Joachim Löw (links) und Oliver Bierhoff arbeiten seit 2004 zusammen. Foto: imago/Jan Huebner

Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff ist von Bundestrainer Joachim Löw auch weiterhin überzeugt. Doch ärgert er sich über Indiskretionen in der DFB-Zentrale, in der manches aus den Fugen geraten ist.

Frankfurt/Stuttgart - Der Mann, der das Land seit zwei Wochen in Atem hält, ist auch diesmal nicht zu sehen. Am Montag, nachdem er vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) ein weiteres Mal im Amt des Bundestrainers bestätigt worden war, entschwand Joachim Löw durch die Hintertür der Frankfurter Verbandszentrale. Und nach der Präsidiumssitzung am Freitagnachmittag ist es nicht Löw der auf dem Podium sitzt, sondern Oliver Bierhoff, der 90 Minuten lang zu erklären versucht, wie es nun weitergehen soll. Mit der deutschen Nationalelf, die sich beim 0:6 in Spanien bis auf die Knochen blamiert hat; und mit dem Bundestrainer, den der Großteil der Fans am liebsten in die sofortige Rente geschickt hätte.

Er könne die Emotionen verstehen, sagt Bierhoff, auch in ihm selbst „brodelt es noch immer“. Doch gehört es nicht zu seinen vertraglich vereinbarten Aufgaben, sich von Gefühlen leiten zu lassen, sondern die Fakten zu berücksichtigen. Das unternimmt der DFB-Direktor in einer fast 40-minütigen Verteidigungsrede. Mit Hilfe von Grafiken und Schaubildern referiert er über veränderte Ballbesitzzeiten und Beschleunigungswerte, verweist auf die Corona-Krise, fehlende Trainingseinheiten und überstrapazierte Nationalspieler – und kommt zu dem Schluss: Trotz aller Probleme stimme die Entwicklung. Die Nationalelf sei keineswegs ein solcher „Sauhaufen“, wie er es als aktiver Spieler bei der EM 2000 selbst erlebt habe. Und „die Bewertung eines Bundestrainers kann nicht an einem Spiel hängen.“

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Allerdings ist auch Bierhoff nicht entgangen, dass auch alle von Analysten ermittelten Statistiken nichts daran ändern, dass die Stimmung rund um die DFB-Auswahl und ihren Trainer am Ende dieses Jahres an einem Tiefpunkt ist. Und er hat auch registriert, dass sein Verband in diesen Wirren ein denkbar schlechtes Bild abgibt. Zahlreiche Interna sind zuletzt öffentlich geworden – etwa der Versuch des DFB-Präsidenten Fritz Keller, seinen südbadischen Weggefährten Löw von einem freiwilligen Rücktritt nach der EM 2021 zu überzeugen, was dieser empört als Affront empfunden haben soll. „Das hat mich irritiert, das fand ich sehr traurig, das hat auch Joachim Löw stark verärgert, dass viel Internes nach außen getragen wurde“, sagt Bierhoff. Zumindest „hitzige Debatten“ räumt auch er ein – „von Streit kann aber nicht die Rede sein“. Das Entscheidende sei, dass Löw „das Vertrauen das Verbandes spürt“.

Die Treue beruht nicht (nur) auf Verdiensten der Vergangenheit

Seit mehr als 16 Jahren arbeiten Oliver Bierhoff und Joachim Löw beim DFB eng zusammen. Von einem „offenen, professionellen und vertrauensvollen Verhältnis“ berichtet der Manager – versichert aber gleichzeitig, nicht „der Anwalt des Bundestrainers“ zu sein. Nicht auf Dankbarkeit für alte Verdienste beruhe es, dass er Löw auch weiterhin für den richtigen Mann halte, sondern auf Überzeugung: „Ich bin überzeugt davon, dass Joachim Löw mit seinem Trainerteam diese Situation meistern wird.“ Ganz egal übrigens, „ob er eine blaue Jacke trägt, beim Friseur war oder auch mal kurz auf der Bank zusammensackt“.

Auf welche Weise im neuen Jahr die Trendwende gelingen soll, wenn im März die nächsten Länderspiele anstehen? Womöglich mit einer Rückholaktion der ausgemusterten Weltmeister Thomas Müller, Jerome Boateng und Mats Hummels? Bierhoff windet sich bei dieser Frage, doch scheint inzwischen trotz des von Löw ausgerufenen Umbruchs auch die Rückkehr der Routiniers aus München und Dortmund nicht mehr undenkbar. Der Bundestrainer sei ein Überzeugungstäter und stehe zu seinen Entscheidungen – gleichzeitig sei er aber „nicht so verbohrt“, seine Meinung auch einmal zu ändern. Bierhoff selbst hat die fehlende Erfahrung der Nationalmannschaft als einen Grund für die vielen leichtfertig verspielten Siege in diesem Jahr ausgemacht.

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Bis Ende 2022 läuft der Vertrag von Joachim Löw, doch könnte spätestens im nächsten Sommer die nächste und womöglich endgültige Generalabrechnung folgen. Der „Spiegel“ berichtete am Freitag davon, dass das Abschneiden der Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft 2021 sowohl über die Zukunft des Bundestrainers als auch die des nicht nur intern stark umstrittenen DFB-Präsidenten entscheiden werde. Als völlig zerrüttet gilt Kellers Verhältnis zum Generalsekretär Friedrich Curtius, der sich seit Wochen im Krankenstand befindet.

Mit Fernsehauftritten und Interviews, so heißt es, wolle Fritz Keller in den nächsten Wochen Profil gewinnen und Werbung in eigener Sache machen. Eine ähnliche PR-Tour vor Weihnachten wäre für Joachim Löw ein Graus – doch will sich offenbar auch der Bundestrainer dazu durchringen, der Öffentlichkeit nächste Woche seine Sicht der Dinge präsentieren. Zu früh ist er damit nicht dran.