Ein Bild aus dem Oktober 2018: Sicherheitskräfte stehen vor dem saudi-arabischen Konsulat in Istanbul. Foto: dpa/Lefteris Pitarakis

Der türkische Präsident besiegelt mit einem Besuch seine Versöhnung mit Saudi-Arabien. Der Streit wegen des Mordes an Jamal Kashoggi scheint vergessen.

Nur Schlechtes hatte Saudi-Arabien bis vor kurzem über die Türkei und ihren Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu sagen. Kronprinz Mohammed bin Salman, der starke Mann des Königreiches, beschrieb die Türkei als Teil eines „Dreiecks des Bösen“ mit dem Iran und islamistischen Gruppen. Die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. Erdogan gab nach dem Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi in Istanbul „höchsten saudischen Regierungsstellen“ – also dem Kronprinzen – die Schuld. Jetzt versöhnt sich Erdogan mit dem Prinzen: Der türkische Präsident wollte am Donnerstagabend nach Saudi-Arabien reisen, um die Aussöhnung der Türkei mit dem Königreich zu besiegeln. In der Region entsteht ein neuer Club der Autokraten.

Ankara stellte Anfang des Monats das türkische Strafverfahren gegen die mutmaßlichen Khashoggi-Mörder aus Saudi-Arabien ein und öffnete so den Weg für den Präsidentenbesuch. Nach dem Mord im Herbst 2018 hatte Erdogan noch angekündigt, die Schuldigen würden in der Türkei zur Rechenschaft gezogen. Der Präsident versorgte westliche Medien mit grausamen Details der Tat, um die saudische Führung als brutales Unrechtsregime zu entlarven. So berichtete Erdogan, die Mörder hätten Khashoggis Leiche zerteilt: „Mit dem Zersägen kenne ich mich aus“, habe einer der Täter gesagt, schrieb der türkische Staatschef damals in einem Beitrag für das „Wall Street Journal“.

Zwischen Kairo und der Türkei herrschte seit 2013 Eiszeit

Erdogan kritisierte die Saudis, weil er ihnen den Führungsanspruch in der muslimischen Welt streitig machen wollte. Ankara unterstützte die islamistische Muslimbruderschaft, die von den Herrscherhäusern in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) als Terrororganisation betrachtet wird. Die VAE waren in Ankara ähnlich schlecht gelitten wie Saudi-Arabien. Wegen des Putsches gegen den ägyptischen Präsidenten und Muslimbruder Mohammed Mursi 2013 gab es außerdem eine Eiszeit zwischen Ankara und Kairo. Der Türkei blieb in der Region nur die Partnerschaft mit dem Emirat Katar.

Die Zeiten haben sich geändert. Erdogan braucht ein Jahr vor den nächsten Wahlen in der Türkei dringend Geld für die krisengeplagte Wirtschaft seines Landes. Mit den VAE hat er sich bereits versöhnt und den dortigen Kronprinzen Mohammed bin Zayed – den Mentor des saudischen Thronfolgers – besucht. Zayed versprach ihm Milliardeninvestitionen.

Bisher boykottiert Saudi-Arabien Importe aus der Türkei

Nun hofft Erdogan auf ähnliche Ergebnisse in Saudi-Arabien, das aus Protest gegen die türkische Haltung im Streit um den Khashoggi-Mord seit Jahren türkische Importe boykottiert. Türkische Wirtschaftsverbände meldeten schon vor Erdogans Reise ein wieder wachsendes Interesse saudischer Partner. Die Finanzminister beider Länder berieten vor Erdogans Reise per Video über die künftige Zusammenarbeit. Die türkische Opposition kritisiert Erdogans Kehrtwende scharf. Der Präsident habe „die Ehre der Türkei im Garten des saudischen Konsulats beerdigt“, sagte Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu.

Bei dem zweitägigen Besuch in Saudi-Arabien standen getrennte Gespräche Erdogans mit dem 86-jährigen König Salman und Kronprinz Mohammed bin Salman in Dschidda auf dem Programm. An diesem Freitag besucht Erdogan dann Mekka, um die so genannte „Kleine Pilgerfahrt“ – in Zeiten außerhalb der Hadsch – zu absolvieren.

Beim Gespräch mit Mohammed bin Salman dürften neben wirtschaftlichen Fragen auch politische Gemeinsamkeiten zur Sprache kommen. Beide haben ein schwieriges Verhältnis zu US-Präsident Joe Biden, der Erdogan und den Kronprinzen als Autokraten betrachtet und sie auf Distanz hält. Umgekehrt misstrauen der türkische Präsident und der saudische Thronfolger den Amerikanern, die sich nach und nach aus dem Nahen Osten zurückziehen.

Die Länder der Region stellen alte Feindschaften in Frage

Das bewegt die Länder der Region dazu, sich neue Partner zu suchen und alte Feindschaften in Frage zu stellen. Außer zu Saudi-Arabien und den VAE knüpft Erdogan neue Bande auch zu Israel. Türkische Unterhändler sprechen laut Medienberichten mit Vertretern des syrischen Regimes über Sicherheitsgarantien für die Rückkehr von Flüchtlingen aus der Türkei. Saudi-Arabien führt Gespräche mit dem Erzfeind Iran. Zudem pflegen die Türkei und Saudi-Arabien gute Beziehungen zu Russland und halten daran trotz des Ukraine-Krieges fest.

Selbst mit der Regierung des ägyptischen Präsident Abdel Fattah el-Sisi hat Erdogan neue Gespräche eingefädelt. Eine Versöhnung mit der Regierung in Kairo ist für Erdogan zwar schwieriger als die Wiederannäherung an Saudi-Arabien, denn er betrachtet Sisi als Putschisten und Diktator. Dennoch rückt die Türkei von ihrer kompromisslosen Haltung ab: Ankara hat ägyptische Exilsender in der Türkei angewiesen, Kritik an Sisi einzustellen. Der Club der Autokraten könnte bald weitere Mitglieder bekommen.