Derzeit empfiehlt die Stiko einen zweiten Booster nur für über 70-Jährige und Menschen mit Vorerkrankungen. Foto: imago//Alexander Limbach

Senioren und Immunschwachen wird zur vierten Impfung gegen das Coronavirus geraten. Doch nützt diese auch der Mehrheit der Bundesbürger? Das sagen Experten.

Braucht es eine vierte Covid-Impfung? Die Antworten auf diese Frage können unterschiedlicher nicht sein: Während Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) jüngst noch für einen zweiten Booster ab 18 Jahren plädiert, empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) einen zweiten Booster derzeit nur für über 70-Jährige und Menschen mit Vorerkrankungen. Würde es nach dem Vorschlag der Europäischen Arzneimittelagentur (Ema) gehen, wären sogar erst Senioren ab 80 Jahren an der Reihe. Die USA wiederum haben die Altersgrenze bei 50 Jahren angesetzt. Insbesondere für jüngere Menschen stellt sich die Frage nach dem Nutzen einer vierten Impfdosis – zumal ab Herbst ein komplett neuer Impfstoff gegen die Omikron-Variante in Aussicht gestellt ist. Das sagen die Experten:

Was passiert nach einer Impfung?

Bei der sogenannten Immunantwort werden zum einen Antikörper gebildet: Es handelt sich dabei unter anderem um neutralisierende Antikörper, die – sofern in ausreichender Menge vorhanden – eine Infektion mit dem Sars-CoV-2-Virus verhindern können. Dieser Schutz ist allerdings nur vorübergehend und nach wenigen Wochen wieder vorbei, weil die Menge absinkt, sagt Christoph Neumann-Haefelin, Leiter der Arbeitsgruppe Translationale Virusimmunologie von der Uniklinik Freiburg. Ein weiterer wichtiger Teil der Immunantwort ist die Bildung sogenannter T-Zellen. „Diese können eine Infektion verkürzen und für einen milden Verlauf sorgen“, sagt Neumann-Haefelin. Und dieser Schutz hält lange an. „Daher sollte man sich im Klaren sein, dass ein Infektionsschutz durch das Boostern nicht gewährleistet werden kann.“ Es gehe vielmehr darum, sich vor schweren Verläufen zu schützen.

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Braucht es eine weitere Booster-Impfung, um den Schutz zu verstärken?

Wer sich jetzt zum vierten Mal impfen lässt, wird das Risiko einer Covid-19-Infektion nicht auf Null senken. Zwar wird die Zahl der neutralisierenden Antikörper wieder kurzzeitig erhöht, die Menge reicht aber nicht aus, um sich vor der Omikronvariante vollständig zu schützen. Auch für die T-Zell-Antwort bringt ein Booster bei gesunden Menschen nicht unbedingt einen Vorteil, betont Neumann-Haefelin. „Die T-Zell-Antwort ist bei gesunden Menschen bereits nach zwei Impfungen relativ robust.“ So hat sich gezeigt, dass sich nach einer dritten Impfung zwar die Anzahl der T-Helferzellen im Blut erhöht, sich allerdings auch gleich wieder auf die Ursprungsmenge abgesenkt habe. „Bei jungen gesunden Menschen erreicht man also zum jetzigen Zeitpunkt mit dem Boostern nicht, dass die T-Zell-Antwort sich verbessert.“ Allerdings ist zu erwarten, dass auch die T-Zell-Antwort im Laufe der Zeit abnimmt – und dann könnte eine Auffrischimpfung zum dauerhaften Schutz beitragen.

Wer sollte sich boostern?

Derzeit empfiehlt die Stiko einen zweiten Booster nur für über 70-Jährige und Menschen mit Vorerkrankungen. Und das zu Recht, sagt Christine Falk, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie sowie Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung. „Es gibt Menschen, deren Immunantwort auf die Impfung nicht sonderlich gut ist.“ Das gilt für Patienten mit angeborenen Immundefekten oder solchen, die ein Organ transplantiert bekommen haben oder eine Krebstherapie machen. Denn diese erhalten häufig Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken. In abgeschwächter Form gilt dies aber auch für Menschen in hohem Lebensalter. „Sie reagieren deutlich langsamer auf die Impfung“, so Falk. Sie haben erst nach der dritten oder vierten Impfung eine ähnliche Immunfunktion wie Gesunde nach der zweiten Impfung.

Wer braucht derzeit keinen Booster?

Für gesunde Jüngere bringt ein Booster zum jetzigen Zeitpunkt keinen Vorteil: „Die bisherige Impfung wirkt sehr gut“, sagt Falk, die das Institut für Transplantationsimmunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover leitet. „Auch wenn die Antikörper und die T-Zellen weniger werden, muss das nicht beunruhigen: Sie verschwinden ja nicht.“ Das Immunsystem fahre sie aus ökonomischen Gründen auf ein niedriges Niveau. Und diese können schnell reaktiviert werden.

Kann man zuviel und zu oft boostern?

Experten wie Andreas Radbruch, Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums Berlin, warnen vor einem Sättigung des Immunsystems, wenn man kurz hintereinander sehr oft impft: Es komme zu keiner Immunreaktion mehr. „Die Vorgänge im Körper zum Aufbau eines wirksamen Immungedächtnisses sind komplex und brauchen Zeit“, sagt Radbruch. Der Experte rechnet dafür mit mindestens sechs Monaten. Diesen Zeitraum sollten gesunde Menschen vor dem Boostern auf jeden Fall abwarten. Dafür sei das Ergebnis dann sehr nachhaltig: Ist die sogenannte Affinitätsreifung abgeschlossen, wird mit zehnmal weniger Antikörpern eine bis zu 100-fach höhere Schutzwirkung erzielt als direkt nach der Impfung. „Und diese sehr guten Antikörper werden in das immunologische Gedächtnis übernommen“, sagt Radbruch. „Die Zellen, die sie machen, wandern ins Knochenmark und überleben dort jahrzehntelang.“ Der Schutz bleibt damit dauerhaft.

Wie groß sollte der zeitliche Abstand zwischen dritter und vierter Impfung sein?

Einen optimalen zeitlichen Abstand gibt es nicht, sagt der Freiburger Experte Neumann-Haefelin. „Wichtig wäre es aber für gesunde junge Menschen, einen Mindestabstand von sechs Monaten einzuhalten.“ Wahrscheinlich halte der Impfschutz aber deutlich länger. Es reiche also, sich ab Herbst zu boostern. Bei Älteren oder Patienten, bei denen mit keiner guten Immunantwort zu rechnen ist, sollte die vierte Dosis schon früher verabreicht werden – etwa nach drei Monaten.

Mit welchem Impfstoff sollte man sich ab Herbst boostern?

Das sei im Voraus schwer zu sagen, meint der Freiburger Immunologe Neumann-Haefelin. Das hänge davon ab, welche Virusvariante zu diesem Zeitpunkt im Umlauf ist. „Man kann – glaube ich – mit keiner Variante einen großen Fehler machen.“ Zwar würde der angepasste Omikron-Impfstoff einen Vorteil in Sachen Antikörperschutz bieten – aber auch dieser würde nur wenige Wochen anhalten. „Der Schutz vor einem schweren Verlauf dagegen ist von der Impfstoffwahl unberührt.“

Für wen ist es sinnvoll, vor der Impfung die Zahl der Antikörper zu messen?

Grundsätzlich sagt ein Antikörperspiegel im Blut kaum etwas darüber aus, wie gut die Impfung wirkt. Eine Ausnahme stellen immungeschwächte Personen dar, erklärt die Immunologin Falk. In Studien mit Menschen, die eine Herz- oder Lungen-Transplantation erhalten haben, hätte sich gezeigt, dass nach einer Impfung bei 60 Prozent der Betroffenen in deren Blut keine Antikörper nachweisbar waren. Dies könne auch bei anderen immungeschwächten und auch alten, pflegebedürftigen Menschen der Fall sein. „Hier kann eine Messung angebracht sein, um herauszufinden, ob mit Hilfe der ersten drei Impfungen eine Grundimmunisierung erreicht worden ist oder ob es noch einen Booster braucht.“

Kann man mit einer vierten Impfung die Viruslast im Körper so reduzieren, dass man selbst weniger ansteckend ist?

Diese Frage ist noch nicht geklärt. Nach Angaben des Immunologen Neumann-Haeflin zeigen die Daten, dass eine neuerliche Booster-Impfung einen kleinen Abfall der Viruslast. „Die Frage ist aber, ob dies das Infektionsrisiko für andere wirklich senkt.“ Daran gebe es aber berechtigte Zweifel.