Positive Schnelltests im Klassenzimmer gehören zum Alltag. Schülerinnen und Schüler schildern, wie sie damit umgehen. Foto: imago images/imagebroker/Michael Weber

Die Belastungsgrenze an der Schule sei erreicht. Das mahnt die bundesweite Initiative „#WirWerdenLaut“ im Internet an. Wie sehen das Kinder und Jugendliche im Land?

Stuttgart - Marta strahlt, sie ist frischgebackene Bezirksmeisterin im Volleyball. Doch der Weg zum Erfolg hat die 15-Jährige Nerven gekostet. Das lag nicht an der Teamleistung, sondern – wie sollte es gerade anders sein – an Corona, genauer am schulischen Coronamanagement. Eine Woche vor dem Wettkampf schlugen in Martas Klasse viele Tests positiv an. „Zwei Jahre lang ist nichts passiert, und plötzlich war ich über Nacht Kontaktperson von sieben positiven Fällen“, erzählt die Zehntklässlerin aus Stuttgart.

Und dann überfiel alle die Unsicherheit. Die Jugendlichen wussten nicht, wie sie sich außerhalb der Schule verhalten sollten und ob sie freiwillig daheim lernen sollten. Auch der Klassenlehrer war ratlos, der Sportlehrer rätselte, was er noch machen konnte, und die Klasse schlug das Einrichten eines Livestreams vor. Irgendwann entschied der Rektor dann: Die Klasse bleibt.

Wer lieber daheim lernen will, braucht eine Ausrede

Doch da war es schon passiert. „Unsere Klasse, die sonst so harmonisch ist, war auf einmal komplett gespalten. Das war furchtbar“, erzählt Marta. Die einen hatten Angst, sich anzustecken, und die anderen verstanden nicht, warum man sich jetzt besonders schützen sollte. „Wer aus Sorge um seine Gesundheit oder um die von anderen nicht kommen wollte, musste sich mit einer Ausrede krankmelden, weil man nicht zu Hause bleiben durfte. Das hat mich genervt“, sagt sie. Martha selbst ging in den Unterricht, ließ sich dort trotz Boosterimpfung täglich testen, verzichtete aber eine Woche lang auf weitere Kontakte. So abgesichert, trat sie dann bei der Meisterschaft an, ihr Team hätte sonst zu wenige Spielerinnen gehabt.

„Wir haben an den Schulen ein Infektionsgeschehen, das grassiert“ – mit diesen nüchternen Worten hat Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) dieser Tage die Lage an den Schulen zusammengefasst. Man komme ganz gut durch, lautet ihre Botschaft, auch wenn das an den Schulen sehr viel Mühe mache. Der Blick auf die Zahlen bestätigt Schopper. Zwar stagniert die Zahl der positiv getesteten Schüler auf Höchstniveau, doch hochgerechnet sind nur 2,31 Prozent der Schülerinnen und Schüler im Land positiv. In Quarantäne sind nur 2,01 Prozent, Tendenz sinkend, hier schlagen die gelockerten Regeln zu Buche. Was aber weder die Zahlen noch die Worte der Ministerin beschreiben, sind die sehr emotionalen Situationen, in die junge Menschen wie Marta von heute auf morgen geraten.

Ins Homeschooling bitte nur mit Stufenplan!

Ähnliches bahnt sich auch bei Noah an. Der17-Jährige besucht eine berufliche Schule in Ravensburg, auch seine Klasse stehe nach fünf positiven Tests vor der schweren Frage: „Wie geht es jetzt weiter?“ Die Schulleitung hat noch nicht entschieden. Auch Noah erzählt, die Klasse teile sich jetzt in die Ängstlicheren und in die, die sagen: „Bloß nicht auf Homeschooling umstellen, mein WLAN daheim ist viel zu schlecht!“ Noah selbst ist sich unsicher. Die Lehrer hätten Online-Unterricht inzwischen wirklich gut gelernt, doch im Fernunterricht würden die Schwächeren immer weiter abfallen. Hybridunterricht, den Noah schon öfter erlebt hat, sei erst recht keine Lösung: „Die Online-Zugeschalteten ziehen dabei immer den Kürzeren.“ Einen kurzen Wechsel ins Homeschooling hielte Noah daher für vernünftig. „Aber ich wünsche mir einen Stufenplan, der klar regelt, wann und unter welchen Bedingungen wir wieder zurückkommen können. Es darf auf gar keinen Fall passieren, dass wir wieder fünf Monate daheim sind!“ An der Nachbarschule lasse sich erleben, was ohne Regelung passiere: „Die sitzen im Homeschooling und haben keine Ahnung, wie lange das weitergeht.“ Der Rektor hatte es so verfügt.

Nichts war so schlimm wie der Lockdown, nicht mal Corona

Kinder und Jugendliche, die auf unbestimmte Zeit wieder daheim sitzen, ist auch das Szenario, das Familie Birkner in Pforzheim am allermeisten fürchtet. Das sei sogar noch schlimmer als ihre momentane Situation, sagen die Birkners: Mutter Katharina, geboostert, hat eine sehr rote Nase und gehört ins Bett. Was natürlich mit vier Kindern nicht so richtig funktioniere, sagt sie und lächelt tapfer. Ihr drittältestes Kind Matti (11) hat sie gerade frisch mit Corona infiziert. Damit war nun jedes Mitglied der sechsköpfigen Familie an Covid-19 erkrankt und alle mindestens einmal in Quarantäne. Dennoch sagt Nico Birkner: „Nichts war so schlimm wie das gezwungene Aufeinandersitzen im monatelangen Lockdown.“ Mit seiner Frau ist er sich einig: „Die Schulen sollten auf jeden Fall offen bleiben. Corona kriegt man nicht in den Griff, indem man die Schulen zumacht, sondern dadurch, dass sich mehr Menschen impfen lassen.“

Corona heißt jetzt „Klorona“

Da nickt auch die neunjährige Tochter Greta. „Zu Hause lernen finde ich blöd, da kann ich mich nicht konzentrieren, weil immer einer meiner Brüder reinkommt und mit mir reden will.“ „Klorona“ haben Greta und ihre Brüder das nervige Virus, das ihnen immer wieder einen Strich durch die Rechnung macht, getauft. Mit der Situation in der Schule, können sowohl die Eltern als auch die Drittklässlerin gut leben – und das, obwohl „Klorona“ gefühlt ständig unter ihrem Dach haust. „Alle unsere Schulen machen das wirklich gut“, sagen die Eltern. Manch unsinnige Regelung wünscht sich Katharina Birkner aber korrigiert, etwa dass Greta und ihre Lehrerinnen Maske tragen müssen, die Betreuer und die Kinder nachmittags im Hort aber nicht.

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Unlogische Regeln gibt es aber nicht nur an den Grundschulen, sondern auch am Gymnasium. Das stößt Laura (10), die seit Herbst in die fünfte Klasse eines Stuttgarter Gymnasiums geht, auch immer wieder auf. Da es positive Fälle in ihrer Klasse gab, dürfen sich die Kinder nicht mit anderen mischen. „In Religion und in der Hausaufgabenbetreuung treffen wir dann aber doch wieder auf die anderen“, schildert Laura „ich fühle mich trotzdem sicher.“ Zumal sie nun neben einem neu eingetroffenen Luftfilter sitzt. Jetzt werden die Fenster nur noch zweimal in 90 Minuten aufgerissen. Dumm nur: „Das Gerät brummt so laut, dass meine Freundin Kopfschmerzen bekommt.“

Mehr Eigenverantwortung erwünscht

Ähnlich sicher wie Laura fühlt sich auch Magdalena (13) an ihrer Schule im Stuttgarter Süden. Sie empfinde die Situation nicht als so „unerträglich“, wie sie vergangene Woche zahlreiche Schülersprecherinnen und Schülersprecher, Wissenschaftler und Eltern unter dem Hashtag „WirWerdenLaut“ im Internet geschildert haben. „Ich komme gerade gut klar.“ Sie fühle sich nicht vernachlässigt von der Politik. Dann wirft sie einen Blick auf den Pausenhof. Dort trinken Schüler aus einer Flasche, essen ohne Abstand oder Maske miteinander, und einige Mädchen umarmen sich, um sich zu wärmen. „Alles kann die Politik auch nicht regeln, auf manches müssen wir selbst achten, um Rücksicht auf andere zu nehmen“, sagt sie.

Mehr Eigenverantwortung wünschen sich Magdalena, Noah und Marta aber auch noch in anderer Hinsicht. Schüler, die in der Klasse Kontakt mit positiv getesteten hatten, sollten selbst entscheiden dürfen, ob sie für einen bestimmten Zeitraum in die Schule kommen wollen oder nicht, schlagen die Jugendlichen unabhängig voneinander vor. Ausnutzen würde das bei ihnen niemand, meinen sie. „Bei mir will niemand wieder auf Dauer ins Homeschooling“, sagt Marta, und Noah ist sich sicher: „Bei uns kämen trotzdem fast alle in die Schule. Die Angst, allein daheim zu sitzen und nicht gut mit Unterrichtsstoff versorgt zu sein, wäre größer als die Angst vor einer Ansteckung.“

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