Die Hölle auf Erden: Wie kein anderer Komplex in Syrien symbolisiert das Saidnaja-Militärgefängnis die Brutalität und Terrorherrschaft des Assad-Clans. Foto: Imago/Abacapress

Nach dem Sturz des Assad-Regimes snd auch die Gefangenen des berüchtigten Saidnaja-Gefängnisses befreit worden. UN-Experten sprachen mit früheren Insassen über die Zustände in syrischen Gefängnissen. Ein UN-Bericht zeigt, dass nicht nur die Gefangenen, sondern auch ihre Familien jahrelang leiden.

„Homo homini lupus“ – der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, sein gefährlichster Feind. Diese Prämisse vertrat der englische Philosophen und Staatstheoretiker Thomas Hobbes (1588-1679). „Selbst die Guten (müssen) bei der Verdorbenheit der Schlechten ihres Schutzes wegen die kriegerischen Tugenden, die Gewalt und die List, d. h. die Raubsucht der wilden Tiere, zu Hilfe nehmen“, schreibt er in seinem staatsphilosophischen Hauptwerk „Leviathan“.

Thomas Hobbes tut den Wölfen allerdings Unrecht. Die Rudel-Räuber jagen und töten, um zu überleben. Der Mensch dagegen übt Gewalt gegen andere seiner Spezies aus, weil er Gefallen an Brutalität, Folter und Mord findet; weil er unterdrücken, Schmerzen zufügen und Angst verbreiten will.

Saidnaja-Gefängnis: Symbol für Assads Herrschaft

Angst und Furcht waren auch die eigentlichen Triebkräfte, mit denen das Assad-Regime in Syrien das eigene Volk über 54 Jahre unterdrückte. Wie kein anderer Komplex in dem vom Bürgerkrieg zerrissene und zerstörte Land symbolisiert das Saidnaja-Gefängnis (auch Sednaya geschrieben) die Brutalität und Terrorherrschaft des Assad-Clans.

Eine Luftaufnahme zeigt das berüchtigte Saidnaja-Militärgefängnis nördlich von Damaskus. Foto: Imago/ZumaPress Wire
Der dreistrahlige Hauptbau liegt 17 Kilometer nördlich von Damaskus auf einer Höhe von 1300 Metern. Foto: AP/Ghaith Alsayed/dpa
Die eigentliche Gefängnisanlage umfasst eine bewachte Fläche von 160 x 260 Metern. Foto: Imago/Abacapress

Baschar al-Assad hatte bei seinem Amtsantritt im Jahr 2000 von seinem verstorbenen Vater Hafis al-Assad einen Apparat von Gefängnissen und Haftanstalten übernommen, in denen Andersdenkende weggesperrt wurden. Saidnaja war das Herz dieser Unterdrückungsstruktur.

Islamisten wollen Liste mit Folterern veröffentlichen

Nach dem Sturz von Assads sind die Menschen in Scharen zu dem berüchtigten Militärgefängnis geströmt, um nach teils seit Jahren inhaftierten Angehörigen zu suchen. Bis Montagabend (9. Dezember) versammelten sich Tausende vor der mehrstöckigen Haftanstalt nördlich der Hauptstadt Damaskus.

Unterdessen kündigte der Anführer der siegreichen Islamisten, Mohammed al-Dscholani, an, eine Liste der an Folter beteiligten Ex-Beamten zu veröffentlichen. Die Liste werde „die Namen der ranghöchsten Beamten enthalten, die in die Folterung des syrischen Volkes verwickelt sind“. „Wir werden Belohnungen für jeden anbieten, der Informationen über hochrangige Armee- und Sicherheitsoffiziere liefert, die in Kriegsverbrechen verwickelt sind.“

Ein Mann hält zwei Seile in Form von Schlingen hoch, die im berüchtigten Militärgefängnis Saidnaja nördlich von Damaskus gefunden wurden. Foto: AP/Hussein Malla/dpa
Menschen inspizieren Dokumente, die sie im berüchtigten Saidnaja-Militärgefängnis nördlich von Damaskus gefunden haben. Foto: AP/Hussein Malla/dpa

Vernichtungslager des Regimes

Hafis al-Assad hatte die Macht im Land im Jahr 1970 übernommen. Das Gefängnis wurde in den Jahren 1981 bis 1986 erbaut. Der dreistrahlige Hauptbau liegt 17 Kilometer nördlich von Damaskus auf einer Höhe von 1300 Metern. Die eigentliche Gefängnisanlage umfasst eine bewachte Fläche von 160 x 260 Metern. Der Komplex ist für 10.000 bis 20.000 Häftlinge ausgelegt.

Mit der Niederschlagung pro-demokratischer Proteste im Jahr 2011 durch Baschar al-Assad begann dann ein Bürgerkrieg, dem eine halbe Million Menschen zum Opfer fielen und der Millionen Syrer in die Flucht trieb. Seitdem wurde Saidnaja zu einem Vernichtungslager des Regimes, in dem mehrere zehntausend Menschen ermordet wurden.

Das Areal war von vier Absperrungsringen umgeben. Foto: Imago/Abacapress
Geöffnete Zellentüren im Gefängnistrakt. Foto: Imago/Abacapress
Wo bis vor wenigen tagen noch Menschen gefoltert wurden, herrscht jetzt Totenstille. Foto: Imago/Abacapress

Dem Syrischen Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) zufolge wurden allein seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 mehr als 15.000 Menschen durch Folter getötet. In 98 Prozent der Fälle war die syrische Regierung des gestürzten Machthaber Baschar al-Assad verantwortlich, in Dutzenden Fällen aber auch HTS, andere Milizen in Syrien oder die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Seit 1986 bis zu 150.000 Gefangene in Saidnaja

Laut dem Leiter der Weißhelme, Raid Al Saleh, sollen seit 1986 bis zu 150.000 Menschen in dem Gefängnis inhaftiert gewesen sein, das unter Syrern wegen des brutalen Vorgehens der Wärter und berüchtigter Foltermethoden als „Schlachthaus“ bekannt ist. Unter den Inhaftierten waren laut der Organisation Tausende unschuldige Zivilisten, „die vom früheren Assad-Regime eingekerkert wurden“.

Mittlerweile befinden sich in dem Komplex keine Gefangenen mehr. Die systematische Durchsuchung des riesigen Komplexes nördlich von Damaskus nach geheimen Zellen und verborgenen Kellerräumen sei inzwischen abgeschlossen.

Foto: AP/Hussein Malla/dpa
Menschen gehen durch einen der Korridore. Foto: AP/Hussein Malla/dpa
Zwei Männer inspizieren mit ihren Taschenlampen einen Korridor Foto: AP/Hussein Malla/dpa
Von den Insassen zeugen nur noch zerlumpte Kleiderstücke. Foto: Imago/Abacapress

Keine Häftlinge mehr in Assads „Schlachthaus“

Mithilfe von Spürhunden und Insidern, die mit dem Gefängnis vertraut seien, hätten fünf Suchteams den gesamten Komplex durchkämmt, teilten die Weißhelme, eine syrische Hilfsorganisation, mit. „Alle Eingänge, Ausgänge, Luftschächte, Abwasseranlagen, Wasserrohre, Kabelschächte und Überwachungskameras wurden überprüft“, hieß es. „Trotz dieser umfangreichen Bemühungen wurden keine versteckten oder verschlossenen Bereiche entdeckt.“

Die Suche nach den vermissten Opfern des Machtapparats gehe dennoch weiter. Auch außerhalb des Gefängnisses gebe es Massengräber und zahllose Leichen zu identifizieren.

Für viele, die nach ihren vermissten Angehörigen schauen, bleibt die Suche erfolglos. Foto: AP/Hussein Malla/dpa
Die Ungewissheit über den Verbleib und den Zustand von inhaftierten Familienangehörigen ist traumatisch für die betroffenen Familien. Foto: Imago/Abacapress
Trauer und Schmerz beherrschen die Menschen. Foto: AP/Hussein Malla/dpa

UN-Bericht: Systematische Folter in syrischen Gefängnisse

In Syriens Gefängnissen werden Insassen nicht nur systematisch gefoltert, sondern ihnen werden auch schwere körperliche und seelische Schäden zugefügt. Dies geht aus einem Bericht von Experten der Vereinten Nationen hervor, in dem Aussagen von mehr als 300 ehemaligen Insassen ausgewertet wurden. Die Ungewissheit über den Verbleib und den Zustand von inhaftierten Familienangehörigen sei traumatisch für die betroffenen Familien, heißt es darin.

Bereits Minderjährige wurden demnach festgenommen und in dunklen, von Insekten und Nagetieren befallenen Zellen in Einzelhaft festgehalten. Ein Minderjähriger habe angegeben, zwei Tage lange mit einer verwesenden Leiche in einer Zelle eingesperrt gewesen zu sein. Sowohl männliche als auch weibliche Insassen sagten aus, dass sie gezwungen worden seien, sich nackt auszuziehen.

Bereits Minderjährige wurden festgenommen und in dunklen, von Insekten und Nagetieren befallenen Zellen in Einzelhaft festgehalten. Foto: Imago/Abacapress

Männliche Befragte gaben an, dass man auf ihre Genitalien eingeschlagen und sie mit Elektroschocks misshandelt habe. Kinder seien gezwungen worden, die Folter ihrer Eltern anzusehen, heißt es in dem Bericht, der sich auf einen Zeitraum von 2011 bis 2022 bezieht.