Ian Paice kam 1968 zu Deep Purple. Heute ist er der Letzte aus der Gründergeneration in der Band. Foto: imago images / Viadata/Holger John

Deep Purple haben ein neues Album: „Turning to Crime“. Wir haben mit Drummer Ian Paice über alte und neue Zeiten gesprochen. Und schon bevor er im Oktober 2022 mit Deep Purple in der Schleyerhalle auftritt, kann man ihn in Stuttgart live erleben.

Stuttgart - Deep Purple wurden vor 53 Jahren gegründet. Seit 1968 haben sie 21 Studioalben veröffentlicht, unzählige Male das Besetzungskarussell rotieren lassen, mehr als 100 Millionen Platten verkauft und mit einem einzigen Riff Musikgeschichte geschrieben. So etwas wie die derzeitige Coronapandemie haben aber selbst Veteranen wie sie noch nie erlebt.

Nach ihren letzten drei, immens erfolgreichen Alben „Now what?!“ (2013), „Infinite“ (2017) und „Whoosh“ (2020) gerade auf einem neuerlichen Zenit angekommen, findet sich die Band mit dem Rest der Welt plötzlich in Quarantäne wieder. Kein guter Ort für Rock-’n’-Roller, findet der Schlagzeuger Ian Paice, der letzte verbliebene Dinosaurier aus der Urbesetzung. „Die Liste der Dinge, die man als Musiker zu Hause tun kann, ist nicht gerade lang“, sagt er. „Entweder man trinkt – oder man macht Musik. Glücklicherweise“, lacht er, „haben wir uns recht bald für Musik entschieden.“

Luftgitarre und Datenversand

Natürlich ist das alles nicht mehr so einfach wie in den frühen Siebzigern, als Deep Purple praktisch jede freie Sekunde miteinander verbrachten. Der Gitarrist Steve Morse lebt in Florida, der Bassist Roger Glover in der Schweiz, Ian Gillan verbringt mehr und mehr Zeit in seiner Zweitheimat Portugal. Dafür ist die Welt aber immerhin technisch deutlich weiter als in den frühen Siebzigern: Selbst Hard-Rock-Urgesteine wie Deep Purple können mittlerweile in ihren Heimstudios arbeiten. Und nach kurzer Einweisung durch Töchter und Söhne auch Dateien hin- und herschicken.

Schnell entstand im Lockdown die unverfängliche Idee des Coveralbums und selbst erklärten Kunstraubs „Turning to Crime“, einer intuitiven Wurzelkunde all jener Interpreten, Songs oder Riffs, die Deep Purple inspiriert haben. Denn klar ist: Auch eine Ikone, die mit „Smoke on the Water“ das legendärste Gitarrenriff aller Zeiten erfunden hat, hat mal im Kinderzimmer mit einem Besen Luftgitarre gespielt.

Alles von Dylan bis Honkytonk

Oder, im Falle von Ian Paice, Schlagzeug mit Kochlöffeln und Töpfen. „Es steckt eine Menge Geschichte in der Platte“, so der 73-Jährige. „Das bedeutet aber nicht, dass die Songs genauso klingen wie die Originale. Wir verbeugen uns eher vor den Vorbildern.“ Das tun sie auf Purple-typische Weise. Mit ordentlich Verve und Augenzwinkern. Da wird in „Rockin’ Pneumonia and the Boogie Woogie Flu“ (von Huey „Piano“ Smith) schon mal ein kleiner „Smoke on the Water“-Verweis eingebaut.

Elf Coversongs und ein ausuferndes Medley finden sich auf „Turning to Crime“. Sie zeigen Deep Purple von ihrer bislang ungewöhnlichsten Seite: Blues, Boogie-Woogie, Rock ’n’ Roll und Honkytonk-Irrsinn kannte man von den Briten ja bisher eher eher weniger. Wahrscheinlich schimmert die Spielfreude gerade deswegen so deutlich durch. „White Room“ von Cream, „Watching the River flow“ von Bob Dylan oder „Oh well“ von Fleetwood Mac: Die Hörer erleben eine äußerst vergnügliche und kurzweilige Reise zu den Ursprüngen einer Hard-Rock-Legende. „Diesen Songs etwas von uns selbst mitzugeben ist für uns eine schöne Möglichkeit, unsere Wertschätzung diesen Stücken gegenüber auszudrücken“, so Keyboarder Don Airey.

Auch der Älteste hat kein Vetorecht

Dem bot die seltene Gelegenheit, zu Hause aufzunehmen, gleich den Anlass, haufenweise Equipment in sein privates Studio zu wuchten. „Ich habe viele Keyboards und Synthesizer benutzt, die ich noch nie auf einem Purple-Album verwendet habe: Ein Harp Odyssey, diverse Moogs, eine Hammondorgel oder ein Fender-Rhodes-Piano“, schwärmt er. „In ‚7 and 7 is‘ habe ich sogar ein uraltes Wurlitzer-Piano gespielt, das ich nie in ein Studio oder auf Tour schleppen könnte. Es würde sofort auseinanderbrechen.“

Über die Songauswahl wurde streng demokratisch entschieden. So wie immer bei Deep Purple. Als letztes verbliebenes Gründungsmitglied hat also selbst Ian Paice kein Vetorecht. „Es wurde mehrheitlich beschlossen, dass ich nicht das letzte Wort haben darf“, sagt er lachend. „Aber das ist okay, so funktionieren Deep Purple am besten. Die Band ist immer noch freundschaftlich verbunden, deswegen machen wir das ja überhaupt noch.“

Wie in einer alten Ehe

Eine Nabelschau wie „Turning to Crime“ ist natürlich immer auch mit einer Retrospektive des Erreichten verbunden. Ian Paice schmeißt die Zeitmaschine an: „Ich werde die Aufregung und dieses einzigartige Gefühl in den frühen Siebzigern, Teil von etwas ganz Großem zu sein, nie vergessen. Doch musikalisch und emotional war es nie besser als heute. Das gemeinsame Wachsen und der zurückgelegte Weg Seite an Seite sind etwas Wunderbares. Das ist wie in einer Ehe: Man lässt sich einfach nicht scheiden.“

► Album Das Deep-Purple-Album „Turning to Crime“ (Edel) ist am 26. November erschienen.

► Konzerte Mit der Deep-Purple-Tribute-Band Purpendicular tritt Ian Paice am 6. Dezember in Stuttgart im Wizemann auf. Ein Konzert mit Deep Purple ist dann am 14. Oktober 2022 in der Schleyerhalle geplant.

Der Mythos Deep Purple

Nummerierung
Die verschiedenen Besetzungen von Deep Purple werden Mark I, II, III und IV genannt. Als legendärstes Line-up gilt Mark II, bestehend aus Ian Gillan (Gesang), Roger Glover (Bass), Jon Lord (Keyboard), Ian Paice (Schlagzeug) und Ritchie Blackmore (Gitarre).

Rauch
Das legendäre „Smoke on the Water“ beruht auf einer historischen Begebenheit: Am 4. Dezember 1971 nehmen Deep Purple in Montreux gerade neue Songs auf, als bei einem Frank-Zappa-Konzert nebenan ein Feuer ausbricht. Zu Schaden kommt zum Glück niemand. Dafür wird die Band mal eben zum Mutterschiff des Hard Rock inspiriert.

Comeback
Zwischen 1976 und 1984 sind Deep Purple offiziell aufgelöst. Rückblickend ist insbesondere diese Pause für den Legendenstatus der Band verantwortlich. Das Comeback-Album „Perfect Strangers“ (1984) wird zur erfolgreichsten Veröffentlichung der Mark-II-Besetzung.