Auf Abstand, doch nah an den Büchern: Thea Dorn, Ulrich Matthes, Andrea Petkovic und Lisa Eckhart (v. li.) Foto: dpa/Jule Roehr

Dem Auftritt der umstrittenen Kabarettistin Lisa Eckhart im „Literarischen Quartett“ ist eine heftige Diskussion vorausgegangen. Doch der Abend verlief anders, als erwartet.

Stuttgart - Eines hat Maxim Biller auf jeden Fall erreicht: Dass das jüngste „Literarische Quartett“ allseits Beachtung gefunden hat, weit über das Übliche hinaus. Und ob man nun enttäuscht oder inspiriert zurückbleibt – das Aufregendste an dieser Weihnachtsausgabe war mit Sicherheit die Ouvertüre.

In einer wütenden Tirade in der „Süddeutschen Zeitung“ hat sich das einstige Quartett-Mitglied Maxim Biller über die Einladung der österreichischen Kabarettistin Lisa Eckhart ereifert. In der Sendung, die für immer mit dem Namen Marcel Reich-Ranickis verbunden sei, sitze nun eine Frau mit blonder HJ-Frisur, die in herablassendem Offiziersmessen-Ton schon mehrere Antisemitismus-Skandale provoziert habe. Damit habe der deutsche Jude und Literaturkritiker endgültig den Kampf gegen die Nazis verloren.

Koketterie mit dem Bösen

Zweifellos hat die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart die Koketterie mit dem Bösen zum lukrativen Geschäftsmodell einer befremdlichen Grenzüberschreitungskomik gemacht. Strittig aber ist, ob sie damit wirklich nur abstoßende Ressentiments und dumpfe Affekte bedient, oder nicht doch eher auf diabolische Weise decouvriert.

Und solange letzteres zumindest noch denkmöglich ist, darf man vielleicht daran erinnern, dass Maxim Biller bei einer seiner jüngsten pamphletistischen Attacken gegen eine linke Identitätspolitik zu Felde gezogen ist, die Menschen nur als Mitglieder von Opfergruppen begreift. Er verteidigte darin beispielsweise die Vergewaltigungslyrik des Rammstein-Frontmanns Till Lindemann gegen protestierende Schriftsteller-Kolleginnen.

Es mag nun etwas mutwillig klingen, aber im „Literarischen Quartett“ spielt Lisa Eckhart am ehesten den Part, den früher der Bad Boy Maxim Biller übernommen hatte. Spitzzüngig kalkuliert und ziemlich pointenverliebt argumentiert sie wacker gegen allzu friedliche Konsensbereitschaft. Wenig überraschend hat sie sich Michel Houellebecq ausgesucht. Auch wenn „Ein bisschen schlechter“ eher schwächere Gelegenheitsprovokationen des französischen Autors versammelt, kommt es im gemischten Doppel zwischen der in schwarzem Latex und tiefstdekolletiert ihr mephistofelisches Corporate Design pflegenden Kabarettistin, dem Schauspieler Ulrich Matthes, der schreibenden Tennisspielerin Andrea Petkovic und der Moderatorin Thea Dorn immer wieder zu unterhaltenden Ballwechseln. Wo Matthes nur eine Liste reaktionärer Gemeinplätze erkennen will, vernimmt Lisa Eckhart ein tiefes moralische Bewusstsein, aber keinerlei Lust zu moralisieren: „Heute verhält sich das bei Künstlern normalerweise eher umgekehrt.“

Der Skandal bleibt aus

Unter den Motiven für die einhellige Begeisterung über Elif Schafaks „Schau mich an“, einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte zwischen einer dicken Frau und einem kleinen Mann, waren die Eckharts zumindest am kurzweiligsten. Dass ein Roman dadurch Empathie erzeugt, dass er wenig Empathie zeigt, macht in der Tat neugierig. Und auf die Idee, Don DeLillos Endzeitkammerspiel „Die Stille“ mit Ionesco zu lesen, wäre man nicht unbedingt gekommen.

Schließlich „Es wird wieder Tag“ von Minka Pradelski, ein Roman über eine Holocaustüberlebende, die eines Tages im Nachkriegsdeutschland ihrer KZ-Aufseherin begegnet. Thea Dorn hält es für eines der wichtigsten Bücher des Jahres, kann damit zwar Andrea Petkovic, aber weder Ulrich Matthes noch Lisa Eckhart überzeugen. Ein Thema wie dieses dürfe nicht in einen adjektivsatten Schmöker verwandelt werden. Das kann man so sehen. Der Skandal bleibt aus. Es sei denn, man sieht ihn darin, dass man an die goldenen Zeiten von Marcel Reich-Ranicki wirklich nicht zurückdenken darf. Aber daran hat die Moderatorin Thea Dorn mindestens so großen Anteil wie ihre umstrittene Diskutantin.