Die Bilder aus Kabul kratzen am Image der Supermacht. Foto: AFP/WAKIL KOHSAR

In den USA lösen die Bilder aus Kabul heftige Kritik an US-Präsident Joe Biden aus, die sein Lager wiederum für maßlos überzogen hält. Diskutiert wird, ob angesichts des Taliban-Triumphes das Vertrauen in die USA als Bündnispartner zerstört ist.

Washington - Die Sätze dürften Joe Biden durch seine Präsidentschaft begleiten. „Es wird keine Umstände geben, unter denen Sie Menschen sehen, die vom Dach einer Botschaft der Vereinigten Staaten in Afghanistan ausgeflogen werden“, hatte er Anfang Juli angemerkt, als er im Weißen Haus über die Lage sprach. Es sei höchst unwahrscheinlich, dass die Taliban „alles überrennen und das gesamte Land besitzen“. Schließlich die Reporterfrage, ob er, wie manche Vietnamkriegsveteranen, Parallelen zwischen dem Rückzug aus Kabul und dem aus Saigon sehe. „Überhaupt keine. Null“, antwortete der US-Präsident.

Nun wirken die Bilder aus Kabul wie Kopien jener Szenen, die sich im April 1975 in der südvietnamesischen Metropole abspielten. Und als scharfer Kontrast zu Bidens Einschätzung, die im Nachhinein fast naiv wirkt. Es ist der Punkt, an dem die Kritik ansetzt. Es geht weniger um die Abzugsentscheidung als um das Krisenmanagement, das angesichts des bereits vor Monaten beschlossenen Abzugs im Fiasko endete.

Gemäßigte Republikaner schlagen einen harten Ton an

Der republikanische Senator Mitt Romney, normalerweise zu Kompromissen mit Biden bereit, spricht von einem derzeit noch kaum abzuschätzenden Schaden für die „Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Ehre unserer Nation“. Er könne nicht verstehen, warum der Rückzug zu derart tragischen menschlichen Kosten und ohne „effektive Strategie zum Schutz unserer Partner“ erfolge. Das Außenministerium, bemängelt Romneys Parteifreund Michael Waltz, ein Kongressabgeordneter, der als Soldat in Afghanistan war, habe Ortskräften durch eine schleppende Bearbeitung von Visum-Anträgen bürokratische Hürden in den Weg gestellt. Waltz wirft Biden eine „Gefühllosigkeit“ vor, die im Falle eines nächsten Konflikts das Schmieden lokaler Allianzen immens erschweren dürfte.

So hart die Kritik auf den Präsidenten einprasselt, so ungerecht ist sie in den Augen des Biden-Lagers. Das zentrale Argument: Biden habe nicht ahnen können, dass die afghanische Armee unter dem Druck der Taliban praktisch zerfällt, ohne auch nur einigermaßen ernsthaften Widerstand zu leisten. 83 Milliarden Dollar, rechnet das Weiße Haus vor, habe man im Laufe der Jahre für die Ausrüstung und Ausbildung der Streitkräfte Afghanistans ausgegeben. Dass 300 000 Soldaten derart schnell kapitulieren würden, habe niemand vorhersehen können.

Was wäre die Alternative gewesen?

Tatsächlich wurden die Fehlurteile, die manche nun allein dem Mann im Oval Office und dessen Beratern ankreiden, von erfahrenen Diplomaten noch vor Kurzem geteilt. An der Entscheidung zum Rückzug, macht die US-Regierung deutlich, wird sich nichts mehr ändern. Biden habe eine Militärpräsenz beendet, die eine Mehrheit der Amerikaner schon lange nicht mehr unterstützte, betont Außenminister Antony Blinken. „Sieht man es mit den Augen unserer strategischer Rivalen in aller Welt, so gibt es nichts, was ihnen lieber wäre, als dass wir für weitere fünf, zehn oder zwanzig Jahre in Afghanistan blieben“, ergänzte er.