Am Kraftwerk Altbach/Deizisau steht ein gigantischer Raupenkran. Es ist eine der größten Baumaschinen seiner Art in Europa. Wir durften einen Blick auf und in das 600-Tonnen-Fahrzeug werfen. Der Auftrag der Dieselmaschine: der Kohleausstieg.
Manchmal lügen die Augen: Am Neckarufer steht einer der größten Mobilkräne in Europa – aber neben dem 250 Meter hohen Schlot des Kraftwerks Altbach/Deizisau sieht das orangefarbene Ungetüm fast winzig aus.
Den B 10-Pendlern ist das Baugerät, das seit Mitte des vergangenen Jahres am Neckarufer steht, sicher schon aufgefallen. Näher ran kommen die meisten Menschen allerdings nicht, denn die Sicherheitsvorkehrungen sind streng. Nur in Begleitung einer Sicherheitsverantwortlichen der Baustelle und nach einer dementsprechenden Unterweisung darf man das Tor zur Baustelle durchschreiten – natürlich erst nach einer Kontrolle und ausgestattet mit Helm, Sicherheitsschuhen, Warnweste und Sicherheitsbrille.
Der Liebherr Raupenkran 11350 – kurz LR 11350
Nähert man sich dem LR 11350 – kurz für Liebherr Raupenkran 11350 – werden einem die Ausmaße klar: Es ist größenmäßig ein Haus auf Ketten. Daraus ragt vorne der 108 Meter lange Ausleger. Hinten sind ordentlich die Gegengewichte aufgestapelt, auf denen Zahlen stehen, die man nicht so recht greifen kann: Zehn Tonnen wiegt allein eine Platte. Es sind 14 Stück. Auf dem Boden stehen noch viele mehr. „Die können bei Bedarf angehängt werden“, erklärt Gernot Öder.
Er arbeitet für die deutsche Niederlassung der niederländischen Firma Mammoet und ist für die Spezialkräne auf der Baustelle zuständig. Der Ingenieur Jahrgang 63 sagt über die Arbeiten: „Es ist schön zu sehen, wie die Entwicklung weitergeht. Früher habe ich Kohlekraftwerke gebaut, jetzt Gas-, Wind- und Wasserkraftwerke.“
Ist Wasserstoff der Kraftstoff der Zukunft im Kraftwerk Altbach/Deizisau?
Aber was genau wird hier denn gebaut? „Etwa 250 Personen sind derzeit hier beschäftigt. Zu Spitzenzeiten waren es um die 600“, sagt Diana van den Bergh, EnBW-Projektleiterin des Fuel Switch an den Standorten Altbach/Deizisau und Heilbronn. Der Fuel Switch, also die Umstellung von Kohle auf Gas und perspektivisch auf Wasserstoff, ist auch der Grund, warum der Kran hier steht.
Seit November 2023 baut die EnBW ein neues und deutlich effizienteres Gaskraftwerk. Geplante Kosten: 600 Millionen Euro. Ende 2026 soll es fertig sein. In den 2030ern solle dann die Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff erfolgen. „Das hängt aber noch vom Bau einer Wasserstoffleitung ab“, erklärt Anja Leipold, Pressesprecherin der EnBW. Die solle über den Schurwald führen. Ob die Leitung in naher Zukunft gebaut wird, hänge von der neuen Regierung ab. Der Kran wird benötigt, um die vorgefertigten Bauteile, die teilweise Hunderte Tonnen wiegen, vom Schiff an ihren Bestimmungsort zu hieven. Ein normaler Turmkran kann das laut Gernot Öder nicht leisten.
Mit 600-PS-Dieselmotor zur Energiewende
Über zwei Treppen gelangt man auf den Oberwagen, dort steht das Führerhäuschen und das Herzstück: ein Dieselmotor mit etwa 600 Pferdestärken. „Über den Motor wird die Hydraulik angetrieben, durch die das komplette Fahrzeug bewegt wird“, erklärt Gernot Öder. Auf den ersten Blick wirkt es fast ironisch, dass ein völlig überdimensioniertes Dieselfahrzeug die Energiewende vorantreibt. Aber eigentlich logisch: Man kann eben nur mit dem vorhandenen Wissen und den existierenden Werkzeugen Moderneres bauen.
Die Steuerkabine ist pragmatisch eingerichtet: Neben einem Stuhl gibt es ein paar Bildschirme und drei etwa zehn Zentimeter lange Sticks, mit denen per Fingerbewegung Hunderte Tonnen bewegt werden können. Der 63-jährige Kranführer Frank Wache ist gänzlich unbeeindruckt von seinem Arbeitsplatz. „Ich mache das seit 30 Jahren. Ob ich einen kleinen Kran steuere oder diesen hier, macht für mich keinen Unterschied. Die Größe ist nicht entscheidend.“ Immerhin sei es sein letztes Arbeitsjahr vor der Rente. Eine besondere Ausbildung brauche man nicht für das Megabaufahrzeug, ein normaler Kranführerschein sei ausreichend.
Megakran wird in Einzelteilen angeliefert
Dass der Kran mobil ist, bedeutet selbstverständlich nicht, dass er selbstständig auf die Baustelle gefahren ist. Allein eine der Ketten ist laut Öder zwei Meter breit und wiegt 80 Tonnen. Das Gesamtgewicht des Krans ohne zusätzliche Gegengewichte: etwa 600 Tonnen – also in etwa so viel wie 100 Elefanten. Das macht keine Brücke mit. Außerdem fährt er nur sehr langsam: „Wenn er beladen ist, braucht er für einen Meter etwa zehn Minuten“, sagt Öder. Und laden könne er viel: „Die maximale Traglast beträgt 1350 Tonnen.“ Das Megabaugerät müssen für den Transport zerlegt und in 80 bis 100 Lkw-Ladungen an den Bestimmungsort gebracht werden. Etwa zehn Personen würden den Kran dann mit Hilfe eines mobilen Zweitkrans innerhalb von sieben bis zehn Tagen zusammensetzen.
Als Nächstes baut der Liebherr Raupenkran Windkraftanlagen
Die Planungen für den Aufbau waren allerdings äußert kompliziert: „Etwa ein halbes Jahr vorher haben wir bereits Gespräche mit der Baufirma und einem Statiker geführt“, berichtet die Projektleiterin Diana van den Bergh. Der Grund: die Nähe zum Neckar. Es bestehe die Gefahr, dass die Böschung durch das enorme Gewicht des Krans abrutscht und dass unterirdische Leitungen des Kraftwerks beschädigt werden. Deswegen seien Statiker und Hydrologen in die Vorbereitung miteinbezogen worden. 40 000 Tonnen Schotter hätten ausgebracht werden müssen, darauf kamen dicke Matten aus afrikanischem Bongossiholz, um das Gewicht bestmöglich zu verteilen.
Noch bis zum 8. Mai steht der Kran am Kraftwerk, dann zieht das 600-PS-Dieselmonster weiter, um Windkraftanlagen im Südosten Deutschlands zu bauen.
Einblick ins Kraftwerk
Führungen
Wer eine Führung im Kraftwerk Altbach/Deizisau machen möchte, muss sich anmelden. Möglich ist dies online über die Internetseite: www.enbw.com/unternehmen/konzern/energieerzeugung/besichtigungen/. Kinder im Alter von unter 14 Jahren dürfen aus sicherheitstechnischen Gründen nicht an dem Rundgang teilnehmen. Es gibt aber außerdem die Möglichkeit, eine virtuelle Führung zu buchen.
Inhalt
An verschiedenen Stationen der Führung erfahren die Besucher, wie aus Kohle Strom und Fernwärme werden. Zum Standort gehört auch das Infocenter, wo die neue Ausstellung nun über Chancen und Herausforderungen der Energiewende informiert.