Eine geglückte Rochade: Englands Trainer Gareth Southgate hat zuletzt auf das Talent Bukayo Saka gesetzt. Foto: AFP/Matt Dunham

England zieht souverän in die K.o.-Runde ein – und hat auch im Klassiker gegen Deutschland Heimvorteil. Bisher sind die Fans aber nicht b egeistert – doch Trainer Gareth Southgate stört das wenig.

London - Gareth Southgate sah aus wie fast immer. Der Körper im feinen Anzug, die Hände gefaltet, der Blick ruhig und ernst. Während sich Fans und Medien auch nach dem souveränen Einzug ins Achtelfinale der Fußball-EM den Kopf über das Potenzial der englischen Mannschaft zerbrachen, wirkte der Nationalcoach zufrieden. Southgate würde das nie sagen, aber seine Botschaft nach dem 1:0 im letzten Gruppenspiel gegen Tschechien hätte sein können: Schaut her, mein Plan geht auf! England spielt bieder, aber England verliert keine Spiele! Und jetzt soll das Turnier für die Three Lions erst richtig losgehen – mit einem Kracher. Einem Klassiker. Einem Kultspiel. Im Achtelfinale geht es am Dienstag (18 Uhr) gegen Deutschland. Southgate lässt das, zumindest nach außen hin, kalt. „Das Gute für uns ist“, sagt er, „dass wir uns immer noch verbessern.“

Wird das so sein? Seit Mittwochabend fragt sich auch ganz Fußball-Deutschland: Wozu sind diese Engländer wirklich fähig?

Spiel gegen den „alten Feind“

Dank des Gruppensiegs dürfen die Engländer auch ihr Achtelfinale gegen die DFB-Elf im heimischen Wembley-Stadion austragen. Doch nun wird es erstmals richtig ernst. „Wir spielen gegen unseren alten Feind Deutschland“, titelte das Boulevardblatt „The Sun“. Zugleich wurden Erinnerungen an die letzten K.-o.-Spiele wach. An das WM-Achtelfinale 2010, das 1:4 verloren ging. An die Niederlage im EM-Halbfinale 1996, als sich ausgerechnet Gareth Southgate im Elfmeterschießen (5:6) den entscheidenden Fehlversuch leistete. Und an das bittere Ausscheiden im WM-Halbfinale 1990 – ebenfalls im Elfmeterschießen (3:4). Es ist eine ernüchternde Bilanz. Aber keine, die dem aktuellen englischen Team die Zuversicht rauben könnte.

„Wir spielen jetzt gegen ein viel stärkeres Team. Doch wir können Selbstvertrauen aus dieser Gruppe mitnehmen, wir haben bisher kein einziges Tor kassiert“, sagte Flügelstürmer Bukayo Saka, der gegen die Tschechen zum Mann des Spiels gewählt wurde. „Egal, wer kommt, wir können mit Optimismus ins Spiel gehen. Zumal wir in Wembley die Unterstützung unserer Fans haben.“

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Saka steht sinnbildlich für das riesige Offensivpotenzial der Engländer. Gerade mal 19 Jahre als ist der Profi des FC Arsenal, gegen Tschechien ließ Southgate ihn erstmals bei dieser EM starten. Jadon Sancho vom Bundesligisten Borussia Dortmund bekam dagegen lediglich seine ersten EM-Minuten – und zeigte sich danach als Teamplayer. „Ich bin so glücklich für diesen Kerl“, schrieb der 21-Jährige bei Instagram und zeigte ein Foto von Saka: „Er hat die Chance genutzt, wie ich es ihm gesagt habe.“

Saka, Sancho, Phil Foden oder Torschütze Raheem Sterling – die Three Lions sind gerade auf den Flügeln herausragend besetzt. Und im Zentrum gibt es noch einen gewissen Harry Kane, auch wenn der Kapitän und Topstürmer bislang nicht sein bestes Turnier spielt. Doch trotz all dieser Einzelkönner fallen die Engländer bisher eher mit Minimalisten- als mit Spaßfußball auf. Southgate tangiert das allerdings nicht groß.

Der Sieg steht über allem

Der 50-jährige Trainer will keine Mannschaft, die Spektakel bietet, sondern eine, die im Turnier funktioniert. Er hat genau beobachtet, wie Portugal 2016 den EM-Titel gewonnen hat und Frankreich zwei Jahre später die WM – nicht mit Spaßfußball, sondern mit oft trockenen Siegen.

Seine bisher vielleicht größte Leistung ist darum eine eher weniger beachtete. Während alle Welt über das Angriffstalent der Engländer redet, steht die vor der EM als eher mäßig eingeschätzte Defensive erstaunlich stabil. „Wollen wir, dass England bei der Euro Spaß macht? Oder wollen wir, dass sie gewinnen?“, fragte das Sportportal „The Athletic“ nach der Vorrunde.

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Die Abwehr bildet die Grundlage für große Erfolge, genau das scheint Southgates Credo. Die Viererkette um ihren Boss Harry Maguire ist noch ohne Gegentor, zudem hält Torhüter Jordan Pickford stark. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Englands Abwehr von Kroatien (1:0), Schottland (0:0) und zuletzt auch Tschechien kaum auf die Probe gestellt wurde. Im Achtelfinale gegen Deutschland wird sich das ändern. Southgate weiß das. Doch er ist bereit.