Bundestrainer Julian Nagelsmann ist hochzufrieden mit seiner Elf. Foto: imago/Eibner

Die deutsche Elf trotzt den Ausfällen in der Nations League mit großem Siegeswillen. Bundestrainer Julian Nagelsmann betont die Gier im Team.

Kevin Schade hat nicht mehr gemacht, als seinen Körper reinzustellen an der deutschen Torauslinie. Es gibt nach diesem normalen Zweikampfgewinn des eingewechselten Offensivmannes kurz vor Spielschluss einen Abschlag. Torhüter Oliver Baumann feiert Schade aber, als hätte der gerade vorne ein Tor geschossen. Ein Urschrei, eine Umarmung.

Es folgen: die kurz vor Spielschluss gegen die Niederlande ebenfalls anwesenden deutschen Abwehrkräfte Joshua Kimmich, Nico Schlotterbeck, Antonio Rüdiger, Waldemar Anton und Robert Andrich. Fünf weitere Urschreie, fünf Umarmungen. Schade, so macht es den Eindruck, läuft Gefahr, erdrückt zu werden. Wohlgemerkt: nach einem herausgeholten Abschlag (wenn es diesen Terminus überhaupt gibt im Fußball).

Sollte es für irgendjemanden noch ein Sinnbild gebraucht haben für den unbedingten Willen des deutschen Teams, das Nations-League-Spiel gegen die Niederlande siegreich zu gestalten: das Abschlagsjubel-Knäuel vor dem eigenen Tor liefert es.

1:0 hieß es am Ende – und es überraschte angesichts der Schade-Szenerie nicht, dass Julian Nagelsmann, „die Gier“, die seine Elf aktuell verkörpere, als den größten Entwicklungsschritt in seiner Amtszeit bezeichnete: „Ich habe“, sagte der Bundestrainer, „jetzt in der Nations League noch kein Spiel gehabt, bei dem ich das Gefühl hatte, es ist egal, ob wir gewinnen oder nicht.“

Unter Nagelsmann ist nach den atmosphärischen und sportlichen Bankrotterklärungen seines Vorgängers Hansi Flick seit dem September 2023 ein neues Selbstverständnis entstanden. „Man merkt, dass jeder Bock hat“, sagte Kapitän Kimmich dazu. In den vergangenen Monaten sei eine „Kern-Identifikation“ entstanden, so Kimmich weiter, „eine Familie“. Wer dafür verantwortlich ist? Das beantwortete Abwehrchef Antonio Rüdiger: „Zum Großteil der Trainer.“

Das Rampenlicht

All das ist auch dem am Montag verabschiedeten Weltmeister Thomas Müller aufgefallen: „Ich finde“, sagte der Offensivmann, „dass man Spieler sieht, die sich ins Rampenlicht spielen wollen – nicht des Rampenlichts wegen, sondern weil sie es geil finden, für Deutschland zu spielen.“

Das Gebilde ist dabei inzwischen sportlich und charakterlich so stabil, dass selbst eine Absagewelle von Torwart Marc-André ter Stegen über Jamal Musiala und Kai Havertz bis hin zu Torjäger Niclas Füllkrug zu keinem Systemausfall führt.

Ergo: Der Kader wird breiter, der Konkurrenzdruck nimmt zu – dank ambitionierten und auftrumpfenden Nachrückern. „Ich bin sehr stolz“, sagte Kimmich: „Wir haben leider viele Verletzte, aber das hat man gar nicht so gemerkt – ich war schon überrascht, dass es so lief.“

Bundestrainer Nagelsmann erinnerte aber mitten in der Hochstimmung am Montagabend in München auch an den Tiefpunkt seiner bisherigen Amtszeit. Den November 2023 mit dem 2:3 gegen die Türkei und dem Offenbarungseid beim 0:2 in Wien gegen Österreich. „Wir mussten erstmal Negativerlebnisse haben, um den Nährboden zu haben, am Kader etwas zu verändern“, sagte der Coach. Ein radikaler Umbruch folgte: „Wir haben eine gute Gruppe gefunden.“

Kein Platz mehr

In der war und ist für langjährige Nationalspieler wie Leon Goretzka, Mats Hummels, Niklas Süle oder Julian Brandt seit dem besagten November 2023 kein Platz mehr.

Im Oktober 2024 jedenfalls haben sich die Dinge zum Guten gewendet. Und Nagelsmann will mehr. Das Länderspieljahr soll in Freiburg gegen Bosnien-Herzegowina (16. November) und in Budapest gegen Ungarn (19. November) mit dem Gruppensieg in der Nations League abgerundet werden. 2025 geht es dann um den Einzug ins Final-Four-Turnier und danach um die Qualifikation für die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko.

Wenn die deutsche Elf da am Ende eigene Abschläge wieder wie Torerfolge feiern sollte, wäre das nicht das schlechteste Zeichen.