Hat es ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft: Das Schiefe Haus, das nach aufwändiger Sanierung ein Hotel beherbergt. Quelle: Unbekannt

Von Edgar Rehberger

Ulm kann nicht nur mit seinem berühmtesten Sohn Albert Einstein aufwarten. Oder mit dem Münster, mit 161,53 Meter der höchste Kirchturm der Welt. 768 Stufen müssen erklommen werden, um in 143 Meter Höhe auf der obersten Aussichtsplattform mit schönem Ausblick belohnt zu werden. Nein, auch das Fischer- und Gerberviertel der einstigen Stauferstadt lohnt in jedem Fall einen Besuch - idealerweise in einer Kombination, wie sie von der Tourist-Info Ulm zwei Mal täglich angeboten wird. In den eineinhalb Stunden sind 30 Minuten dem Ulmer Münster gewidmet, eine Stunde dem Fischerviertel, das wahrlich viel Sehenswertes bietet.

Der Spaziergang führt entlang einer Vielzahl von Gassen, Brücklein und Plätzen, vorbei an Fachwerk im Überfluss und einer Fülle von Gaststätten und Cafés. Das Quartier hat sich seit Ende der 1970er-Jahre vom einstigen Handwerkerviertel zum Nobelquartier entwickelt. Auf dem Weg vom Bahnhof oder Parkhaus (siehe Info unten) findet der Besucher dank Hinweisschildern gut ins Viertel. Vorbei am neuen markanten Gebäude der israelitischen Religionsgemeinschaft und dem Schwörhaus, in dem heute das ‚Haus der Stadtgeschichte‘ und das Ulmer Stadtarchiv beheimatet ist, und in dem der Oberbürgermeister jährlich am Ulmer Feiertag (Schwörmontag) seinen Eid erneuern muss und in einer Rede seinen Rechenschaftsbericht vor dem Volk ablegt, gelangt man direkt auf das Schiefe Haus.

Am Fuß der Staufermauer, an und über der Blau, liegt das Schiefe Haus. Durch diverse Um- und Ausbauten erlangte ein Mitte des 14. Jahrhunderts entstandenes kleineres Fachwerkhaus die bis in die heutige Zeit erhaltene Größe. In der Geschichte des Hauses spiegelt sich auch die Geschichte des Fischerviertels. Ursprünglich war auch dieses Haus von Fischern bewohnt, wie ein im Keller entdecktes Bassin bestätigt, in dem der noch lebende Fang aufbewahrt werden konnte. Später ging das Haus in den Besitz anderer Handwerker über. Im 19. Jahrhundert setzte ein Verelendungsprozess ein, der sich ebenso wie die Industrialisierung in den Berufen der Hausbewohner nachvollziehen lässt. Schweinehirten, Fabrikarbeiter und zeitweise auch die völlig verarmte Witwe des unglücklichen Schneiders von Ulm haben hier gelebt. Seit seiner Restaurierung 1995 wird das Schiefe Haus als Hotel genutzt. Es ist laut Guinness-Buch der Rekorde das schiefste Hotel der Welt.

In Schieflage geriet das Haus, weil die Südseite in der Blau steht. Deren Grund gab unter der Last des Bauwerks nach. Dieses neigte sich immer weiter, was die Bewohner durch Aufschüttungen im Inneren des Hauses auszugleichen versuchten. Die Südseite wurde immer noch schwerer und schiefer, bis die Sanierung 1995 den Prozess stoppte.

Zur Zunft der Fischer und Schiffleute gehörten auch die Garnsieder, die ihre Werkstätten innerhalb der Stadt betrieben. Die Reste einer solchen Garnsiede sind 1999 bei Sanierungen des Gebäudes Schwörgasse 3 ausgegraben worden. Sie sind in ein kleines Museum verwandelt worden. Am markantesten geprägt haben das Viertel aber die Gerber. Deshalb nennt man das Gebiet entlang der Blauarme südlich der Neuen Straße auch „Fischer- und Gerberviertel“. Dieses geruchsintensive Handwerk, das darin besteht, in einem künstlichen Fäulnisprozess Fleisch und Fett von der Lederhaut der toten Rinder zu trennen, benötigt viel Wasser. Die Gerber - die Zunft zählte 1786 noch 22 Meister - bauten daher ihre Häuser an die Blau, versahen sie mit Plattformen, von wo aus sie die Häute spülen konnten, und verschalten die Fassaden mit Holz. Diese Gerberhäuser, inzwischen restauriert, geben dem Viertel entlang der „Großen Blau“ ihr charakteristisches Aussehen. Nicht umsonst wird das Viertel auch „Klein-Venedig“ genannt.

Ältester Wirtschaftsfaktor des Fischerviertels neben den Fischern waren die Mühlen. Insgesamt sieben Mühlen lagen an den beiden Blauarmen im heutigen Fischerviertel. Zu den Anlaufstellen beim Rundgang im Fischer- und Gerberviertel gehört auch das „Schöne Haus“ und das Zunfthaus. Vor dem „Schönen Haus“ in der Fischergasse 40 erinnert noch ein Fischerboot und ein Bild mit dem einstigen Fernziel Belgrad an die Meister der Schiffsleute. Das benachbarte so genannte „Zunfthaus der Schiffleute“ zeigt seit seiner Restaurierung 1977 wieder den vier Meter hohen Hallenraum, in dem die Fischer früher im Winter ihre Boote aufstellten.

Das älteste Gasthaus in diesem Bereich ist die „Forelle“, auch „Häusle“ genannt, von der die „Häuslesbrück“ ihren Namen hat. Auf ihr werden täglich zigfach Fotos geschossen. Der Name „Forelle“ ist seit 1695 nachweisbar.

Als Herzstück des Fischerviertels gilt der Saumarkt, der offiziell Schweinemarkt heißt und noch im 20. Jahrhundert abgehalten wurde. Er gilt als Zentrum der so genannten „Räsen“, wie sich die Ureinwohner des Fischerviertels und Nachfahren der Fischer und Schiffsleute nennen. „Räs“ heißt so viel wie rau und kennzeichnet die Umgangsformen der Protagonisten. Eine Skulptur erinnert an den Schweinemarkt. Die Aufschrift: „Dr Metzger ond dr Baur beim Hendl om dui Sau“. Der Schweinemarkt rückt alle vier Jahre beim Fischerstechen auf der Donau ins Augenmerk. Dort formiert sich der Festzug mit mehreren Hundert Teilnehmern.

Zum Ausruhen, Einkehren und Eindrücke verarbeiten, finden sich im Fischerviertel viele lauschige und gemütliche Plätze und Anlaufstellen. Mit solch einem Viertel braucht man kaum noch auf den Nobelpreisträger Einstein verweisen. Zumal der nur sein erstes Lebensjahr in der Donaustadt verbrachte, ehe er mit seinen Eltern nach München zog.

Information

(ede) - Ulm ist mit Auto und Bahn von Stuttgart aus gut erreichbar. Auf dem Straßenweg sind es von Stuttgart nach Ulm knapp 90 Kilometer. Über die Autobahn A 8 und die Bundesstraße 10 gelangt man ans Ziel. Lohnenswert ist das Parkhaus am Rathaus, das zu den schönsten in Deutschland zählt. Zum einen weist ein ‚roter Teppich‘ den Nutzern den Weg, zum andern sind die archäologischen Ausgrabungen, die bei den Erdarbeiten zu Tage kamen, musealer Bestandteil der Tiefgarage und zeigen im 2. Untergeschoss das sichergestellte Kellergeschoss eines Patrizierhauses aus der Stauferzeit. Vom Stuttgarter Hauptbahnhof aus verkehren nahezu stündlich Züge (ICE, IC, EC, Regionalzüge) zum Ulmer Hauptbahnhof. Fahrtdauer zwischen 60 und 90 Minuten. Vom Ulmer Hauptbahnhof aus ist der Weg ins Fischerviertel ausgeschildert.

Zwei Mal täglich werden Führungen durchs Fischerviertel angeboten. Sie dauern eineinhalb Stunden, wobei 30 Minuten dem Ulmer Münster gewidmet sind. Am Wochenende ist eine Anmeldung bei der Tourist-Information Ulm, Münsterplatz 50, unter Telefon 0731/161-2830 erwünscht.

www.tourismus.ulm.de