Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist genervt. (Archivbild) Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth/Achim Zweygarth

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann wird langsam dünnhäutig, wenn es um Öffnungsforderungen in der Pandemie geht. Er warnt, dass man im Falle einer dritten Welle „richtigen Lockdown“ machen müsse, wie es ihn noch nicht gab.

Stuttgart - Dass sein Auftritt beim baden-württembergischen Landesverband des CDU-Wirtschaftsrats nicht unbedingt ein gemütlicher Plausch werden würde, ahnte der Regierungschef wohl selbst. „Es ist doch ein bisschen ungewöhnlich, wenn ein Grüner so kurz vor der Wahl bei den Schwarzen auftritt“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Donnerstag zu Beginn der digitalen Diskussionsveranstaltung. Aber Grüne und CDU hätten viel gemeinsam für die Wirtschaft auf den Weg gebracht. Der Grüne und die schwarzen Unternehmer begegneten sich zwar nur am Bildschirm, gerieten aber ganz schön aneinander. Da ging es um Reizthemen wie die Zukunft des Autos, das Verbot von Eigenheimen und - natürlich - Corona.

Der Wirtschaftsrat der CDU, das ist ein bundesweit organisierter Berufsverband, der die Interessen von Unternehmern vertritt. Am Montag erst war der neue CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet zu Gast beim Landesverband aus Baden-Württemberg. Laschet sprach sich da eindringlich gegen eine Bevormundung der Bürger in der Corona-Pandemie aus und sagte, man könne nicht immer neue Grenzwerte erfinden. Damit schlug er bundesweit hohe Wellen und erntete viel Kritik - aber beim Wirtschaftsrat bekam er vor allem Applaus.

Kretschmann regt sich auf über Öffnungsdiskussionen

Denn vor allem der Einzelhandel lechzt nach monatelangem Lockdown nach Öffnungsperspektiven. Diese Forderung stellten sie am Donnerstag auch Kretschmann. Viele Unternehmer bangten um ihre Existenz, sagte der Landesvorsitzende Joachim Rudolf. „Das zähe Hin und Her zwischen Lockdown und Lockerungen raubt unsere Kräfte und wird zum Zankapfel staatlicher Ebenen.“

Doch Kretschmann ist nicht Laschet - und reagierte unwirsch und dünnhäutig. „Ich hör natürlich immer öffnen, öffnen, öffnen“, sagte er. „Ich hör immer nur öffnen. Ich möchte mal einen erleben, der mal sagt, jetzt machen Sie mal ein bisschen was schärfer. Das hör ich nie!“ Er müsse auch die Konsequenzen für die Pandemie berücksichtigen. „Wir schließen die Geschäfte nicht, weil wir jetzt autoritäre Gelüste haben.“ Kretschmann äußerte Verständnis, dass die Belastung für den Handel enorm sei und die Stimmung im Keller. Eine dritte Welle, die noch schlimmer sei als die zweite, könne nicht im Interesse der Wirtschaft sein. „Dann machen wir einen richtigen Lockdown - den gab es bisher ja gar nicht.“ Hygienekonzepte funktionierten nur bei niedrigen Inzidenzen. Bei einem diffusen Infektionsgeschehen helfe es nur, Kontakte zu reduzieren.

Ministerpräsident verteidigt seinen Kurs

Der überwältigende Teil der Wirtschaft sei von den Maßnahmen derzeit gar nicht betroffen, sagte Kretschmann. Erst bei einer stabilen Inzidenzlage von 35 - Baden-Württemberg könne das erste Land sein, das diese Inzidenz erreiche - werde der Einzelhandel schrittweise unter Vorgaben wieder geöffnet. Die Mutanten seien aber ein weiterer Unsicherheitsfaktor. Da müsse man dann eventuell wieder zurückrudern. „Am Ende geht es da um Leben und Tod.“ Kretschmann appellierte an die Unternehmer: „Ziehen sie mit, dass wir die Pandemie in Griff behalten und sie uns nicht mehr aus dem Ruder läuft.“

„Wir werden nicht gehört“, kritisierte Christoph Werner, der Chef der Drogeriemarktkette dm. Er forderte Kretschmann auf, seine Ministerien zu sensibilisieren, dass der Kontakt zu der Wirtschaft gesucht wird. „Wir kommen nicht an die Menschen ran.“ Nicht alle Optionen würden derzeit beraten, gute Lösungen würden nicht erarbeitet.

Kretschmann verteidigte seinen Kurs - inklusive Ausgangssperre, die das Verwaltungsgericht in Mannheim kassierte. „Die Entbehrungen zahlen sich aus.“ Die Gerichte legten eben andere Maßstäbe an, sagt er. Baden-Württemberg habe nun eine der niedrigsten Inzidenzen unter den Bundesländern.

Debatte über angebliches Verbot von Einfamilienhäusern

Aber die Diskussion ist nicht nur beim Pandemie-Thema angespannt. Kretschmann wies den Vorwurf zurück, Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sei ein „Verkehrsbehinderungsminister“. Kritische Fragen haben die Unternehmer auch zur Debatte um die Grünen und Einfamilienhäuser. „Zu behaupten, wir wollen Einfamilienhäuser verbieten, ist einfach albern“, sagte Kretschmann. Das entspreche nicht den Fakten und sei auch eine völlig rückwärtsgewandte Debatte. „Wir schreiben Gemeinden nicht vor, in welcher Weise sie Baugebiete ausweisen.“ Man sollte lieber Debatten darüber führen, wie Bauen preiswerter gemacht werden könne. Hintergrund ist ein „Spiegel“-Interview mit Fraktionschef Anton Hofreiter. Der politische Gegner wirft deshalb den Grünen derzeit vor, Einfamilienhäuser verbieten zu wollen. „Das hat er nun mal nicht gesagt“, sagte Kretschmann.

Kretschmann verteidigte auch seine Wirtschaftspolitik, sprach viel von Dekarbonisierung und Digitalisierung, den beiden großen Treibern des Wandels, und versprach den Wirtschaftsleuten, geistig offen zu bleiben. Es brauche günstigeren Strom und schnellere Genehmigungsverfahren etwa für Windparks. Auch bei der Mobilität mache er keine Politik am Markt vorbei, sondern folge den Trends und schaffe die infrastrukturellen Grundlagen. „Ich darf Sie beruhigen, wir machen hier keine Ideologie.“ Kretschmann versicherte, er werde mit den Herstellern und den Zulieferern zu verhindern wissen, „dass wir irgendwann in die Rücklichter von Tesla gucken“. Und am Ende schob er noch ein paar versöhnliche Sätze nach: Er habe die Betriebe im Kopf, die Unternehmer könnten sicher sein, dass ihre Appelle bei ihm ankämen.