Der britische Premier ist seit 100 Tagen im Amt und hat bereits viele negative Schlagzeilen geliefert. Die Geldmärkte hat er zwar etwas beruhigen können, doch bei der Auswahl seiner Minister hat er bisher keine glückliche Hand bewiesen.
Diese Woche hat Rishi Sunak seine ersten 100 Tage in No 10 Downing Street absolviert – was bedeutet, dass sich der Britenpremier doppelt so lang im Amt hat halten können wie seine Vorgängerin Liz Truss im vorigen September und Oktober. Und nach dem Chaos, das Truss damals auf den Geldmärkten anrichtete, hat Sunak zumindest an dieser Front wieder einiges ins Gleichgewicht gebracht.
Dazu war er schließlich von seiner Fraktion auf die Kommandobrücke geholt worden, als das Truss-Experiment in Tränen endete. Er sollte die Lage beruhigen, für finanzielle Stabilität sorgen, das Vertrauen des internationalen Kapitals in Großbritannien neu stärken. Am Vertrauen der eigenen Bevölkerung – oder auch nur seiner Partei – zu ihm mangelt es allerdings auch nach diesen 100 Tagen noch. Schon jetzt, kaum dass er Fuß gefasst hat, werden immer mehr Zweifel laut an seinem Kurs, an seinem Führungsvermögen. Viele seiner Mitstreiter fragen sich schon, wie lange sich der fünfte Tory-Premier innerhalb der letzten sieben Jahre wohl in Downing Street wird halten können.
Umfragewerte sind katastrophal
Laut neuesten Umfragen des Ipsos-Instituts liegen die Konservativen unter Sunak katastrophale 25 Prozent hinter der oppositionellen Labour Party zurück. Und es ist nicht nur das Boris-Johnson- und das Liz-Truss-Erbe, das ihm zu schaffen macht. Rishi Sunak macht sich selbst das Leben schwer. Just am vorigen Sonntag zum Beispiel musste er den von ihm ernannten Parteipräsidenten Nadhim Zahawi wegen einer Steueraffäre seines Amtes entheben. Seither muss sich Sunak fragen lassen, ob er von dieser Affäre schon wusste, als er Zahawi den Posten übertrug, und warum er ihn nicht schon früher entließ.
Sunak hat viele selbst verschuldete Personalprobleme
Mangelnde Urteilsfähigkeit und bemerkenswerte Sorglosigkeit bei der Vergabe von Spitzenämtern werden dem Premier vorgeworfen. Schon im November hatte ein anderer, seit Jahren verrufener Minister, Gavin Williamson, wegen skandalösen Verhaltens abtreten müssen. Das war absehbar. Das Innenministerium, eines der wichtigsten Ressorts, übertrug Sunak ausgerechnet der Hardlinerin Suella Braverman, nachdem diese kurz zuvor wegen eines Verstoßes gegen den ministeriellen Kodex aus Truss’ Regierung flog. In Kürze könnte sich sogar Vizepremier Dominic Raab zum Rücktritt gezwungen sehen, gegen den eine offizielle Untersuchung wegen Schikane und Einschüchterung von zwei Dutzend Untergebenen läuft.
Sunaks Anhänger können kaum glauben, dass der Premier so viel Zeit vergeudet hat mit selbst verschuldeten Personalproblemen. Statt eine Zukunftsvision zu entwickeln in seinen ersten 100 Tagen, habe er nur negative Schlagzeilen geliefert, klagen sie. Besonders schwer fällt ins Gewicht, dass Sunak bei seinem Amtsantritt erklärte, ihm liege an einer neuen Ära der „Rechtschaffenheit“, der „Redlichkeit“ bei allen Regierungsgeschäften. Nun nennen ihn seine Gegner einen hoffnungslosen Opportunisten. Die Labour-Opposition hält ihn einfach für „schwach“.
Zusätzliche Ressentiments in der Bevölkerung hat geschaffen, dass ein Multimillionär wie Zahawi unbekümmert Steuern in enormer Höhe zu bezahlen „vergaß“ – nachdem schon die Sunaks, die eine Dreiviertelmilliarde Pfund wert sein sollen, mit ihrem Steuerstatus Aufregung verursachten, als Sunak selbst noch Finanzminister war.
Die Elite vermehrt ihren Reichtum
Dass die wohlhabende Elite der Tory-Partei mit allen Mitteln ihre Reichtümer zu mehren und vom Blick der Öffentlichkeit abzuschirmen sucht, empört umso mehr Britinnen und Briten, als sich in der gegenwärtigen Krise der rekordhohen Lebenshaltungskosten viele Familien finanziell kaum über Wasser halten können und öffentliche Dienste kaum noch genug Geld zugeteilt bekommen, um effizient zu funktionieren.
Mangelnde Realitätsnähe ist noch einer der freundlicheren Kommentare zu Rishi Sunaks Lavieren in dieser Lage. Angekreidet wird Sunak von vielen seiner Landsleute, dass er nur technokratisch denke und sich ihnen, mitten in dieser Krise, nicht stelle. Sein Schwanken zwischen sturen Kursvorgaben und peinlichen Kehrtwendungen hat weiteren Respekt gekostet. Auf die Streiks, die sich jetzt überall ausbreiten, hat er schlicht nicht zu reagieren gewusst.
Zugleich misstrauen ihm viele der Aktivisten in der eigenen Partei, der rechte Flügel der Konservativen, die Brexit-Hardliner sowie die Populisten, die noch immer früheren Tory-Triumphen nachtrauern. Schon drei Monate nach dem Kollaps der Truss-Regierung wird wieder der Ruf nach radikalen Steuerkürzungen laut.
Am meisten fürchten Sunaks Verbündete aber, dass sich nun hinter Boris Johnson die Unzufriedenen sammeln. Schon ist Johnson wieder dabei, sich voll in Szene zu setzen. Er taucht in Davos auf (wo sich Sunak nicht sehen lässt), er reist zu seinen „Freunden“ in die Ukraine, er verlangt mehr Waffen für Kiew, er unterhält die eigene Nation mit immer neuen Ideen und frechen Infoschnipseln. So hält er sich präsent, lässt alle rätseln über ein mögliches Comeback.
Nicht dass man im konservativen Lager mit einer unmittelbaren Rebellion gegen Rishi Sunak rechnet. Erst einmal wartet alles auf die landesweiten Kommunalwahlen im Mai, den ersten großen Stimmungstest für Sunak. Bis dahin sind es 100 weitere Tage. Bis dahin aber wird Sunak seine Position in der Partei und im Land erheblich stärken müssen. Sonst kann er sich nicht sicher sein, dass er die Torys auch in die Unterhauswahlen des nächsten Jahres führen wird.