Nicht CDU oder Freie Wähler, sondern die Koalition der Rathauschefs ist die größte Gruppierung im Ludwigsburger Kreisrat. Ist das Fluch oder Segen? Christoph Herre hat es in seiner Bachelorarbeit untersucht.
Im Landkreis Ludwigsburg gibt es 39 Rathauschefs. Die meisten von ihnen sitzen auch im Kreistag, aber ist das sinnvoll? Christoph Herre hat sich im Rahmen seiner Bachelorarbeit an der Verwaltungshochschule Ludwigsburg mit der speziellen Machtstellung der Bürgermeister im Kreistag befasst und festgestellt: Es gibt tatsächlich Situationen, in denen die Bürgermeister gemeinsam agieren.
Herr Herre, Kreistage gelten als Bürgermeister-Parlamente – aus Ihrer Sicht zu Recht?
Naja, richtig ist, dass Bürgermeister einen großen Anteil unter den Kreisräten haben. Der Landkreistag hat das nach der diesjährigen Kommunalwahl ermittelt. Da sind wir landesweit bei einem Anteil der Bürgermeister von 26,9 Prozent aller Kreisräte.
Und im Landkreis Ludwigsburg?
Da liegen wir ähnlich. Aber man muss es etwas relativieren. Unser Landkreis hat extrem viele Einwohner und vergleichsweise wenige Gemeinden. Deshalb ist das theoretische und teilweise auch tatsächliche Problem anderswo noch größer, wo es einfach mehr Bürgermeister gibt, die sich zur Wahl stellen könnten. Im Alb-Donau-Kreis gibt es 55 Gemeinden und der Kreistag ist kleiner. Da könnte fast jeder Sitz mit einem Bürgermeister besetzt werden.
Trotzdem ist die „Bürgermeister-Partei“ auch im Ludwigsburger Kreistag größer als CDU oder Freie Wähler. Kommt es denn bei manchen Themen zu einer solchen Fraktionsbildung?
Ja, aber das beschränkt sich auf wenige Themen. Solche berufsmäßigen Zusammenschlüsse gibt es ja auch bei anderen, zum Beispiel bei Landwirten,
. . .die ja mit einem Anteil von fünf Prozent auch überproportional in der Kreispolitik vertreten sind.
Die Sitzungszeit um 14.30 Uhr passt manchen Berufsgruppen eben besser. Deswegen sind Landwirte, Selbstständige und Lehrer häufiger im Kreistag vertreten.
Und eben Bürgermeister. Vertreten sie eher ihre Stadt oder doch die Kreisinteressen?
Theoretisch vertreten sie natürlich die Kreisinteressen.
Aber?
Bürgermeister sehen sich schon auch als Vertreter ihrer jeweiligen Gemeinde. Das war im Landkreis Ludwigsburg zum Beispiel zu sehen, als es um eine Deponie ging. Da hat sich der betroffene Bürgermeister entsprechend eingesetzt. Ich habe für meine Abschlussarbeit Kreisräte aus allen Fraktionen befragt, darunter Bürgermeister und Nicht-Bürgermeister. Da wurde das schon so gespiegelt. Andererseits ist diese Abwägung zwischen Kreis- und Gemeindeinteressen eine Aufgabe für alle. Die befragte Kreisrätin der Grünen hat das sehr schön ausgedrückt: Auch sie habe die Interessen ihres Ortes im Blick.
Eine große Koalitionsbildung zwischen den Bürgermeistern gibt es alljährlich bei der Festlegung der Kreisumlage. Sind sie da nicht eigentlich befangen?
Nein, befangen sind sie nicht. Aber natürlich gibt es ein gemeinsames Interesse am Niedrighalten der Kreisumlage, weil das Geld dann den Gemeinden fehlt. Das erschwert die Finanzierung des Kreises. Das ist das prominenteste Argument gegen Bürgermeister im Kreistag.
Wäre es nicht möglich, Bürgermeister einfach auszuschließen?
Das Thema Hinderungsgründe ist spannend. Im Landtag dürfen Bürgermeister ja nicht mehr vertreten sein, und es gibt etliche Berufsgruppen, die im Kreistag ausgeschlossen sind, zum Beispiel die Mitarbeiter von kreiseigenen Unternehmen. Aber für die Kandidatur gilt das erst einmal nicht. Das wäre bei Bürgermeistern ja nicht anders.
Warum?
Weil sie theoretisch ihr Bürgermeisteramt nach der Wahl in den Kreistag noch aufgeben könnten. Dann fiele der Hinderungsgrund weg. In den vergangenen Jahren wurden die Hinderungsgründe aber vom Gesetzgeber ohnehin gelockert. Früher durfte zum Beispiel in einem Gemeinderat nur ein Vertreter einer Familie Mitglied sein. Deshalb fände ich es schwierig, hier eine Verschärfung zu machen.
Kurios ist diese Doppelstellung ja schon: für die meisten Kreisgemeinden ist das Landratsamt die Kommunalaufsicht. Auf der anderen Seite kontrollieren die Bürgermeister über den Kreistag das Landratsamt und damit ihren eigenen Kontrolleur.
Das war ja eine These für meine Arbeit. Sie hat sich aber nicht bestätigt. Das Landratsamt hat einen Doppelstatus: als Kreisbehörde und als untere Verwaltungsbehörde, wo es staatliche Aufgaben wahrnimmt. Der Kreistag entscheidet aber nur über die Angelegenheiten der Kreisbehörde. Da gibt es keine direkte Verbindung und das hat sich auch im Rahmen meiner Arbeit bestätigt, dass es da keine Verbindungen gibt. Der Landrat steht zwar beiden Behörden vor, aber der Kreistag hat nur bei der einen etwas zu sagen. Und der Landrat trennt da auch ganz deutlich, so hat er sich in seiner Antwort auf meine Anfrage auch geäußert.
Aber ist es nicht systemwidrig, dass Bürgermeister im Kreistag sitzen?
Die Abwägung ist das eigentlich Spannende. Das Hauptproblem ist: was ist eigentlich der Landkreis? Sieht man ihn als Gemeindeverwaltungsverband, wo er historisch herkommt, bräuchte man eigentlich eine Verbandsversammlung, in der die Vertreter der Mitgliedsgemeinden vertreten sind. Da muss man fragen: Fehlt dem Landkreis eigentlich ein Organ? Im Sinne des Bürokratieabbaus wäre es natürlich nicht sinnvoll, so etwas einzuführen, aber früher gab es einen Kreistag für die Bevölkerung und einen Kreisrat für die Gemeinden. Und die Bürger beantworten die Frage ja immer ganz deutlich. Von den 800 Kandidaten bei der vergangenen Ludwigsburger Kreistagswahl waren keine vier Prozent Bürgermeister. Gewählt wurden dann aber fast alle.
Eine weitere Ausgangsthese Ihrer Arbeit war, dass Bürgermeister als Verwaltungsprofis einen Wissensvorsprung haben und das Gremium dominieren.
Auch das hat sich nur zum Teil bestätigt. Klar, wenn es um Verwaltungsangelegenheiten geht, sind sie Profis, aber im landwirtschaftlichen oder kaufmännischen Bereich kennen sie sich ja nicht besser aus. Da haben dann andere eher ihre Stärken. Das wurde auch in den Interviews, die ich geführt habe, immer wieder betont.
Und würden Sie einem jungen Bürgermeister raten, ein Kreistagsmandat anzustreben?
Als ich Anfang des Jahres mit meiner Bachelorarbeit begonnen habe, war noch nicht absehbar, dass ich am Ende des Jahres selbst Bürgermeister bin. Grundsätzlich würde ich das schon empfehlen. Es muss einem natürlich auch liegen. Wir Bürgermeister sind zwar eine Berufsgruppe, aber wir sind nicht alle gleich, und es gibt einige, die noch nie im Kreistag waren. Andererseits gibt es bei den Bürgern wohl schon die Erwartung: Der soll da hin. Da kann man nicht so einfach sagen: Mich interessiert nicht, was da oben in Ludwigsburg passiert. Also, ich kann mir das sehr gut vorstellen. Da ich mich nun aber erst einmal in das Bürgermeisteramt in Walheim einarbeiten muss und dort gut ausgelastet sein werde, kommt es mir gelegen, dass die nächste Kommunalwahl erst 2029 ist.
Jüngster Bürgermeister im Land
Rekord
Ende September ist Christoph Herre mit 85,6 Prozent in Walheim zum Bürgermeister gewählt worden, zum 1. Januar tritt der 24-Jährige aus Bönnigheim sein Amt nun auch offiziell an. Er ist damit der gegenwärtig jüngste Bürgermeister in Baden-Württemberg.
Studium
Sein Studium an der Verwaltungshochschule in Ludwigsburg läuft eigentlich noch bis Ende Februar. Doch die Bachelorarbeit ist bereits verteidigt, sodass eine Sonderlösung den vorzeitigen Dienstantritt ermöglicht.