„Fußnoten“: Der Hornist Felix Klieser spielt mit den Zehen. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Stuttgart - Ihm zuzuschauen gleicht einer gymnastischen Sensation, ihm zuzuhören ist ein musikalischer Hochgenuss. Der Hornist Felix Klieser, ohne Arme auf die Welt gekommen, bedient die Klappen seines auf einen Ständer montierten Instruments mit den Zehen des linken Fußes. Seiner Autobiographie hat der 26-jährige Bläser denn auch den Titel „Fußnoten“ gegeben. Inzwischen zählt er zu den führenden Vertretern der Trara-Fraktion, und das ließ er im Stuttgarter Mozartsaal gleich zu Beginn in Robert Schumanns Adagio und Allegro hören - von ganz wenigen Einspielpatzern auf dem heiklen Instrument abgesehen. In der langsamen Einleitung legt Klieser eine sonore Messingspur ins dunkelgrüne Waldidyll, schweift in edler Lyrik durchs Klangrevier, steigt aber mit abgründigen Fundamenttönen auch mal ins nächtige Unterholz hinab. Im schnellen Teil, einem Jagd-Rondo, pirscht er behände über Fanfaren-Hürden, verfügt aber auch über den weiten Atem für Momente sensibler Reflexion. Und die Pianistin Mona Asuka, weit mehr als eine begleitende Akkordarbeiterin, fächert die Klangsphären mit gestalterischer Impulsivität auf.

In György Ligetis Trio für Horn, Violine und Klavier räumten die Interpreten, zum Dreierbund komplettiert durch den Geiger Serge Zimmermann, mit einem Missverständnis auf: Das 1982 uraufgeführte Werk, ein Meilenstein der musikalischen Postmoderne, steht zugleich im Ruf des Neotraditionalistischen, ja Reaktionären. Doch die konzise, gespannte, klangbewusste Darbietung, wie sie im Mozartsaal zu hören war, entlarvt die Klischees als üble Nachrede. Die kühle, von Hornquinten ausgehende Melodik des Kopfsatzes, ein gleichsam janusköpfiger, auf Horn und Violine verteilter Doppelmonolog, geriet hier zum alpträumerischen Nachtstück, in dem Gespenster der klingenden Vergangenheit ihre unheimliche Gegenwart anmelden mögen. Im rasanten Scherzo geraten sie in den Beschleunigungsstrudel des Klavier-Ostinatos, der sich in eine Art motorische Trance steigert: cool und jazzig, hitzig und strukturbewusst gleichermaßen. Und so elektrisierend interpretiert wie der folgende grelle (Anti-)Marsch mit seinen Stolperfallen, dem sich ein finales Lamento anschließt, dessen Klage vom Katastrophenlärm der Klavierattacken ausgelöscht wird. Reaktionär? Unsinn. Eine brisant-aktuelle Reflexion von vergehender, vergangener, vernichteter Zeit.

Nach der hübsch, aber auch recht brav gespielten D-Dur-Violinsonatine des jungen Schubert dann jenes Werk, auf das sich Ligeti ausdrücklich bezog: Brahms’ Es-Dur-Horntrio. In wundersamer Organik fügten sich hier Zimmermanns warmer, runder Geigenklang, Kliesers naturhafte Hornrufe, der kantable Wohlklang von Asukas Klavierspiel. Die Romantik von Sternenglanz und Mondnacht schien aufzugehen, doch auch die Verfinsterungen der Melancholie wurden expressiv timbriert. Wie sich im vital aufbrechenden Jagdmotiv-Finale die zarten „Es war einmal“-Reminiszenzen ins davoneilende Geschehen mischten, verband sich in hellsichtiger interpretatorischer Perfektion mit Ligetis Suche nach der verlorenen Zeit.