Als erstes Bundesland hat Baden-Württemberg Ungeimpfte nicht mehr entschädigt, wenn sie in Quarantäne mussten. Das war nicht rechtmäßig, sagt nun der Verwaltungsgerichtshof.
Das Land muss Ungeimpften den durch eine behördlich angeordnete Corona-Quarantäne entstandenen Verdienstausfall ersetzen. Das hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Mannheim im Fall eines selbstständigen Versicherungsmaklers entschieden. Auch einem Arbeitgeber, der dem Land die Fehlstunden einer ungeimpften Angestellten in Rechnung gestellt hatte, wird demnach vom Steuerzahler entschädigt. Der VGH bestätigte damit Urteile der Verwaltungsgerichte in Stuttgart und Karlsruhe. In den beiden Fällen ging es um 933 und 600 Euro.
Das Land Baden-Württemberg hatte im Oktober 2021 als erstes Bundesland die Zahlungen an Impfverweigerer eingestellt. Jedem sei es nun möglich, durch eine Schutzimpfung die Erkrankung und damit eine Absonderung zu vermeiden, hatte der Sozialminister Manne Lucha (Grüne) damals erklärt. Ausgenommen von dieser Regel sollten nur chronisch Kranke sein, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen konnten.
Die Wirkung der Impfstoffe ist zu schlecht
Die Richter sehen das nun anders. In ihrem am Dienstag veröffentlichten Urteil verweisen sie darauf, dass die damals zugelassenen und öffentlich empfohlenen Impfstoffe gegen Covid-19 nur zu 70 Prozent vor einer Infektion geschützt hätten. Dies genüge nicht dem anzulegenden Vermeidbarkeitsmaßstab einer „hohen Wahrscheinlichkeit“, erklärten die Richter. Deshalb müsse der Steuerzahler auch bei Ungeimpften für die Verdienstausfälle aufkommen.
Bei welchem Wert sie diese „hohe Wahrscheinlichkeit“ ansetzen, sagten die Richter nicht. Dies lasse sich „mathematisch nicht exakt bestimmen“. Allerdings verwies das Gericht auf die Vorgaben bei der Masernimpfung. Dort sind Entschädigungen für Ungeimpfte ausgeschlossen, der Wirkungsgrad liegt bei 98 bis 99 Prozent. Vor diesem Hintergrund sei eine Wirksamkeit von 90 Prozent und mehr anzusetzen, so das Gericht.
Wöchentlich gehen immer noch 500 Anträge ein
Seit Beginn der Pandemie hat das Land knapp 338 Millionen Euro an rund 430 000 Antragsteller ausbezahlt. Die Anträge müssen innerhalb von zwei Jahren nach Beginn der Absonderung gestellt werden. Obwohl die Quarantänepflicht im Februar 2023 auslief, gingen gegenwärtig wöchentlich immer noch rund 500 Anträge ein, die zentral vom Mannheimer Gesundheitsamt bearbeitet würden, sagte ein Sprecher des Sozialministeriums. Insofern könnten nun noch Ungeimpfte, die bisher auf eine Entschädigung verzichteten, nachträglich Anträge einreichen.
Das Sozialministerium kündigte eine intensive Prüfung der Entscheidung an. Noch sind die Urteile nicht rechtskräftig. Der VGH ließ eine Revision beim Bundesverwaltungsgericht zu (Az. 1 S 484/23 und 1 S 678/23).