Die Sängerin, Songwriterin und Nebenerwerbsschauspielerin Björk. Foto: StZN/Vidar Logi

Die isländische Popsängerin Björk legt ihr nun zehntes Album vor. Auf „Fossora“ zeigt sie sich wieder mal voller Freude am Experiment.

Nanu? Sechs Bassklarinetten instrumentieren „Atopos“, das Eröffnungsstück des neuen, an diesem Freitag erscheinenden Björk-Albums „Fossora“. Das klingt – in jeder Hinsicht – ungewöhnlich. Gilt doch dieses Holzblasinstrument nicht gerade als das coolste Hipstertool schlechthin, und auch mit seiner bisherigen Verwendung in der Popularmusik kann man schwerlich üppige Musikbibliotheken bestücken.

Aber das schon komisch aussehende zwittrige Instrument aus Grenadillholz mit metallenem S-Bogen und Schalltrichter, sonst allenfalls peripher im Jazz beheimatet, passt perfekt zu Björks auch diesmal wieder extraordinären Musik, muss sich die Sängerfee wohl gedacht haben. Und damit auch gleich gründlich mit allen Hörkonventionen gebrochen wird, komplettiert ein indonesisches Duo namens Gabber Modus Operandi das Personaltableau in „Atopos“, das für gewöhnlich in besonders schrägen Techno-Spielarten beheimatet ist.

Darüber legt sich die nach wie vor unikale Stimme der mittlerweile 56-jährigen Isländerin, und heraus kommt bei diesem Stelldichein der Originalitäten ein entsprechend vertracktes Stück Musik.

Da geht noch mehr!

Versponnener geht’s nimmer? Aber sicher doch! Im weiteren Verlauf der dreizehn Stücke dieses Albums, die auf Titel wie „Ovule“, „Fagurt Er i Fjördum“ oder „Trölla-Gabba“ hören, kommen neben dem den Gesamtklang prägenden Bassklarinettensextett auch Posaunen, Pauken, Oboe, ein Streichorchester, ein dutzendköpfiges Flötenensemble und ein Chor hier, am Synthesizer generierte Basslinien und Keyboardprogrammierungen dort zum Einsatz. Das dieses Werk durchziehende Grundthema schließlich, wie es auch in den Songtiteln „Mycelia“ und „Fungal City“ anklingt, ist den Worten der Künstlerin zufolge der Pilz als solcher. Ach ja, und die Coronapandemie.

Wie bitte? Jawohl, richtig gehört, Covid und Pilze. Lauschen wir daher doch am besten kurz herein in das, was die Künstlerin selbst dazu sagt. „Wir alle zusammen haben eine einzigartige Zeit durchlebt, wir waren lange genug an einem Ort, um dort Wurzeln zu schlagen, ich habe versucht, dieses Gefühl einzufangen, ich habe es mein Pilz-Album getauft: Baumwurzeln und Pilze, die sich ihren Weg tief ins Erdreich bahnen“, spricht Björk also, quasi, um den Wunderlichkeiten noch ein Krönchen aufzusetzen.

Und was soll man davon halten?

Sonderbar kann man all das finden, kauzig und schrullig, es als verquast-verkopft abtun – und man stünde mit dieser Meinung gewiss nicht alleine da.

Man könnte es aber auch als nächste Etappe einer langen Reise durch die Songwelten betrachten. Einem Trip, der mit dem Sieg der elfjährigen Björk Gudmundsdottir aus Reykjavik bei einem isländischen Radioklavierwettbewerb begann, der mit ihrer Mädchenpunkband und der Fusionjazzformation einer 14-Jährigen weiterging und vorläufig mit ihrer Band Sugarcubes endete, mit der sie als erste isländische Band überhaupt international Erfolge feierte. Ehe Björk dann nach London zog und eine Weltkarriere startete, mit sonoren Popsongs wie „Violently Happy“ oder „Hyperballad“, mit Gold- und Platinalben, ehe alles immer abenteuerlustiger und experimenteller wurde – musikalisch mit Inuit-Chören, der Ausnahmeharfenistin Zeena Parkins und orientalischen Folklore-Elementen, oder in anderen Grenzgebieten wie etwa den Avantgarde-Filmen ihres Ex-Lebensgefährten Matthew Barney. Einer langen Reise durch vielerlei künstlerische Gefilde, die jetzt auf ihrem nunmehr zehnten Studioalbum ihr vorläufiges Ende findet.

So kann man’s auch sehen

Oder aber man reißt sich los von all solchen Kategorisierungen und versucht vorurteilslos, „Fossora“ sozusagen als L‘art pour l’art zu begreifen.

Dann hört man ein sehr interessant, stimmungsvoll und vielschichtig instrumentiertes Popmusikalbum, das sphärisch, verspielt und keinesfalls verquer, sondern ganz im Gegenteil ein wenig märchenmusicalhaft klingt, dabei aber stets großen künstlerischen Ausdruckswillen vermittelt.

Man vernimmt wabernde Klänge, breit orchestrierte Bögen, nur wenig Fragment und viel ausformulierte Komposition, in der sich die so unvereinbar klingenden Gegensätze aus klassischem Orchesterinstrumentarium und Technobasteleien zu einem verblüffend funktionierenden Ganzen fügen, bekränzt von ungemein assoziationsweckender Lyrik.

Über allem erhebt sich zu guter Letzt die dieses Album wieder einmal krönende, umwerfende Singstimme der isländischen Weltenbürgerin, die – bei keiner Popkünstlerin auf Erden könnte die Formulierung besser passen als bei Björk – nach wie vor ihresgleichen sucht.

Die Triggerwarnung vor einem in jedem Fall fordernden und anstrengenden Album muss dennoch sein. Wer jedoch Lust auf eine musikalische Sinnesreise par excellence verspürt und sich auf künstlerische Komplexität einzulassen bereit ist, den kann „Fossora“ zum Glückspilz machen.

Björks „Fossora“ (One Little Independent/H’Art) ist als CD und LP erhältlich.

Noch mehr klassische Orchesterblasinstrumente in der Popmusik

Querflöte
 Die Musik der Band Jethro Tull mag nicht jedermanns Ding sein, das Instrument hat ihr Leader Ian Anderson aber nicht nur mit dem Klassiker „Locomotive Breath“ in der Rockmusik salonfähig gemacht.

Oboe
 Donovan, Peter Gabriel mit Genesis (etwa auf den legendären Alben „Selling England by the Pound“ und „The Lamb lies down on Broadway“) sowie Roxy Music nutzten das filigrane Holzblasinstrument, am bekanntesten dürften seine Einsätze in Art Garfunkels „Bright Eyes“ und bei Tanita Tikarams „Twist in my Sobriety“ sein.

Klarinette
Die prägnante Melodie des Klappeninstruments in „Breakfast in America“ von Supertramp hat jedermann im Ohr, nicht minder bekannt dürfte ihre Verwendung bei den Beatles in „When I’m Sixty Four“ sein. Weder eine Oboe noch eine Klarinette sind hingegen in Stings „Englishman in New York“ zu hören. Das den Song prägende Instrument ist ein Sopransaxofon, gespielt vom Ausnahmejazzer Branford Marsalis.