Der Roman „Die Grube“ von Ingrid Bachér kam am Esslinger Theater auf die Bühne. Der Autorin und Regisseurin Mirjam Neidhart gelingt in der Bühnenfassung ein differenziertes Bild des Braunkohle-Konflikts.
In seinem Heimatdorf Garzweiler will der Bauer Simon begraben werden. Da war sein Hof, bevor der Abbau von Braunkohle ihm und seiner Familie das Land und die Lebensgrundlage nahm. Im Roman „Die Grube“ zeigt die Autorin Ingrid Bachér Folgen des Fortschritts für die Menschen. In der Uraufführung im Schauspielhaus der Esslinger Landesbühne denkt Regisseurin Mirjam Neidhart den Konflikt zwischen Wohlstand und einer nachhaltigen Umweltpolitik weiter. Kohle ist und bleibt ein Baustein des wirtschaftlichen Wachstums.
2009 hat Bachér den Roman geschrieben. Da zieht die Urenkelin des Dichters Theodor Storm, heute 84 Jahre alt, Grenzen zwischen Gut und Böse plakativ. Zu stark lenkt sie den Blick auf die Schicksale der entwurzelten Menschen. In der Theaterfassung, die Bachér mit Regisseurin Neidhart geschrieben hat, ist der Blick differenzierter. Denn die Doppelmoral der Fortschrittsgegner zeigt sich 2024 deutlicher denn je. Keiner will auf Mobilität oder schnelle Kommunikation verzichten. Den Heimatbegriff missbrauchen Rechtsradikale für ihre falschen Ideale. Und Baugruben gibt es auch in Stuttgart.
Die Regie legt Beweggründe der Menschen offen. Das macht gerade die Figur des herzkranken Bauern Simon deutlich, der sich gegen die Zerstörung seines Hofes stemmt. Florian Stamm zeigt ihn als einen, der an der Scholle klebt. Der Wirklichkeit mag er sich nicht stellen. Und die hat die Politik längst bestimmt. Bis heute bekräftigt die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ihre Absicht, bis 2038 noch 900 Millionen Tonnen Braunkohle fördern zu wollen. Weitere Dörfer sollen für den Tagebau Garzweiler zerstört werden.
Dass Simon und seiner Familie nur die Umsiedlung bleibt, steht außer Frage. Doch der Bauer opfert dem Protest sogar seine Familie und den Sohn, der mit seiner Mutter nach München zieht. Sabine Christiane Dotzer zeichnet diese Frau nicht nur als kalte Opportunistin, die den Ehemann aussortiert. Alle ihre Versuche, ihn zum Umdenken zu bewegen, scheitern. Ein neues, liebevolles Licht wirft Kristin Göpfert als Erzählerin und Schwester Simons auf den Protagonisten. Sie ist mit dem Erben des Hofes der Familie Aschhoff aufgewachsen, kennt seine Motivation. Wunderschön erfasst die faszinierende Sprecherin die poetischen Tiefenschichten von Bachérs Text. Ihr Bruder hatte dem Vater einst versprochen, das Land niemals zu verlassen. Klug distanziert sich Martin Theuer von der Philosophie des ewiggestrigen Alten. Dass er die Methoden der Politiker mit den Nazis vergleicht, ist eine Stammtisch-Parole. Und genau das entlarvt der Schauspieler. Solche Zwischentöne machen den Reiz der Regiearbeit aus.
Die Stimme des Volkes im Chor
Ästhetisch überzeugt Mirjam Neidharts Ansatz. Ein Chor der Schauspieler bringt die Stimme des Volkes zum Klingen. „Keine Ausweitung der Grube. Glaubt nicht, dass wir schlafen, dass ihr uns überlisten könnt.“ Das klingt platt. Doch im Chor zeigt sich die tragische Dimension des Kampfes um das Zuhause. Oliver Krämer hat für „Die Grube“ eine zerrissene Klanglandschaft komponiert. Dass Bachér und Neidhart in der Bühnenfassung fast kriminalistische Spannung aufbauen, reflektiert diese Musik bemerkenswert. Marion Eisele hat ihren Raum mit Eisenstangen abgesteckt, die die Schauspieler als Instrumente nutzen. Zerstörung und Angst ist in den dumpfen Schlägen zu hören. Mit braunem Kunststoff hat die Ausstatterin eine zerklüftete Spielfläche geschaffen. Der Zerfall ihrer Welt reißt den Menschen den Boden unter den Füßen weg. Mit ihrem Gespür für Farben trifft Eisele die Atmosphäre stark.
Dass Bachér und Neidhart das politisches Thema, um das es heute stiller geworden ist, im heutigen Kontext neu lesen, überzeugt. Dabei legen sie einen Fokus auf die Position der Politiker, die grünes Licht für diese Umweltpolitik gaben. Was es bedeutet, im Netz von Macht und wirtschaftlichen Zwängen gefangen zu sein, beleuchtet Christian A. Koch. In der Rolle eines Juristen, der sich frustriert aus der Politik zurückzieht, liest er einen Brief, dessen Ehrlichkeit berührt. Hilflos zieht er sich ins Private zurück, weil er den Menschen nicht helfen kann. In der Rolle des Ministers zeigt Koch nichts als Kälte.
Positive Perspektiven entwickelt Hinner, der jüngere Bruder der Familie Aschhoff, der in der weiten Welt seine Zukunft sucht. Kim Patrick Biele zeigt ihn als Träumer, der den Weg in die richtige Richtung weist. Auch die polnische Haushälterin Magda kehrt in ihre Heimat zurück, um da den gesellschaftlichen Wandel mitzugestalten. Lara Haucke tanzt in ein neues Leben, gewinnt dieser Reise das Schönste ab. Dass es ein Leben jenseits der Kohlegruben gibt, vermitteln diese Bilder schön. Doch die Botschaft der Uraufführung ist klar. Bachérs und Neidharts politisches Theater fordert eine Umweltpolitik, die Menschen nicht dem Profit opfert.
Die Autorin Ingrid Bacher
Biografisches
Ingrid Bachér ist eine Urenkelin Theodor Storms und Tochter des Chemie-Professors Franz Bachér. Sie wuchs in Berlin und Lübeck auf; ihr Bruder war der Journalist und Autor Peter Bachér. Nach dem Studium an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg arbeitete sie ab 1949 als Journalistin. In den 1950er Jahren nahm sie an Tagungen der Gruppe 47 teil und bereiste Finnland und Südamerika. Die heute 84-Jährige arbeitet als Schriftstellerin.
Der Roman
2009 hat die Autorin den Roman „Die Grube“ geschrieben. Darin lenkt sie den Blick auf das Schicksal der Menschen im Braunkohle-Tagebaurevier der RWE Rheinbraun, die heute RWE Power heißt. Mit der Regisseurin Mirjam Neidhart hat sie die Bühnenfassung des Romans geschrieben.