Prominenz beim zehnjährigen Bestehen des Deutsch-Französischen Instituts 1958: dfi-Direktor Fitz Schenk, Carlo Schmid, Konsul Otto Heinrich Franck, Bundespräsident Theodor Heuss, Botschafter Seydoux de Clausonne, Oberbürgermeister Frank und Schlossverwalter Krüger (von links) Foto: Deutsch-Französisches Institut Ludwigsburg

Vor 75 Jahren traute sich in Ludwigsburg ein Idealist, was für andere noch jenseits der Vorstellungskraft lag: die Annäherung an Frankreich voranzutreiben. Im Interview spricht Frank Baasner, Chef des Deutsch-Französischen Instituts, über eine ganz besondere Institution.

Ein kleiner, feiner Thinktank leistet in Ludwigsburg seit sage und schreibe einem Dreivierteljahrhundert bedeutende Beiträge zur Verständigung zwischen zwei Nachbarländern, deren Beziehungen lange Zeit extrem belastet gewesen waren. Im Interview berichtet Frank Baasner über die Erfolgsgeschichte des Deutsch-Französischen Instituts (dfi), erinnert an die vom Geist der Versöhnung und Verständigung inspirierten Gründerjahre und -väter und blickt auf das Jubiläumsjahr, das 2023 gefeiert wird.

Herr Baasner, wie kam Ludwigsburg so bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs zu seinem Deutsch-Französischen Institut – lange vor dem Élysée-Vertrag, der 1963 den Grundstein für die Freundschaft der beiden Staaten legte?

Das hat mein Vorvorgänger Fritz Schenk, ein Romanist, den es zufällig nach Ludwigsburg verschlagen hatte, damals genial betrieben. Man muss sich das klarmachen: Der Mythos, Konrad Adenauer und Charles de Gaulle hätten die Aussöhnung begonnen, ist Quatsch. Es war – und das ist etwas Schönes und Anrührendes – die Zivilgesellschaft, von der das ausging, es waren teils ganz normale Bürger, die sagten: Nee, Leute, so geht das hier nicht weiter. Da waren, während die Besatzer noch Industrieanlagen abbauten und es am Kriegsende noch schlimme Vergewaltigungen gegeben hatte, Franzosen und Deutsche tatsächlich schon in der Lage zu sagen: Wir müssen anders miteinander umgehen.

Wie hat Schenk das in Ludwigsburg geschafft?

Er wurde 1947 bei Bürgermeister Elmar Doch vorstellig und bat ihn, ihm zu helfen: Er wollte ein Forum schaffen, in dem Deutsche und Franzosen zusammenkommen, miteinander sprechen können, in dem sie wieder einen Dialog knüpfen können. Diesen Mut musste man in der damaligen Zeit erst mal haben, sich hinzustellen und zu sagen: Wir sind hier jetzt eine Plattform für deutsch-französischen Dialog!

Wer hat das bezahlt?

Geldgeberin war damals, im Gegensatz zu heute, einzig und allein die Stadt Ludwigsburg. Es gab noch keine Bundesrepublik, es gab noch keine D-Mark als Währung. Diese Leute hatten einfach Weitsicht. Sagenhaft! Und dazu kommt die glückliche Fügung, dass auf französischer Seite mit dem jungen Alfred Grosser und seiner Mutter engagierte Leute waren, die mit germanophilen, aber nicht durch die Kollaboration diskreditierten Leuten ebenfalls den Wunsch nach Austausch hatten. Alfred Grosser ist dem dfi seit 1949 und bis heute verbunden. Wir reden die ganze Zeit von Europa, vom Zusammenwachsen. Ludwigsburg hat früh gezeigt, dass es die Gesellschaften sind, die so ein Zusammenwachsen tragen müssen und auch können.

Spielte Ludwigsburg im deutsch-französischen Annäherungsprozess damals also eine Vorreiterrolle?

Auf jeden Fall. Ludwigsburg war nicht ganz alleine, auch in Offenburg wurde ein Zentrum zur Förderung des Dialogs gegründet, aber Ludwigsburg wurde bald zum symbolischen Ort der Annäherung. Ab dem Zeitpunkt der Institutsgründung 1948 begann eine lange Geschichte von besonderen Momenten deutsch-französischer und oft auch europäisch ausgeweiteter Verständigung, die mit dem Namen der Stadt Ludwigsburg ganz eng zusammenhängen. Damit unmittelbar verknüpft ist auch die Gründung der ersten Städtepartnerschaft zwischen Montbéliard und Ludwigsburg. Fritz Schenk hatte früh verstanden, dass die Versöhnung auf nationaler politischer Ebene noch ein bisschen würde warten müssen. De Gaulle war 1947, 1948 noch nicht so weit, um einfach mal so einen Freundschaftsvertrag mit Deutschland zu schließen. Da ging Ludwigsburg voran, Jahre vor dem Élysée-Vertrag und vor der Rede an die deutsche Jugend hier im Schlosshof. Wegen dieser frühen Bemühungen ist Ludwigsburg zu Recht in Erinnerung geblieben. Und das Institut hatte auch viel Glück mit den Gründungsmitgliedern, den „Sieben Schwaben“ sozusagen, darunter Carlo Schmid, der erster Präsident des dfi wurde, oder Theodor Heuss. Solche Persönlichkeiten haben der Sache natürlich Aufschwung gegeben. Die Anbindung des Instituts an den Bund kam fast natürlich 1949, als Theodor Heuss erster Bundespräsident wurde und Carlo Schmid Aufgaben auf Bundesebene übernahm.

Beim Festakt für den Historischen Verein jüngst haben Sie allerdings darauf hingewiesen, dass andere sogar noch früher dran waren.

Ja, das stimmt. Schon 1946, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, versammelten sich zum ersten Mal wieder deutsche und französische Jugendliche am Bodensee. Die Initiative kam von dem französischen Jesuitenpater Jean du Riveau, der sich mit deutschen Katholiken zusammengetan hatte. Und im Oktober 1945 publiziert Joseph Rovan die Schrift „L’Allemagne de nos mérites“, frei übersetzt: Deutschland wird so sein, wie wir Franzosen, wie wir als westliche Welt es werden lassen. Auch das war enorm weitsichtig.

Schwenk ins Jetzt: Was macht das Deutsch-Französische Institut heute?

Unsere Arbeit fußt auf mehreren Säulen. Wir sammeln, dokumentieren, archivieren und bereiten Informationen auf. Wir sind die Einzigen bundesweit, frankreichweit und wahrscheinlich weltweit, die so stark in den deutsch-französischen Beziehungen spezialisiert sind und eine Infrastruktur des Wissens bereitstellen können.

Wer greift auf diese Informationen zurück?

Ganz unterschiedliche Gruppen: Unis, Studenten, Schülergruppen und viele Medien. Es lassen sich aber auch Politiker Dossiers zu allen möglichen Themen zusammenstellen. Neben der Aufbereitung von Wissen machen wir auch selbst vertiefte Analysen: Wo sind die großen Knackpunkte zwischen Deutschland und Frankreich, warum ist es so schwierig im Moment? Außerdem betreiben wir intensiv Vermittlung: mit Vorträgen, Hintergrundinfos für Journalisten oder Studienreisen für Stiftungen. Und wir organisieren Plattformen für den Dialog, zum Beispiel zwischen Kommunen zu Nachhaltigkeits- und anderen Themen.

All das wird vermutlich nicht ausschließlich von Franzosen und Deutschen genutzt?

So ist es. Mir war eine Öffnung des dfi sehr wichtig, ein ausschließlicher deutsch-französischer Blickwinkel ist manchmal auch sachlich nicht gut. Wir haben zum Beispiel eine Publikation zu den Wirtschaftsfolgen der Coronakrise veröffentlicht, für die wir auch Italien einbezogen. Und für Städtepartnerschaftsanalyen haben wir eigentlich ganz Europa auf dem Schirm. Sagen wir so: Es ist oft „deutsch-französisch plus“.

Kommendes Jahr feiert das Institut das 75-Jahr-Bestehen und hat kürzlich eine Förderzusage dafür bekommen. Wofür wird das Geld genutzt?

Wir haben das große Jubiläum vor uns, und solche Momente muss man nutzen, um sich für die Zukunft noch besser aufzustellen. Wir müssen vieles von unseren reichen Beständen modernisieren und digitalisieren, und das kostet eine Menge Geld. Das Auswärtige Amt hat uns das dank der Unterstützung vieler Bundestagsabgeordneter zugesagt und die Förderung auf drei Jahre ausgelegt. 170 000 Euro davon bekommen wir im Jubiläumsjahr.

Wie finanziert sich das Institut ansonsten?

Wir haben das Glück, eine institutionelle Förderung der Stadt Ludwigsburg, des Wissenschaftsministeriums Baden-Württemberg und des Auswärtigen Amts in Berlin zu erhalten. Aber das dfi wird nur teilweise von der öffentlichen Hand gefördert, wir sind chronisch unterfinanziert und auf erhebliche Drittmittel und Spenden angewiesen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir die uns zustehenden öffentlichen Mittel auch wirklich bekommen.

Was steht im Festjahr an?

Zwischen dem 4. Juli und dem 6. Juli 2023 wird gefeiert. Das wird ein großes Fest geben, voraussichtlich mit Prominenz. Aber dazu sind wir noch in der Abstimmung. Uns ist dabei wichtig, dass wir nicht nur feiern, sondern auch neue Erkenntnisse und Vorschläge produzieren. Es liegt viel Arbeit vor uns, und wir freuen uns drauf.