Demonstranten schwenken in Stuttgart ihre Flaggen für die Ukraine. Foto: LICHTGUT/LICHTGUT/Leif Piechowski

In Stuttgart haben Hunderte Menschen für einen EU-Beitritt der Ukraine demonstriert – und gemeinsam die Schrecken des Krieges verarbeitet.

Ganz im Zeichen der angestrebten EU-Mitgliedschaft stand die aktuelle Demonstration der ukrainischen Community in Stuttgart gegen den Krieg in ihrem Heimatland.

Die erneut rund 500 Demonstrierenden hatten am Samstag Verstärkung aus Heilbronn bekommen, wo die geplante Demonstration zugunsten der Stuttgarter verschoben wurde. So sollte angesichts des kommende Woche anstehenden EU-Gipfels, auf dem der Kandidatenstatus zum EU-Beitritt der Ukraine auf der Agenda steht, „ein starkes Bild entstehen für diese Forderung“, wie ein Teilnehmer sagte.

So sah das dann auch die erste Rednerin: „Wir bauen unsere Zukunft und rufen alle dazu auf, die Ukraine auf dem Weg in die EU zu unterstützen, weil die Ukraine Europa ist.“ Dem „Dank für alle Unterstützung der Ukraine“ ließ sie diese Feststellung folgen: „Das ist nicht genug!“ Und fügte hinzu. „Wir brauchen einen Sieg, dieser Krieg muss gestoppt werden!“

Kritik an Kanzler Olaf Scholz

Direkt an den Bundeskanzler adressiert wurden dazu Protestschilder hochgehalten, auf denen eine Schnecke zu sehen war, an deren Häuschen eine Patronenhülse angeheftet war: „Herr Scholz, das reicht nicht!“

„Stopp den Krieg!“ schallte es dann zum Start des fast einstündigen Marsches durch die Innenstadt. Noch lauter und inständiger schien dann mit dem voranschreitenden Demozug die folgende, vielfach wiederholte, rhythmisch geschärfte Parole die Eberhardtstraße hochzurollen: „Ukraine ist Europa!“

Nicht minder mächtig tönte das Generalmotto aller dieser Demos, das „Slava Ukraini“, „Es lebe die Ukraine“, dem sich inzwischen ein „Geroyam Slava“ hinzugesellt hat: „Es leben die Helden der Ukraine!“ Dazu fügte sich wieder der Aufruf zur Rettung ukrainischer Städte, deren Liste nicht kürzer wird: „Save Sewerodonezk“ etwa oder „Save Charkiw“ und „Save Luhansk“, abgeschlossen mit „Save Ukraini“.

Der Ernst der Lage war einmal mehr den Gesichter der Teilnehmenden anzusehen. Darunter Kinder, die sich an ihre Mütter schmiegten, eine junge Frau, die eine schluchzende ältere Frau in den Arm nahm. Und wie ein kollektives Schmerzensbild wirkte die emotional aufgewühlte Versammlung, als die Nationalhymne und andere Lieder aus der geschundenen Heimat gesungen wurden.

Natalia Häusler hat noch keine Demonstration versäumt, wieder schiebt sie ihre zwei Sprösslinge im Kinderwagen mit: „Ja, wir weinen zuhause, wir weinen allein und fühlen uns oft verloren. Hier weinen wir zusammen und singen unsere Lieder“, sagt die Ärztin und Psychologin und fügt hinzu: „Ein bisschen ist das auch Psychotherapie für uns alle. Wir zeigen unsere Flagge, wir sehen, unsere Flagge ist noch da, unsere Land ist noch da. Und wir bestimmen unsere Zusammengehörigkeit als eigene Nation. Das ist es ja, was Putin uns abspricht, was er vernichten will.“

Als Studentin hatte sie 2013/14 in ihrer Heimatstadt Kiew an den pro-europäischen Protesten auf dem Maidan-Platz teilgenommen, seit fünf Jahren lebt sie mit ihrem deutschen Mann und den Kindern in Stuttgart: „Wenn der Krieg vorbei ist, möchte ich ihn davon überzeugen, zusammen nach Kiew zu gehen und zu helfen, das Land wieder aufzubauen.“ Froh sei sie übrigens, dass ihre Oma in Butscha „schon vergangenes Jahr gestorben ist und nicht noch einmal einen Krieg erleben musste“.

Schule gemacht hat das 30 Meter lange Ukraine-Banner, das wie ein Band des Zusammenhaltes wirkt und den Stuttgarter Demos ein optisches Gepräge gibt: Andere Demo-Orte wollten es ausleihen. Stattdessen wurde nun ein Duplikat geschaffen, auf dem die Demonstrierenden ihr Signum hinterlassen konnten. Nun geht das blau-gelbe Symbolbanner auf Reisen, wozu eine Organisatorin erklärte: „So tragen wir unsere Verbundenheit durch ganz Deutschland.“

Bei der Schlusskundgebung auf dem Schillerplatz spannte Sebastian Hoch von „Pulse of Europe“ den Bogen zum Anfang, wobei er auf die starke Unterstützung durch das europäische Parlament baute: „Die Ukrainerinnen und Ukrainer werden in absehbarer Zukunft vollwertige Bürger eines demokratischen Europa sein.“