreografie setzt sie sich mit aktuellen Themen auseinander, zeigt gesellschaftliche Entwicklungen auf, stellt drängende Zukunftsthemen wie Künstliche Intelligenz in „We Bots“ in den Fokus, verknüpft Politik und Poesie, wie im jüngsten Projekt „Night of Experiment – Colors“.

Zehn Jahre studierte Sawako Nunotani Modern Dance und klassisches Ballett bei ihrem japanischen Lehrer Katsuyoshi Izumi, der wiederum mit der französischen Tanzlegende Maurice Béjart zusammengearbeitet hat. Der Anfang war spät und hart. „Erst mit 19 fing ich an“, erzählt sie rückblickend. Da sah sie sich konfrontiert mit jungen Tänzern, die bereits mit drei oder vier Jahren ihre Ausbildung begonnen hatten.

Ihr Durchhaltevermögen kam aus dem Bewusstsein, genau das gefunden zu haben, was sie wollte. Sie mochte die Kunst. Sie spürte aber, dass da etwas nicht vollständig ist. Mit viel Geduld entwickelte sie ein Körperbewusstsein, einen Bewegungskosmos und eine vielschichtige Ausdrucksform, die durch Energie, Virtualität und Hingabe besticht.

Seit dem Jahr 2000 arbeitet sie als freie Tänzerin und Choreografin und gründete ihr eigenes Tanzensemble in Osaka. Gemeinsam mit Tänzern, Musikern und Filmemachern verwirklichte sie verschiedene Projekte, die in Osaka und Tokio zu sehen waren. 2010 zog sie mit ihrem deutschen Mann und der gemeinsamen Tochter nach Nürtingen.

„Es war schwer, tänzerisch Fuß zu fassen“, erinnert sie sich an die mühevolle Anfangszeit, „ich kannte keinen Menschen und sprachlich war ich auch nicht so fit.“ In einem Volkshochschulkurs lernte sie Deutsch, das sie heute problemlos beherrscht; ein Workshop für zeitgenössischen Tanz, den sie in der Alten Seegrasspinnerei in Nürtingen gab, öffnete die Türen in die freie Kulturszene. Die Stuttgarter Figurenspielerin Iris Meinhardt war eine der Kursteilnehmerinnen, die mit dem Ensemble Meinhardt Krauss Feigl eine eigene Theatersprache aus Figurentheater, neue Medien, Film, Tanz und experimenteller Musik geschaffen hat. 2015 wurde das erste gemeinsam Projekt, „Der Zoo in uns“ umgesetzt, weiter Produktionen folgten. Inzwischen gab die Frau mit dem durchtrainierten Körper Workshops in der Tanz- und Theaterwerkstatt Ludwigsburg. „Das war ein guter Start, um Fuß zu fassen“, aber ich wollte eigen Sachen machen.“

Der Durchbruch kam mit „The Movement of Drying 000“, das sie gemeinsam mit der in Nürtingen lebenden afrobrasilianischen Tänzerin und Schauspielerin Pierangera des Rosas Patte vor fünf Jahren realisierte. Das Publikum war begeistert, das Feedback auf die Tanzperformance so gut, dass Sawako Nunotani beschloss: „Jetzt mach ich weiter.“ 2016 folgte der Auftakt zur Tanzserie „Night of Experiment“. Die jüngste Folge dieser medialen Tanzmagie „Colors“ war im vergangenen Dezember im Landesmuseum in Stuttgart zu sehen. Tanz, Musik und Installation, Malerei und Licht verschmelzen dabei zur philosophischen Auseinandersetzung mit der gesellschaftspolitischen Bedeutung von Farbe.

„Die Kraft hinter der Stille“ untersucht Sawako Nunotani in der Solo-Tanzperformance „Silent Voice“, die 2004 in Japan uraufgeführt wurde. 15 Jahre hat sie gewartet, bis das Stück, heute immer noch top aktuell, im Stuttgarter Theaterhaus wieder zur Aufführung kam. Im vergangenen Jahr zeigte sie es sogar im Rahmen der Remstal-Gartenschau im ehemaligen Sickerwasserbehälter der Alten Kläranlage im Weidachtal.

Licht- und Tontechnik sind ebenso wichtig wie die Atmosphäre des jeweiligen Aufführungsorts. Tänzerisches Thema der elf Szenen ist Musik und sind die „unhörbaren Stimmen der Welt“. Die Vertonung stammt von zwei Komponisten, die die Soundbearbeitung in Japan machen. Nunotani gibt die Impulse dazu. Die Kommunikation erfolgt über Skype. „Das funktioniert seit zehn Jahren“, versichert die Tänzerin, nur manchmal werde es aufgrund der Zeitverschiebung knapp.

„Es gibt so viel, was man nicht sagen kann, darf oder will.“ Nunotani nimmt die Zuschauer mit auf eine fantasievolle Reise durch vertonte Bilderwelten, die ohne Sprache auskommen. Durch veritables Körpertheater erzeugt sie Bilder in den Köpfen der Zuschauer. Sie kooperiert mit Musikern, Figurenspielern, Malern, Bildhauern und anderen Tänzern um die starren Grenzen der Genres aufzulösen.

„Wir sind alles, aber auch nichts“, antwortet sie auf die Frage, ob ihre Arbeit von der japanischen Kultur geprägt sei. „Viel kommt aus dem asiatischen Denken.“ Den Unterschied sieht sie im Status. In Japan sei der Beruf des Künstlers nicht anerkannt, weswegen dort eher Selbstdarstellung betrieben werde. In Deutschland würden verstärkt gesellschaftliche Entwicklungen im künstlerischen Ausdruck reflektiert. Der dritte Teil von „Night of Experiments“ ist mit „Dreams“ derzeit in Arbeit und wird vermutlich im kommenden Jahr zu sehen sein.

https://sawakonunotani.blogspot.com

Neue Projekte

Imaginale: Beim internationalen Theaterfestival Imaginale ist Sawako Nunotani in Meinhardt, Krauss Feigls skurrilem Bildertheater „R.O.O.M“ am 8. Februar in der Theaterbox in Heilbronn zu sehen.

Fitz Stuttgart: Vom 6. bis zum 8. März wird „Silent Voice“ im Figurentheater Fitz in Stuttgart gezeigt.

Dieselstraße Esslingen: Am 27. März folgt die Premiere von „Innere Stimme“ der TanzKompanie des französischen Choreografen Grégory Darcy in der Dieselstraße in Esslingen. Drei Profitänzer und vier Tänzer mit Handicap wollen bei dem Projekt mit Musikern mit und ohne Behinderung den Tanzbegriff neu schreiben.