David Schalko Foto: Bulgrin - Bulgrin

David Schalkos Roman „Schwere Knochen“ wurde zum Bestseller. Jetzt war er bei LesART zu Gast und gab Einblicke in seine Arbeit.

EsslingenAls „Mordsvergnügen“ und „großen Wurf“ feiert die Kritik David Schalkos Roman „Schwere Knochen“, der im Wiener Verbrechermilieu der Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg angesiedelt ist. Schalko erzählt von einer Bande jugendlicher Kleinkrimineller, die ins KZ gesteckt und dort zu Schwerverbrechern werden, um Jahre später nach ihrer Freilassung die Wiener Unterwelt zu regieren. Bei der LesART hat Schalko sein neues Buch dem Esslinger Publikum vorgestellt. Im Gespräch mit unserer Zeitung gibt er Einblick in seine Arbeit.

Wenn Sie über Ihren Roman reden, zitieren Sie gerne den Satz: „Das heutige Österreich ist im KZ entstanden.“ Das müssen Sie uns erklären.
Diese These wurde von Historikern aufgestellt. In den KZs gab es viele politische Häftlinge, die schon im Lager begonnen haben, an einer künftigen österreichischen Verfassung zu arbeiten und zu überlegen, wie ihr Land nach der Nazizeit aussehen könnte und sollte. Der zweite Aspekt ist, dass die Konzentrationslager sehr nationalistisch aufgeteilt wurden: Es gab Russen-Blocks, Franzosen-Blocks und so weiter. Österreich war eine Nation, die nach der K & K.-Monarchie nicht so genau wusste, was dieses Österreich eigentlich sein will. Im KZ musste man sich zwischen all den Nationen formieren, Die Nazis sorgten dafür, dass sich alle gegenseitig hassten, damit keine Solidarität zwischen den Häftlingen entsteht. Darin hat der Österreicher einen Teil seiner Nachkriegsidentität gefunden.

Versteht man das heutige Österreich besser, wenn man Ihr Buch gelesen hat?
Auf jeden Fall bekommt man eine andere Perspektive. Von Konzentrationslagern wird meist aus der Opfer- oder Täterperspektive erzählt, eigentlich nie aus Sicht der Kapos. Die waren als Häftlinge Opfer, wurde als Handlanger der Nazis aber auch zu Tätern, zum Beispiel bei Exekutionen. Die Leute, von denen ich erzähle, gingen als kleine Ganoven ins KZ und kamen als Kapitalverbrecher wieder heraus. Die Wiener Unterwelt war als besonders brutal verschrien. Im KZ hatte man sie zu Gewaltverbrechern ausgebildet. Wien war nach dem Krieg eine geteilte Stadt. Es herrschten neben Schmuggel auch Bandenkriege wie man sie eher in Amerikanischen Gangsterfilmen vermuten würde.

Ihr Roman liest sich brutal, man kann sich aber auch einer gewissen Faszination nicht erwehren. Wie ist es Ihnen beim Recherchieren und Schreiben ergangen?
Zunächst haben mich die Charaktere und die Legenden, die sich um sie ranken, interessiert. Die Faszination kommt vielleicht daher, dass man bei einer Stadt wie Wien nicht unbedingt mit alledem rechnen würde. Hinzu kommt, dass sich die österreichische Unterwelt auch dadurch von anderen unterscheidet, dass sie mit einer gewissen melancholischen Poesie ausgestattet ist. Bei aller Brutalität spielt Humor eine wesentliche Rolle. Die Wiener Unterwelt war voll von Skurrilitäten.

Diese Skurrilität spiegelt sich in der ganz eigenen Sprache, die Sie für Ihr Buch gefunden haben. War dieser Stil kalkuliert, oder ist er Ihnen aus der Feder geflossen?
Ich habe versucht, eine Sprachfärbung zu entwickeln, die das Wienerische und das Milieu ins Literarische übersetzt. Der Unterwelter spricht gern von sich in Legendenform und macht sich immer ein bisschen größer, als er eigentlich ist. So bekommt der Roman einen eigenen Sound, der mir wichtig ist. Der Erzähler musste einer sein, der selbst aus diesem Milieu kommt und der entsprechend legere Moralvorstellungen hat. Ich hab‘ mir jemanden vorgestellt, der 30 Jahre später beim Branntweiner sitzt und erzählt: So könnte es gewesen sein – aber auch ganz anders. Dieses Spiel mit einem auktorialen Erzähler, der vorgibt, alles zu wissen, aber doch nicht alles weiß, hat mich interessiert.

Als Österreicher ist man ja mittlerweile einiges gewohnt ...
Na ja, was man so hört, ist der Deutsche da auch Kummer gewohnt und steht dem Österreicher um wenig nach.

Na gut, also sind Deutsche und Österreicher beide einiges gewohnt. Konnte man Sie während der Recherchen zu „Schwere Knochen“ trotzdem noch verblüffen?
Da gab es einiges Überraschende – zum Beispiel die Geschichte vom Affen, der geraucht, gesoffen und herumgehurt hat. Den gab es wirklich. Später ist er im Tiergarten Schönbrunn gelandet. Da mussten ihm die Wärter immer Alkohol geben, damit er nicht auf die anderen Tiere losgeht. Das sind schon sehr wienerische Geschichten. Aber mein Buch spielt ja auch in einem Österreich und in einer Welt, die es so schon lange nicht mehr gibt und die trotzdem Kontakt aufnimmt zu unserer Gegenwart. Vieles aus dieser Zeit hat sehr viel mit dem zu tun, wo wir heute stehen.

Wie weit reichen die historisch verbürgten Fakten, und wo beginnt die Fiktion?
Die Charaktere sind teils angelehnt an legendäre Figuren aus der Wiener Unterwelt – die Hauptfigur Ferdinand Krutzler an einen gewissen Josef Krista, den man „Notwehr-Krista“ nannte, weil er es geschafft hat, elfmal wegen „tödlicher Notwehr“ freigesprochen zu werden. Ich erzähle diese Geschichten aber nicht eins zu eins. Die Biografien der Protagonisten liefern mir Material, das in die Geschichte einfließt.

„Schwere Knochen“ ist der letzte Teil einer Trilogie. Die ersten Teile „Braunschlag“ und „Altes Geld“ waren Fernsehserien, nun ist es ein Roman. Warum haben Sie die Geschichte nicht verfilmt?
Der Hauptgrund war das Geld. Es ist einfacher, „Rom brennt“ in ein Buch zu schreiben als „Rom brennt“ zu verfilmen. Abgesehen davon hat mich diese Sprache mehr interessiert, und die ist schwierig ins Filmische zu übersetzen. Ich finde es gar nicht so abwegig, eine Trilogie aus verschiedenen Medien zu realisieren. Eine Fernsehserie fühlt sich artverwandt zum Roman an.

Mehr noch als die Serie „Babylon Berlin“, die etwas früher spielt, ist „Schwere Knochen“ sehr politisch. Ist es Zufall, dass solche Themen hoch im Kurs stehen?
Das glaube ich nicht. Bei „Babylon Berlin“ war’s das Erstarken des Nationalsozialismus in Deutschland, mein Roman beginnt mit dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland. Beides spielt sich also ab, bevor es zum großen Knall kommt. Es wird schon einen Grund haben, dass viele heute ein Lebensgefühl haben, das dem damaligen nicht ganz unähnlich ist.

Sie erzählen eine historische Geschichte, aber im Grunde auch eine sehr zeitlose ...
Verbrechen und Königsdramen sind zeitlos. Deshalb schauen wir uns auch heute noch gerne Shakespeare-Stücke an. Die menschliche Natur ändert sich nicht. Es sind nur die Umstände, die sich ändern. Und es entspricht auch der Ideologie des Faschismus, dass man den Menschen barbarisiert und das Tierische in ihm herausholt, um damit zu arbeiten. Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir so fragile Errungenschaften wie Aufklärung und Solidarität nicht leichtfertig über Bord werfen, sondern immer wieder verteidigen, gerade weil sie eigentlich nicht der Natur des Menschen entsprechen. Es ist viel schwieriger, die Vernunft aufrechtzuerhalten, als der Barbarei zu verfallen.

Das Interview führte Alexander Maier.

Der Autor und sein neues Buch

David Schalko wurde 1973 in Niederösterreich geboren und lebt heute als Autor und Filmemacher in Wien. Nach ersten lyrischen Veröffentlichungen machte er sich mit ungewöhnlichen Fernsehformaten wie der „Sendung ohne Namen“ oder „Willkommen Österreich“ einen Namen. Schalkos Filme wie „Aufschneider“ oder die Fernsehserien „Braunschlag“ und „Altes Geld“ genießen heute Kultstatus. Demnächst soll seine neue Mini-Serie „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ ausgestrahlt werden, die von Fritz Langs gleichnamigem Kino-Klassiker inspiriert wurde. Als Autor wurde Schalko durch Romane wie „Frühstück in Helsinki“, „Weiße Nacht“ oder „KNOI“ bekannt.

Der Roman „Schwere Knochen“ (Verlag Kiepenheuer & Witsch, 19.99 Euro) wurde nach seinem Erscheinen im April zum Bestseller. Schalko erzählt eine Geschichte aus dem Wiener Verbrechermilieu der Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg: Ausgerechnet an jenem Tag im März 1938, an dem ganz Wien dem neuen Führer Adolf Hitler zujubelt, raubt eine Bande junger Kleinkrimineller die Wohnung eines Nazi-Bonzen aus. Die Nachwuchs-Gangster werden geschnappt und ins KZ gesteckt, wo sie als Kapos im Auftrag der Nazis die anderen Häftlinge in Schach halten. Im Lager lernen ihr Anführer Ferdinand Krutzler und seine Bande alles, was sie für eine Verbrecher-Karriere brauchen. Nach dem Krieg übernimmt die Bande die Wiener Unterwelt und nutzt nebenbei ihre Macht, um sich an einstigen Nazi-Widersachern zu rächen. Doch mit der „Ganovenehre“, die lange Zeit ihre wichtigste Lebensversicherung war, ist das so eine Sache ...