Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen haben in Baden-Württemberg Zulauf. (Symbolbild) Foto: dpa/Christophe Gateau

Wieder kommt es bei Protesten gegen Corona-Maßnahmen im Südwesten zu Gewalt: Ausschreitungen in Reutlingen, verletzte Polizisten in Mannheim. Wie hart soll die Polizei vorgehen? Ein Soziologe beurteilt die Lage.

Berlin - Die Szene der Gegner von Corona-Maßnahmen ist aus Sicht eines Soziologen stabiler geworden und jetzt auch dort vorhanden, wo sie früher nicht präsent war. „Die Szene hat sich radikalisiert und ist noch selbstbewusster und aggressiver geworden“, sagte Dieter Rucht vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin. Dies habe damit zu tun, dass man das Gefühl habe, Objekt politischer Entscheidungen geworden zu sein. Mit der Stabilisierung der Protestbewegung gehe auch die veränderte Taktik auf der Straße einher. „Um situativ die Oberhand zu behalten, wird ein „Katz-und-Maus-Spiel“ mit der Polizei gespielt“, sagte Rucht.

Dabei müssten die Aktionen gar nicht im Detail geplant sein. „In Abhängigkeit der Stärke und dem konkreten Handeln der Polizei wird über die sozialen Netzwerke abgesprochen, was bei einem Treffen im Einzelnen zu tun ist. Man kann sich verstreuen, in Straßen verschwinden und nach Gelegenheiten suchen, den Protest fortzusetzen. So kann man Gewinner oder Überlegener der Situation sein“, sagte Rucht.

2000 Teilnehmer protestierten in Mannheim

In Mannheim waren am Montagabend aus Protest gegen die Corona-Politik und trotz eines Verbots bis zu 2000 Menschen durch die Stadt gezogen. Zahlreiche Demonstranten hatten sich am Wasserturm versammelt, ohne dass eine Anmeldung für eine solche Kundgebung vorlag. Als die Stadt die Veranstaltung untersagt und die Polizei Platzverweise ausgesprochen habe, sei der Platz auf einen Schlag von Menschen „geflutet“ worden, sagte ein Polizeisprecher. Man gehe davon aus, dass es sich bei dem Protest um eine abgesprochene Aktion gehandelt habe. Die Teilnehmer hätten sich offenbar über die sozialen Medien vernetzt. Im Verlauf des Abends wurden sechs Polizisten verletzt.

Die „Querdenker“-Bewegung sei in Baden-Württemberg sehr stark. „In Ostdeutschland gibt es einzelne Regionen, die stark von Rechtsradikalen dominiert werden. Dazu zählen Thüringen und Sachsen“, sagte Rucht.

Der Staat sollte aber nicht mit voller Härte gegen alle, die gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen, vorgehen, sondern gegen Hardliner. Man sollte aus Sicht von Rucht nur solche Maßnahmen beschließen, die man auch effektiv kontrollieren kann. „Man muss den Menschen klar machen, dass man stichprobenartig eingreift und dabei sehr konsequent vorgeht.“ Nur durch Härte und Entschiedenheit erreiche man das Gegenteil. „Man treibt dann alle Leute in eine Ecke. Diejenigen, die unsicher sind - und den harten Kern.“