Einkaufen trotz Hotel-Quarantäne – Heiko Herrlich hat sich beim FC Augsburg erst mal ins Abseits gestellt. Foto: dpa/Stefan Puchner

An diesem Wochenende setzt die Fußball-Bundesliga ihre Saison fort. Zweifel und Kritik begleiten das Projekt nach wie vor – und ausgerechnet ein Trainer liefert den Gegnern neues Futter.

Stuttgart - Jonathan Tah, der Abwehrspieler von Bayer Leverkusen, hat ganz gut erkannt, was auf die Fußballprofis der ersten und zweiten Liga in Deutschland in den kommenden Wochen zukommt: Kicken unter Bewährung. „Im ganzen Land und auch international schaut man auf uns“, sagt der 24-Jährige.

Die Fußball-Bundesliga unternimmt ab diesem Samstag den Versuch, unter strengen Hygiene-Auflagen die Saison fortzusetzen und zu Ende zu bringen. Und damit das zu schaffen, was andere Ligen – aus unterschiedlichsten Sportarten und weltweit – (noch) nicht leisten können. Nötig zur Umsetzung ist die strenge Einhaltung des erarbeiteten Konzepts der Deutschen Fußball-Liga. In einem Schreiben an die Vereine hieß es zuletzt: „Nur mit einem Höchstmaß an Disziplin und Akribie wird es gelingen, unser gemeinsames Ziel, das Saisonfinale 2019/20, zu erreichen.“ Dumm nur, wenn dieses Projekt mit einem Eigentor beginnt.

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Unterlaufen ist es ausgerechnet einem ehemaligen Stürmer. Heiko Herrlich, der neue Trainer des FC Augsburg, wollte am Wochenende eigentlich sein Debüt auf der Bank der Schwaben geben – hat sich aber selbst ausgewechselt. Obwohl sich alle Spieler und Trainer vor dem Neustart in einer mehrtägigen und strengen Hotel-Quarantäne befinden, ging er einkaufen. Zahnpasta und Hautcreme standen auf dem Einkaufszettel für den Besuch im Supermarkt. Und Herrlich schilderte sein gedankenloses Vergehen selbst.

Der Vorbildfunktion „nicht gerecht geworden“

„Wir sind im Hotel und sollen da eigentlich auch nicht rausgehen. Es gibt aber Situationen, die es einfach erfordern“, erzählte er am Donnerstag. Zahn- und Hautcreme waren ihm ausgegangen, „und dann bin ich mit meinem Trainingsanzug in der Nähe zu einem Supermarkt gegangen“. Die aufwendigen Testreihen und die Tage abseits der Öffentlichkeit waren für die Katz, am späten Abend gab Herrlich kleinlaut bekannt, er werde am Samstag im Spiel gegen den VfL Wolfsburg nicht auf der Bank sitzen und auch das Training vorerst nicht leiten. Erst nach zwei negativen Tests werde er zurückkehren. „Ich habe einen Fehler gemacht“, sagte er, „ich bin meiner Vorbildfunktion gegenüber meiner Mannschaft und der Öffentlichkeit nicht gerecht geworden.“

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Der Fall Herrlich nährt die Zweifel der Kritiker des Systems Profifußball, dass wirklich alle Regeln eingehalten werden und die Fortsetzung aus rein finanziellen Gründen lediglich ein überschaubares Risiko darstellt. Zuvor hatte der Fall Dynamo Dresden offenbart, dass behördliche Entscheidungen auch die Chancengleichheit in den kommenden Wochen extrem einschränken könnte.

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Der Zweitligist hatte am vergangenen Wochenende zwei positive Corona-Tests gemeldet, das zuständige Gesundheitsamt hatte daraufhin den kompletten Tross der Dresdner in eine zweiwöchige häusliche Quarantäne geschickt. Während alle anderen Teams ihr Mannschaftstraining fortsetzen und nun in den Spielbetrieb starten, sind die Dynamo-Spieler gezwungen, sich individuell fit zu halten. Kurz nach Ende dieser erneuten Zwangspause müssen sie aber in den Wettkampf um den Klassenverbleib einsteigen. Das Kabinenvideo des Hertha-Stürmers Salomon Kalou hatte zuvor offenbart, dass es durchaus zu einem laxen Umgang der Spieler mit den Regeln kommen kann. Ob die Saison trotz aller Anstrengungen bis Ende Juni oder Anfang Juli beendet werden kann, ist daher höchst unsicher.

Auch die „Notbremse“ kann noch gezogen werden

„Wir müssen, wenn es nicht anders geht, die Notbremse ziehen“, sagt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der aber vor dem Neustart „verhalten optimistisch“ ist. Er wolle aber nicht, dass Deutschland seinen Vorsprung im Kampf gegen das Coronavirus „verstolpert“. Etwa wegen unvorsichtiger Fußballer.

Bei aller Kritik im Land und der Ablehnung der Saisonfortsetzung von mindestens der Hälfte der Bevölkerung (Umfragen belegen das), wird das Konzept der Bundesliga und dessen Umsetzung von Sportfunktionären weltweit mit höchstem Interesse verfolgt. „Die Lokomotive des europäischen Fußballs kommt wieder in Bewegung“, schreibt der „Corriere della Sera“ in Italien. Und Toni Kroos von Real Madrid berichtet aus Spanien: „Man hat hier so den Eindruck: Wenn die Deutschen das nicht hinkriegen, dann kriegt das keiner hin.“ Was Jonathan Tahs Einschätzung nur bestätigt.