Schiedsrichter Felix Zwayer schickt VfB-Linksverteidiger Borna Sosa mit Gelb-Rot vom Platz. Foto: Baumann - Baumann

Schiedsrichter Felix Zwayer spricht im exklusiven Interview über die Vorwürfe von VfB-Trainer Tim Walter nach dem Spiel bei Erzgebirge Aue - und gibt Einblicke in seine Arbeit.

StuttgartErstmals hat sich der FIFA-Schiedsrichter Felix Zwayer zu den verbalen Attacken des Stuttgarter Trainers Tim Walter nach dem 0:0 des VfB am vergangenen Zweitliga-Spieltag bei Erzgebirge Aue geäußert. „Ich habe in diesem Geschäft schon ganz andere Dinge erlebt“, sagt Felix Zwayer.

Herr Zwayer, der VfB-Cheftrainer Tim Walter hat Ihnen nach dem 0:0 von Aue vorgeworfen, sie hätten – vereinfacht ausgedrückt – schlecht und unausgewogen gepfiffen. Was sagen Sie dazu?
Dass dies eine sehr subjektive Meinung ist. Tim Walter vertritt seinen Verein – und da ist es grundsätzlich ein Teil seines Jobs, auch Subjektivität walten zu lassen. Wir Schiedsrichter sind es gewohnt, dass wir mit Kritik konfrontiert werden, und wir stimmen dieser mal mehr und mal weniger zu. Allerdings wünschen wir uns, dass ein Trainer den einen oder anderen Vorgang eines Spiels spätestens mit etwas Abstand objektiver bewertet.

Eine Szene, die das Gemüt von Trainer Tim Walter erhitzt hat, war ein mögliches Foul an dem Stuttgarter Spieler Nicolas Gonzalez in der ersten Hälfte im Strafraum. Ihr Elfmeter-Pfiff blieb aber aus. Warum?
Ich habe meine Wahrnehmung im Spiel – und nach Abpfiff auch die Möglichkeit, sie anhand von Videobildern zu hinterfragen. Dies habe ich auch diesmal getan. Wir haben hier einen frei springenden Ball und zwei Spieler, die in absolut fußballtypischer Weise versuchen, diesen zu erreichen. Dabei bin ich nach wie vor der Meinung, dass auch beide Spieler an den Ball kommen. Danach erfolgt ein Kontakt, der aus meiner Sicht aber nicht übermäßig hart ist. Um auf Strafstoß zu entscheiden, bedarf es da mehr Eindeutigkeit, weil dies ein sehr gravierender Eingriff ins Spielgeschehen ist. Diese Klarheit lag für mich hier nicht vor.

Da hat Tim Walter eine andere Meinung. „Ich hab‘ gedacht, meine Frau pfeift heute, weil die pfeift auch immer für die, die die schönsten Trikots anhaben“, so hat der VfB-Trainer die Gonzalez-Szene bewertet.
Ich sage rückblickend nicht: Das ist ja nie und nimmer ein Strafstoß. Genauso wie ich aber auch nicht sage: Das ist ein glasklarer Strafstoß. Es gibt für beide Sichtweisen Argumente. Wenn ich aber sage: Ich möchte ein klares Vergehen für eine gravierende Entscheidung wie einen Strafstoß haben, dann reicht das, was in dieser Szene passiert ist, für mich nicht aus. Andere können das anders sehen.

Und was ist mit dem Video-Schiedsrichter, in diesem Fall war dies ihr Kollege Robert Kempter?
Er ist dafür da, um die Meinung des Schiedsrichters mit den vorhandenen Videobildern abzugleichen – und nicht, um hier selbst aktiv zu werden. In diesem Fall habe ich ihm via Headset meine Einschätzung geschildert und gesagt: Bitte überprüfe, ob tatsächlich beide den Ball erreichen, ehe es zum Kontakt kommt. Robert Kempter hat es sich angeschaut und mir dies bestätigt. Also habe ich keinen Bedarf gesehen, mir diese Szene noch einmal auf dem Bildschirm anzusehen.

Allerdings bekamen auch Kempter und Co. im Videokontrollraum von VfB-Trainer Walter ihr Fett weg, indem dieser vermutete, sie hätten in der strittigen Szene wohl ihr „Pausenbrot“ gegessen.
Robert Kempter hat einen ausgezeichneten Job gemacht, weil er genau das getan hat, was von einem Video-Assistenten erwartet wird. Wenn es eine potentielle Strafstoß-Situation wie diese gibt, analysiert er die Bilder und kann unabhängig beurteilen: Sollte sich der Schiedsrichter auf dem Feld diese Szene anschauen? Ich habe ihm gesagt, was ich gesehen habe – und er hat überprüft, ob diese Einschätzung richtig war. In diesem Fall hat er meine Beurteilung, dass beide Spieler gleichzeitig den Ball erreicht haben, bestätigt. Also gab es für mich keinen Grund, mir die beschriebene Szene nochmal am Spielfeldrand anzusehen, weil beide Meinungen übereinstimmten.

Auch viele VfB-Fans hat es gestört, dass Sie sich die fragliche Szene nicht am Bildschirm angeschaut haben.
Es gab es für mich keinen Grund, es nochmal anzugucken, weil unsere Urteile gleich ausfielen. Wir haben die anschließende Verletzungspause genutzt, um die Szene zu prüfen. Nur weil ich nicht zum Monitor renne, heißt das nicht, dass wir nicht auf Hochtouren arbeiten. Unser Job läuft dann im Hintergrund. Es wurde immer gewünscht, dass relevante Checks möglichst schnell ablaufen, damit sie den Spielfluss nicht stören. Das machen wir inzwischen wie ich finde sehr ordentlich.

Wie bewertet ein Schiedsrichter eigentlich einen hochemotionalen Trainer wie Tim Walter, der sehr direkt attackiert?
Ich habe in diesem Geschäft schon ganz andere Dinge erlebt. Ich bin nicht nachtragend. Das gilt auch für Tim Walter, den ich für einen absoluten Fußballfachmann halte. Was mich allerdings schon ein wenig wundert, ist der Umstand, dass einige Bewertungen trotz einer Nacht Abstand noch immer mit voller Überzeugung aufrechterhalten werden. Dass man nicht den Versuch unternimmt, einige Dinge zu relativieren, wenn die Emotionen erstmal runtergefahren sind.

Der DFB-Kontrollausschuss ermittelt gegen Tim Walter. Wie finden Sie das?
Dazu kann ich nichts sagen. Denn dies ist ein Vorgang, mit dem ich nichts zu tun habe. Außerdem ist es ein schwebendes Verfahren.

Gehen wir nochmal rein ins Spiel in Aue. Dort gab es nach rund einer Stunde die zweite Gelbe Karte für Borna Sosa. Auch hier hat Tim Walter zunächst einen Strafstoß gefordert – ist dann zurückgerudert, empfindet Gelb-Rot aber nach wie vor als viel zu hart.
Ich bin zunächst erfreut darüber, dass man allgemein zur Einsicht gekommen ist, dass dies kein Strafstoß war. Denn das ist Fakt. Die zweite Gelbe Karte für Sosa habe ich auch hinterfragt. Ich war auf dem Platz der Ansicht, dass der Spieler nichts anderes vorhatte, als sich in den Zweikampf zu stürzen, um ein angebliches Foul vorzugeben. Es gab ja noch zwei andere Schwalben – und zwar vom Spieler Gonzalez, bei denen bei einer auf Vorteil und bei der anderen auf Gelb entschieden wurde. Diese beiden Schwalben waren aber noch klarer, da es hier zu gar keinem Kontakt kam. Nimmt man rückblickend eine Abstufung vor, sind die Gonzalez-Vergehen klarer, was nicht heißen muss, dass die zweite Gelbe Karte gegen Sosa falsch war. Aber man muss sie nicht zwingend geben.

Nach dem Spiel haben Sie Daniel Didavi Gelb gezeigt, der sie – nach seiner Meinung in einem angemessenen Ton – auf ihre vermeintlichen Fehler hingewiesen hat. Wie ist da Ihre Wahrnehmung?
Ist es angemessen, dass ein ausgewechselter Spieler einem Schiedsrichter von der Bank aus 40 Metern hinterherläuft, um ihm zu sagen, dass er zwei eklatante Fehlentscheidungen getroffen und das Spiel kaputt gemacht hat? Das mag jeder für sich beurteilen. Für mich ist das ein unsportliches Verhalten. Die Aufgabe ist für alle Beteiligten doch schwer genug. Auch die Schiedsrichter geben ihr Bestes. Ich bin jedenfalls noch nie einem Spieler hinterhergelaufen und habe ihm gratuliert, oder habe ihm gesagt: Heute war wohl nicht dein Tag.

Ihr Fazit?
Nach dem Spiel habe ich weder einen Spieler noch einen Vereinsvertreter des VfB bei mir in der Kabine gesehen, der kam und mir gesagt hat: Ich habe das ein bisschen anders gesehen, kannst zu mir das aus deiner Sicht erklären? Jeder Trainer und Spieler soll seine Individualität ausleben können. Was mir wichtig ist, wäre aber mehr Verständnis für die jeweilige Aufgabe. Bei mir bleibt da nichts hängen. Wir werden uns ganz sicher wiedersehen – und ich werde wieder neutral urteilen.

Noch eine abschließende Frage: Wer hat denn nun die schöneren Trikots – Erzgebirge Aue oder der VfB?
Das müssen Sie die Fachfrau fragen.

Das Interview führte Heiko Hinrichsen.

Zur Person

Der 38 Jahre alte Berliner Felix Zwayer ist seit 2012 Fifa-Schiedsrichter. Er hat 154 Erst- sowie 83 Zweitligaspiele gepfiffen. Zwayer war einer von vier Schiedsrichtern, die mit ihren Aussagen den Wettskandal um Robert Hoyzer ins Rollen brachten. Jedoch wurde auch Zwayer für sechs Monate gesperrt, weil er ihm bekannte Manipulationen zunächst nicht gemeldet hatte.