Quelle: Unbekannt

Im Jahr 1913 ist viel los: Ein Wirbelsturm zerstört den Plochinger Bahnhof, währeng Gesamtdeutschland aufrüstet.

Kreis EsslingenTrotz eines Waffenstillstands auf dem Balkan ist der Frieden in Europa im Jahr 1913 gefährdet. Wegen ungelöster Territorialfragen brechen erneut Kämpfe zwischen den Balkanstaaten aus. Nach dem Friedensschluss muss Bulgarien große Gebiete an Serbien und Griechenland abtreten, Mazedonien löst sich vom Osmanischen Reich.

Deutschland rüstet weiter auf, der Reichstag beschließt eine Erhöhung der Friedensstärke des Heers um 117 000 Mann auf mehr als 666 000 Soldaten. Kaiser Wilhelm II. versucht, den belgischen König Albert I. für den Fall eines Kriegs für ein Engagement für das Deutsche Reich zu bewegen. Belgien lehnt dies ab und pocht auf seine Neutralität.

Die Entwicklung der Bürgerrechte geht in Deutschland nur schleppend voran. Ein Antrag der Reichstagsfraktion der SPD auf Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts für alle deutschen Länder wird abgelehnt.

Der französische Ministerpräsident Jean Louis Barthou überrascht mit einem Vorschlag zur Entspannung der Situation in Europa. „Ein Plan, der älter als ein Jahrhundert ist, aber dessen Ausführung stets aus kriegerischen Bedenken fallen gelassen wurde, wird wieder hervorgeholt: Die Untertunnelung des Aermelkanals“, schreibt die Eßlinger Zeitung und erkennt darin „ein bedeutsames Friedenswort“. Das Blatt zitiert dazu eine Erklärung Barthous, in der er neben den ökonomischen auch „die moralischen Vorteile“ eines solchen Tunnels hervorhebt. „Jedes Werk, durch das es den Nationen leichter gemacht wird, sich einander zu nähern und sich kennen zu lernen, ist ein Werk des Friedens und der Zivilisation.“

Während dieser Plan erst Jahrzehnte später umgesetzt werden sollte, wird die Annäherung von Oberesslingen und Esslingen Realität. Oberbürgermeister Max von Mülberger und der Oberesslinger Schultheiß Georg Deuschle hatten Ende Dezember 1912 die Urkunde über die Eingemeindung unterzeichnet. Am 1. April 1913 tritt sie in Kraft, Oberesslingen ist fortan ein Esslinger Stadtteil.

Am Abend des 1. Juni wird Plochingen von einem außergewöhnlichen Naturereignis getroffen. Bedingt durch das Zusammentreffen zweier Gewitterfronten entwickelt sich ein Wirbelsturm, der über den Ort hinwegzieht und eine Schneise der Verwüstung hinterlässt. Das Bahnhofsgebäude wird schwer beschädigt, Güterwaggons werden umgeworfen. An etlichen Häusern werden Fassaden eingedrückt und die Dächer abgedeckt, die Kamine einer Fabrik zertrümmert. „Ein gräßliches Bild der Verwüstung bot sich dem staunenden Auge“, berichtet die Esslinger Zeitung. Bereits am Folgetag rollen Züge mit Hilfsmannschaften aus Tübingen, Esslingen und Stuttgart an, um die Plochinger bei den Aufräumarbeiten zu unterstützen. Von staatlicher Seite werden Hilfsaktionen gestartet, durch private Spendensammlungen fließt viel Geld für die Beseitigung der Schäden nach Plochingen. Bemerkenswert ist eine Welle des Katastrophen-Tourismus, die über Plochingen hereinbricht. Auch ein Beobachter der Eßlinger Zeitung ist dabei. „Eine vieltausendköpfige Menschenmenge bewegte sich von früh bis zum späten Abend durch die Straßen des Dorfes. Jeder Eisenbahnzug brachte in langen Wagenreihen weitere Neugierige, welche sich das Zerstörungswerk der Elemente ansehen wollten. Staunen und Entsetzen stand in allen Gesichtern“, schreibt das Blatt.