Chris Tall lieferte in der Porsche-Arena ab – und schlug am Ende ungewohnte Töne an. (Archivbild) Foto: IMAGO/Funke Foto Services

4500 Zuschauer feiern den Comedian Chris Tall für seine Witze über die Blitzer-Stadt Stuttgart und gläserne Toiletten in Hotels. In der Zugabe aber wird er mit einem Mal ganz ernst.

Es geht schon auf 23 Uhr zu, als Chris Tall einen harten Cut in seinen „Laugh Stories“ macht. Im Finale hat er sein Publikum mit Hände-in-die-Höhe-Hits von den Sitzen gerissen. Eine halbe Stunde zuvor hatte er gesagt, dass er normalerweise um die Zeit mit seinem Programm durch sei, „aber ihr lacht ja über jeden Scheiß“. In der Zugabe jedoch gibt es nichts mehr zu lachen.

Mit einem Mal wird Chris Tall zu Christopher Nast, als der er 1991 in Hamburg geboren wurde, setzt sich hin und redet sehr lange, sehr ernst über psychische Probleme. Über seine Angststörungen, die er in der Pandemie entwickelt habe, und über seinen Comedian-Kollegen Marcel Mann, der sich Anfang des Jahres das Leben genommen hat. Man solle sich also nicht schämen, zum „Psychodoc“ zu gehen und könne sich nicht oft genug sagen, „ich bin ein geiler Motherfucker“.

Hohe Präsenz im TV

Aber das Publikum bekommt ja nicht nur diese Botschaft mit auf den Heimweg, denn, um den Bruch zu verdeutlichen – die Fans können aus dem Chris-Tall-Shop noch ganz andere Dinge mit nach Hause nehmen: Penis-Feuerzeuge, „Ego sucks“-T-Shirts oder „Ich darf alles“-Socken. Dieser Spruch ist eine Weiterführung der rein rhetorischen Frage, mit der Chris Tall als Comedian groß geworden ist: „Darf er das?“ Also auch Witze über sogenannte „Randgruppen“ zu machen, zu denen für ihn auch Veganer zählen?

Geschadet hat es ihm jedenfalls nicht, hat er doch als bester Newcomer des Deutschen Comedypreises und nach Auftritten insbesondere bei Bülent Ceylan verschiedene TV-Formate wie „das Supertalent“, „Murmelmania“ oder demnächst an der Seite von Michelle Hunziker wieder „Wer isses?“ geentert. Am 7. Juni könnte er sogar in Mario Barthsche Dimensionen vorstoßen, wenn er „einmal im Leben“ im Volksparkstadion auftritt.

Spiel mit dem Publikum

Die Porsche-Arena immerhin ist längst ausverkauft mit 4500 Zuschauern, die, wie der Applaus signalisiert, überwiegend aus dem Umland sind. „Ich hätte doch auch zu euch kommen können, dann wären wir alle nicht geblitzt worden“, sagt Chris Tall, der feststellen musste, dass es viele Paparazzi in Stuttgart gibt. 17 Mal sei er fotografiert worden, kein Wunder bei drei Spuren und Tempo 40 in der City.

Seine Stimmungsmache – „ich will BHs auf der Bühne sehen, das gilt auch für die Frauen!“ – steht allerdings im Widerspruch zu einer Videoansage zehn Minuten vor Showbeginn, es solle nicht zu laut reingeschrien werden, was er selbst immer wieder provoziert. Denn ja: Den Austausch mit seinem Publikum beherrscht der auch selbstironische Schnellredner. So sucht er sich Silvia aus, die als einzige mit verschränkten Armen in der ersten Reihe sitzt, älter als der junge Schnitt ist und am Ende zu den Ballermann-Hits auf die Bühne muss. Zwischendurch darf die 24-jährige Samara von ganz oben in der Halle zu ihm herunter, weil sie wie sein nerviger Quizkumpel die Hauptstadt von Madagaskar kennt.

Eine Show voller Widersprüche

Ansonsten geht es um den Junggesellenabschied seines Bruders, um Oma und Opa, die immer noch „Knatterradatta“ machen, um den Unterschied zwischen Männer- und Mädels-Whatsapp-Gruppen und ja, auch um gläserne Toiletten in Hotels mit all ihren Risiken und Nebenwirkungen. Das Leben ist eben voller Widersprüche – wie die Show von Chris Tall, der in seiner eindringlichen Zugabe sagt: „Man darf auch mal einen Abend haben, der nicht so ist, wie man es sich vorgestellt hat.“ Respekt dafür.

Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 und unter https://ts-im-internet.de/ erreichbar. Eine Liste mit Hilfsangeboten findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: https://www.suizidprophylaxe.de/