SWR-Intendant Kai Gniffke schätzt Regisseur Joachim Lang als „herausragenden Filmemacher“. Foto: imago images/Arnulf Hettrich

Die Vorfreude des Regisseurs Joachim Lang auf die Gala-Premiere seines Films „Cranko“ am Freitag im Opernhaus ist getrübt. Denn sein Arbeitgeber, der SWR, will ihn loswerden. Im Oktober geht es erneut vor Gericht. Zum Streit äußert sich nun Intendant Kai Gniffke.

Am 26. Juni 1973 ist John Cranko mit 45 Jahren irgendwo über dem großen Ozean zwischen Amerika und Europa auf dem Rückflug seiner Compagnie nach umjubelten Auftritten in New York gestorben, wohl an Tabletten und an dem Erbrochenen. Sein Name steht für das „Stuttgarter Ballettwunder“. Joachim Lang, der Regisseur des ersten Spielfilms über das Leben und Sterben des charismatischen Choreografen, reiht den Popstar des Tanzes ein in die Riege der Legenden wie Mozart, Jimi Hendrix, Jim Morrison, Kurt Cobain oder Amy Winehouse.

„Sie alle haben ihr Leben wie im Zeitraffer gelebt“, sagt Lang, „schufen etwas völlig Neues und revolutionierten ihre Kunst, aber waren abseits der Bühne oft unglücklich.“ Fast könnte man meinen, findet der Regisseur, „sie hätten ihr Leben als Film inszeniert.“

Emotionen, Dramen, Höhenflüge, Abstürze, innere Zerrissenheit, ein turbulentes Privatleben mit Männern in einer schwulenfeindlichen Zeit, die ewige Suche nach Liebe und Familie – Crankos Auf und Ab bietet Hollywood-Stoff. Am Freitag feiert der Film, der auch eine Liebeserklärung an Stuttgart ist, Gala-Premiere mit rotem Teppich und vielen Promis im Opernhaus. In der Woche darauf sollte er in die deutschen Kinos kommen. Doch der Filmverleih hat den Start quasi in letzter Minute auf Oktober verlegt.

Regisseur Joachim Lang ist vor der „Cranko“-Premiere ein gefragter Interviewpartner. Foto: Roland Beck

Der Grund für die Verschiebung ist – Hollywood! Regisseure können im nächsten Jahr nur dann mit einer Oscar-Nominierung rechnen, wenn ihr Film frühestens im Oktober des vorigen Jahres startet. September würde da nicht funktionieren. Ballettlegenden und Mitglieder des aktuellen Ensembles haben Langs „Cranko“ vorab gesehen. Der Film sei oscar-würdig, hört man aus den Tanzkreisen. Der frühere Intendant Reid Anderson sagt, man glaube, der liebe Gott habe den 1973 gestorbenen Choreografen zurück auf die Erde geschickt – so überzeugend echt sei alles von der Kamera eingefangen.

Aus der SWR-Hierarchie kommt niemand

Der britische Kinostar Sam Riley spielt Cranko – er wird zur Premiere kommen wie auch fast das gesamte Ensemble sowie die große Ballettfamilie. Aus Potsdam reist Georg Friedrich Ferdinand Prinz von Preußen an, aus Hamburg die NDR-Programmdirektorin Katja Marx sowie NDR-Chefredakteur Andreas Chichowicz. Aus der SWR-Hierarchie hingegen hat sich niemand angemeldet, obwohl der Stuttgarter Sender Mitproduzent des Films ist.

Marcia Haydée schickt aus Brasilien, wo sie sich gerade befindet, eine Videobotschaft zur Premiere. Sie sagte einmal, Cranko habe sein Ensemble „mit Liebe“ geführt, „nicht mit Hass“. Herrscht dagegen beim SWR Hass? Regisseur Joachim Lang, der seit 1986 beim Stuttgarter Sender arbeitet, ist, seitdem er sich für eine Kollegin nach einem MeToo-Fall eingesetzt hat und der Führungsriege vorwarf, sie wolle die sexuelle Belästigung durch einen Vorgesetzten unter den Teppich kehren, mit seinen obersten Chefs über Kreuz. Im Oktober wird sich Lang erneut mit dem SWR vor Gericht treffen.

Der Regisseur wehrt sich juristisch dagegen, dass er für seinen Arbeitgeber künftig keine Spielfilme mehr drehen darf. Wenn er in dem Film John Cranko sagen lässt, man habe ihm in London den „Lebensnerv“ abgetrennt, weil er wegen seiner Homosexualität nicht mehr künstlerisch am Theater arbeiten durfte, ist dies von den ersten Zuschauern als Parallele zum Stuttgarter Autor gesehen worden: Auch Lang darf nicht mehr für den SWR arbeiten (in seinem Fall hat dies aber nichts mit Homosexualität zu tun), was dieser wohl ebenfalls als körperlich schmerzhaft empfindet. Er wird also bestraft statt belohnt für seine Arbeit.

Kai Gniffke: „Unser Verhältnis ist nicht von Hass oder Feindschaft geprägt“

SWR-Intendant Kai Gniffke äußert sich gegenüber unserer Zeitung erstmals öffentlich zu dem Streit mit seinem Erfolgsregisseur. Die Annahme, dass es eine Feindschaft oder Hass zwischen ihm und Joachim Lang gibt, sei falsch. Er kenne den Regisseur schon sehr lange, beide hätten einige Wegstationen im SWR gemeinsam beschritten und sein persönliches Verhältnis zu ihm sei „in keinem Falle und zu keinem Zeitpunkt von Hass oder gar Feindschaft geprägt“. Gniffke erklärt, das Gegenteil sei der Fall: „Ich schätze ihn als Kollegen und herausragenden Filmemacher. Dass wir eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung haben, mindert meinen persönlichen Respekt vor Joachim Lang nicht.“

Szenenfoto: Sam Riley spielt Cranko, Elisa Badenes ist Macia Haydée´ Foto: Zeitsprung

Dass sich der SWR als Mitproduzent des Films „mit einem Stück großer Kulturgeschichte und Stuttgarter Stadtgeschichte“ beschäftigt, erfüllt ihn „mit Stolz“. Des Weiteren versichert der Intendant: „Entscheidungen und Beschlüsse, die im Unternehmen getroffen werden – auch Entscheidungen über Terminteilnahmen – stehen in keinem Falle mit meinem persönlichen Verhältnis zu handelnden Personen in Zusammenhang. Das ist nicht und kann nicht mein Anspruch als Intendant des SWR sein.“

Kai Gniffke jedenfalls kommt nicht zur Premiere, was er mit „extremer Termindichte“ als ARD-Vorsitzender begründet. Leider habe er „Cranko“ bisher nicht sehen können. „Weder in der Intendanz noch in der zuständigen Programmdirektion liegt bislang eine Einladung vor“, erklärt die SWR-Sprecherin Stefanie Zenke, „grundsätzlich ist es leider auch so, dass aus Termingründen nicht alle Premieren und Events von einem Vertreter des SWR wahrgenommen werden können.“

Im Juni 1969 flogen Marcia Haydée, John Cranko (Mitte), Generalintendant Walter Erich Schäfer und das Stuttgarter Ballett zu einem dreiwöchigen Gastspiel nach New York. Foto: dpa

Bei den Machern des Films ist man über diese Aussage überrascht. „Der SWR ist Mitproduzent“, heißt es dort, „da bedarf es doch keiner extra Einladung.“ Stimmt es, dass der Erfolgsregisseur Lang künftig keine Spielfilme für den SWR mehr drehen darf? Die SWR-Unternehmenssprecherin bestätigt dies auf Anfrage unserer Zeitung: „Die in diesem Jahr abgeschlossenen Filmprojekte ,Führer und Verführer’ und , Cranko’ sind bei uns die letzten Kinoprojekte von Joachim Lang. Bis zu seinem Ruhestand wird er noch Dokuprojekte zum Abschluss bringen und seine Arbeit für die Filmakademie weiterführen.“ Sein Ruhestand beginnt laut Lang Anfang 2026.

Stefanie Zenke betont, dass eine Änderungskündigung „keine Beendigungskündigung“ sei. Sie ziele auf eine „Änderung des Arbeitsvertrages“ ab. Lang habe den angebotenen neuen Arbeitsvertrag mit den geänderten Arbeitsbedingungen auch angenommen, „jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Änderungen nicht rechtsunwirksam sind, worüber derzeit vor Gericht gestritten wird“, sagt die Sprecherin. Die „Anpassung des Arbeitsvertrages“ sei erforderlich, da der SWR die von Lang geleiteten Spielfilmsonderprojekte „im Rahmen notwendiger Einsparmaßnahmen, die viele Bereiche des SWR betreffen, aufgibt“.

Verdi spricht von einem „Berufsverbot“

Die Gewerkschaft Verdi, die Joachim Lang vertritt, hat kein Verständnis dafür. Der Staatsvertrag sehe vor, dass der SWR Spielfilme produzieren müsse – dafür sei Geld trotz der Sparzwänge vorhanden. Verdi spricht von einem „Berufsverbot“ gegen Lang. Klarheit darüber soll nun ein Gerichtsurteil bringen.

Um seine Chancen vor Gericht nicht zu mindern, sagt Joachim Lang öffentlich selbst nichts zu dem Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber. Lieber spricht er über seinen Film. „Crankos Höhen und Tiefen, seine ständigen Affären mit gut aussehenden jungen Männern gehören ebenso zu ihm wie seine Besessenheit und seine Leidenschaft für die Arbeit“, sagt Lang, „Cranko war zeitlebens auf der Suche nach Vollendung, in der Kunst und in der Liebe.“ Der Film sei ein Versuch, „mit der Darstellung des Lebens und Werks dieses Genies die Seele des Tanzes zu erfassen“. Der Film sei kein Biopic, erklärt der Regisseur, sondern „ein Film über Kunst und Wirklichkeit, es geht um die Menschen, um die Zeit, die ihnen bleibt und um das, was sie antreibt, es geht um die großen Themen des Menschseins, um die Sehnsucht nach Liebe, um das Leben und um das Sterben“.

Premiere

Opernhaus
Die Gala-Premiere des Films „Cranko“ am Freitag, 20. September, 19 Uhr, im Opernhaus war bereits ausverkauft. Doch weil Karten zurückgegeben wurden, gibt es wieder welche an der Abendkasse zum Preis von 20 bis 50 Euro. Bundesweit startet der Film in den Kinos am 3. Oktober.