Der deutsche Kaiser Wilhelm I. hat, hoch zu Ross, auf dem Stuttgarter Karlsplatz nach wie vor eine beherrschende Position inne. Foto: Peter-Michael Petsch/PPfotodesign

Weltweit wird über Sinn und Unsinn mancher Denkmäler diskutiert. Nun auch in Stuttgart. Wie wäre es denn, wenn man am Karlsplatz das Reiterdenkmal des Kaisers Wilhelm I. mit dem Mahnmal gegen die Verbrechen der Nationalsozialisten austauschen würde, fragt ein streitbarer Mann.

Stuttgart - Ganz am Ende der Diskussion tritt eine Zuhörerin ans Mikrofon und erinnert an ein Denkmal, das im Schlossgarten neben der Stuttgart-21-Großbaustelle derzeit ein Randdasein fristet, das aber wie gemacht scheint für die an diesem Abend gestellte Frage: Dürfen Denkmäler gestürzt werden?

Unter freiem Himmel, inmitten der Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ im Inneren Nordbahnhof hat die Stiftung Geißstraße 7 den Leiter des Stuttgarter Kulturamts, Marc Gegenfurtner, Josef Klegraf vom Verein „Zeichen der Erinnerung“ sowie Johannes Milla, Stellvertretender Stiftungsratsvorsitzender der Stiftung Geißstraße 7, dazu eingeladen, die aktuell weltweit geführte Debatte zum Umgang mit umstrittenen Monumenten, Denkmälern und Erinnerungszeichen fortzuführen. Tilgen, und wenn ja, wie? Oder doch lieber umdefinieren? So wie jüngst geschehen in Heidenheim, wo vor dem dortigen Erwin-Rommel-Denkmal jetzt eine figurative Skulptur steht, die an die von Landminen Verstümmelten und Getöteten erinnert. Milla hält das für den richtigen Weg: „Ich bin begeistert von der Idee, ein Denkmal neu zu kontextualisieren“, sagt der kreative Kopf der Agentur Milla & Partner, die derzeit das viel diskutierte Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin baut.

Agenturchef Johannes Milla spitzt Fragestellung zu

Während Josef Klegraf die Entfernung eines Denkmals eher als Ultima Ratio versteht und nur dann für angemessen hält, wenn „ein extremer Wertewandel“ eintritt wie beispielsweise nach dem Zweiten Weltkrieg, ist für Milla der Denkmalsturz möglich, wenn man ihn als „performativem Akt“ versteht. Beispiel Karlsplatz: „Wie wäre es denn, wenn man dort die beiden Denkmäler, jenes für Kaiser Wilhelm I. und das für die Opfer des Nationalsozialismus, nicht in einem Gewaltakt, sondern in einen kuratierten performativen Akt vertauscht – die Opfer des Nationalsozialismus auf den Sockel des Kaiserdenkmals hebt?“, fragt Milla.

Marc Gegenfurtner setzt bei solchen Fragen auf den breiten Diskurs quer durch die gesellschaftlichen Schichten: „Wie differenziert gehe ich an die Frage heran?“, fragt der Kulturamtsleiter, der befürchtet, dass in Stuttgart demnächst auch ein Philosoph wie Friedrich Hegel zur Debatte stehen könnte.

Milla erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass Denkmäler und Straßennamen einer Stadt immer von denen geprägt würden, die die Macht haben. „Was also machen wir in Stuttgart zum Beispiel mit Namen wie Porsche oder Schleyer?“, fragt Susanne Kaufmann, Redaktionsleiterin von SWR 2 Landeskultur Baden-Württemberg, die die Diskussion am Mittwochabend moderiert und mit der Frage auf Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus abzielt.

Kulturamt schafft Stelle für Erinnerungskultur

In diesem Zusammenhang weist Milla auch auf das Graevenitz-Museum an der Solitude hin: „Fritz von Graevenitz war Nazi-Künstler und von Adolf Hitler zu einem von zehn ‚gottbegnadeten Künstlern‘ ernannt.“ Weil das Gebäude, in dem das Graevenitz-Museum untergebracht ist, im Besitz des Landes sei, forderte Milla die Landesregierung auf, „die Ausstellung seriös zu kuratieren und zu kontextualisieren“. Bisher fehlten dort Hinweise zu Graevenitz‘ Rolle im Nationalsozialismus.

Um Schnellschüsse zu vermeiden, wird, so Gegenfurtner, im Herbst im Kulturamt eine „Stelle für Erinnerungskultur“ ausgeschrieben, die die jetzt aufgeflammte Debatte um in Kritik geratene Straßennamen und Denkmäler „koordinieren“ soll. Dann dürfte auch der Steinlöwe im Schlossgarten wieder ein Thema sein. Die Skulptur erinnert an das Grenadier-Regiment Königin Olga, das im Jahr 1900 nicht nur am zweiten internationalen Expeditionskorps in China beteiligt war, sondern ab 1904 auch an der Niederschlagung des Herero-Aufstandes in Deutsch-Südwestafrika. „Was denken Sie darüber?“, will Susanne Kaufmann vom Kulturamtsleiter, dem dieser Umstand bisher unbekannt war, spontan wissen. Damit, meint Gegenfurtner vielsagend, könne man „durchaus etwas machen“.